Raubgrabungen:Die Einfuhr geht ungebremst weiter

Lesezeit: 4 Min.

Eine neue Studie zeigt: Deutschland ist eine Art Waschanlage für antike Kunst aus illegalen Grabungen.

Von Jörg Häntzschel

Es ist ungefähr fünf Jahre her, damals, als der "Islamische Staat" (IS) seine großen Erfolge feierte, da schaffte es das Thema zum letzten Mal in die Schlagzeilen: der Handel mit illegal ausgegrabenen oder aus Museen geplünderten antiken Stücken. Man las Berichte von Orten im Nahen Osten, die aussehen, als wären sie von Bomben getroffen worden, nur dass die Krater und Löcher eben von Antikenräubern gegraben wurden. Und dann machte eben die Hypothese die Runde, der IS habe das Geschäft mit den Antiken an sich gerissen und nutze es zur Finanzierung seiner Terroroperationen. Deutschland, hieß es oft, sei eine Drehscheibe für den Handel mit diesen Dingen geworden.

Nur 2,1 Prozent der Antiken im deutschen Kunsthandel erfüllen geltende Vorschriften

Doch etwa an diesem Punkt endeten die meisten der Berichte. Ja, die dürren Informationen in Auktionskatalogen, die vagen Provenienzen in den Schaufenstern einiger Galerien etwa am Münchner Maximiliansplatz machten schon immer stutzig. Doch was sagte ein einziges problematisches Werk schon aus? Und wie ließen sich die Bilder von zerlöcherten Mondlandschaften am Tigris, die Berichte vom Millionenbusiness zusammenbringen mit dem winzigen Nischengeschäft ein paar honoriger Liebhaber in Deutschland?

Eine Studie, die an diesem Montag veröffentlicht wird, liefert nun das missing link zwischen diesen beiden Sphären. Sie kommt zu erschreckenden Ergebnissen: Von gut 6000 antiken Stücken aus dem östlichen Mittelmeerraum, die in einem Zeitraum von zwei Jahren in Deutschland angeboten wurden, erfüllten nur 2,1 Prozent die geltenden Vorschriften für den Handel in Deutschland. Bei manchen Herkunftsländern lag der legale Anteil noch erheblich niedriger, bei Stücken aus dem Irak etwa waren es nur 0,4 Prozent. Und auch der Anteil an Fälschungen ist extrem hoch: Bei mehr als die Hälfte der Stücke handelte es sich laut den Experten um mehr oder weniger gut gemachte Imitationen.

Auch diese über drei Jahre entstandene Studie, für die Altertumswissenschaftler, Technologieexperten vom Fraunhofer-Institut und Wissenschaftler aus etlichen anderen Disziplinen unter Leitung von Markus Hilgert, Chef der Kulturstiftung der Länder, zusammenarbeiteten, lässt viele Fragen offen. Weder gibt es hier Neues zur Terrorfinanzierung, noch zum tatsächlichen Ausmaß der Raubgräberei in den Krisengebieten, aus denen die meisten importierten Stücke heute stammen. Auch über die Handelswege erfährt man nichts. Keiner der Autoren kreuzte mit dem Geländewagen durch die Wüste, traf CIA-Veteranen oder las vertrauliche Akten. Das Bundeskriminalamt, das ursprünglich an der Studie mitwirken wollte, sprang ab.

Stattdessen beschränkten sich die Forscher auf öffentliche zugängliche Quellen wie Auktionskataloge und Internetangebote. Ein braver Ansatz, scheint es, aber nicht, wenn man dafür eigens Apps entwickeln lässt, nicht, wenn man "Crawler", also Software zum automatischen Durchsuchen und Analysieren von Websites, einsetzt. Was ihnen nun erstmals gelingt, ist aufregend genug: Sie zeichnen ein erbarmungsloses Gesamtbild der Geschäftspraktiken einer Branche, die, wohl auch dank der Assoziation mit ihrer noblen Ware, alle Vorwürfe an sich abperlen ließ.

Die Forscher taten das, indem sie die Händler und ihr Angebot einfach selber sprechen ließen: Welche Stücke werden angeboten? Zu welchen Preisen? Und welche Dokumente - Exportgenehmigungen, frühere Kaufbelege - werden mitgeliefert? Vor allem aber: Welche Angaben machen die Händler zur Provenienz? Verraten sie, wann das Objekt in Deutschland eingeführt wurde? Oder steht da nur "süddeutsche Privatsammlung"? Und wie seriös erscheinen diese Informationen?

Das "Kulturgutschutzgesetz" scheint im Antikenhandel so gut wie wirkungslos zu sein

Bei den wenigsten Objekten, das zeigt sich dabei, können die deutschen Händler ihre Herkunft ausreichend dokumentieren. Doch die ist entscheidend, weil sich die EU bei einigen der wichtigsten Herkunftsländer, vor allem Syrien und Irak, auf klare Daten geeinigt hat, nach denen die Einfuhr antiker Gegenstände verboten ist: Für den Irak ist es das Jahr 1990, bei Syrien ist es 2011. Außerdem gibt es vielfach nationale Exportverbote, die schon Ende des 19. Jahrhunderts galten, und die Unesco-Konvention von 1970, die Deutschland allerdings erst 2007 ratifiziert hat. Die juristische Lage ist kompliziert, klar ist aber, dass antike Stücke aus Syrien und dem Irak in Deutschland nur gehandelt werden dürfen, wenn sie vor diesen Daten eingeführt wurden, also aus Sammlungen in Europa stammen. Fehlen die Jahreszahlen, fehlen Details zur Herkunft, dann stehen sie zumindest unter Verdacht. Deutschland, so die Autoren der Studie, ist eine Art Waschanlage für Antiken geworden. Der Import ist hier besonders einfach, und wenn die Sachen einmal hier waren, lassen sie sich gut in strengere europäische Länder weiterverkaufen.

Brisant ist die Studie allerdings nicht nur für den Kunsthandel, sondern auch für die deutsche Politik. Schließlich hat Deutschland seit 2016 ein neues Kulturgutschutzgesetz, das genau die "Inverkehrbringung" von illegal eingeführten Gegenständen stoppen sollte, die laut der neuen Studie ungebremst weitergeht. Kontrollen, etwa durch den Zoll, finden so gut wie nicht statt. Der Zoll hat andere Prioritäten, Waffen, Drogen, gefälschte Markenprodukte. Und selbst wenn ihm einmal eine Scherbe in die Hände kommt: Wie soll er auf die Schnelle nachweisen, dass sie nicht ins Land kommen darf?

Die Autoren der Studie fordern deshalb groß angelegte staatliche Initiativen, um den Handel mit Antiken einzudämmen. Ein Vorbild dafür sei die Kampagne zur Durchsetzung des Artenschutzgesetzes: Die Plakate, die vor der Einfuhr von geschützten Tieren, Elfenbein oder Schildkrötenpanzern und Ähnlichem warnen, hat jeder schon gesehen.

Vor allem aber fordern sie mehr Aufklärung darüber, welche Zerstörungen die Raubgräberei anrichtet, zum anderen aber auch darüber, dass damit Gewalt, Gesetzlosigkeit, Ausbeutung gefördert werden.

Nicht ohne einen süffisanten Unterton erklären die Autoren der Studie, auch der Handel müsse doch daran interessiert sein, sich von Praktiken zu verabschieden, die ihn permanent unter den Verdacht der Illegalität stellen. Doch das ist natürlich ein frommer Wunsch. Die Zahlen sprechen ja eine klare Sprache: Ohne Nachschub aus Nahost gäbe es nicht viel zu handeln.

© SZ vom 09.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: