Petition gegen Kanye West:Rocker hören keinen Hip-Hop

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Hip-Hop-Star Kanye West spielt nicht Gitarre, trinkt kein Bier, steht nicht bis zu den Knöcheln im Schlamm. Was soll er also auf einem Rockfestival? (Foto: Guillaume Horcajuelo/dpa)

Glastonbury ist ein weißes Festival: Mit diesem Tenor will eine Petition verhindern, dass Rapper Kanye West als Headliner auftritt. Dahinter stecken Ressentiments, die in der Rockmusik schon lange schwelen.

Von Klaus Walter

Patrioten Englands gegen die Invasion der Afroamerikaner? Nicht ganz. Vorerst haben britische Rockfans nur einen einzigen Afroamerikaner im Visier. Sein Name ist Kanye West. Mit einer Online-Petition soll verhindert werden, dass der Rapper im kommenden Sommer als Headliner in Glastonbury auftritt. Das Festival im englischen Südwesten ist eins der größten seiner Art, über die Künstlerliste wird diskutiert, wie sonst Mannschaftswechsel von Fußballstars wie Lionel Messi.

Nun also soll Kanye West die Nachfolge von Bruce Springsteen, U2 und den Rolling Stones antreten. Und von Jay Z. Der war 2008 der erste Hip-Hop-Headliner. Das gab Gegenwind, vor allem vom ex- Oasis-Gitarristen Noel Gallagher. Jay Z konterte mit einer Cover-Version von Oasis' "Wonderwall" mit der Passage: "Der Kerl von Oasis meinte, ich könne nicht Gitarre spielen, irgendjemand sollte ihm sagen, dass ich ein verdammter Rockstar bin."

Sieben Jahre später dann das: "Storniert Kanye Wests Headliner-Position und holt eine Rockband!" fordern die West-Hasser auf dem Petitions-Portal change.org. 129 443 hatten bei Redaktionsschluss schon unterzeichnet. Manche nennen West in den Kommentaren eine "cunt" oder einen "gay fish", andere werden grundsätzlich: "Beim Glastonbury Festival geht es um klassische Bands, nicht um diese Sorte Hip-Hop-Künstler," schreibt eine Eleanor und erklärt, dass ein "frauenverachtendes, selbstsüchtiges, rassistisches und arrogantes Wesen wie Kanye West" da nichts verloren habe.

Manchmal kippt Ablehnung bei Rockfans in Aggression, wie 1979, als sie Discoplatten verbrannten

Rassistisch? West ist einer der wenigen schwarzen Superstars, die ihre Popularität für politische Interventionen nutzen. Wests Satz "George Bush interessiert sich nicht für Schwarze" wurde nach dem Hurrikan Katrina 2005 zum geflügelten Wort. Zu den Todesschüssen von Ferguson hat er sich mehrmals geäußert. Offenbar spielt die Hautfarbe auch beim Kulturkampf um Glastonbury eine Rolle. "Verdammt, ich bin kein Rassist", schreibt ein West-Gegner, in schönster "Das wird man doch noch sagen dürfen"-Rhetorik: "Aber Glastonbury' ist ein weißes Festival für echte Musik auf echten Gitarren von echten Kerlen in echten Jeans, die echtes Bier trinken und in echtem Schlamm stehen." Ganz schön viel recht, das Gegenbild zu "diesen Hip-Hop-Künstlern" mit ihrem neumodischen Schnickschnack, Sampling, Autotune, der ganze Scheiß. Aber es gibt eben noch einen anderen Aspekt des Echten, des real, wie das auf englisch heißt. Und da landet man schnell bei den anderen Ressentiments, die in er Rockmusik schon lange schwelen.

"You make me feel mighty real" von Sylvester, gecovert von Jimmy Somerville, "Got to be real" von Cheryl Lynn und "Real people" von Chic, gleich drei Disco-Klassiker tragen das real im Titel. Sie verorteten Realness unter der Discokugel: Nur an diesem geschützten Ort, können wir real sein, sagen diese Songs. Wir Außenseiter. Wie seine Enkelin, die House Music, war Disco der Soundtrack derjenigen, die que(e)r stehen zur weißen, Hetero-Norm, und deswegen wird Disco wie House von Repräsentanten der weißen, heterosexuellen Norm abgelehnt: unnatürlich, un-real.

Glastonbury Festival 2014
:Stilvoll durch den Schlamm

Großes Staraufgebot bei mäßigem Wetter: Das Musikfestivals Glastonbury musste wegen eines Gewitters sogar unterbrochen werden. Doch die mehr als 100 000 Besucher lassen sich den Spaß nicht verderben.

Manchmal kippt die Ablehnung in Aggression, so 1979 bei der "Disco Demolition Night" in Chicago. Im Vorprogramm eines Baseball-Spiels verbrannten aufgeheizte Rockfans Tausende von Disco-Platten. Vielleicht gibt es ja ein Déjà-vu, diesen Sommer in England. Glastonbury ist ein weißes Festival! Das ist der Tenor einer Bewegung, die Rock als genuin weiße Musik für sich beansprucht. Ein geschichtsrevisionistischer Treppenwitz, wenn man bedenkt, was etwa die Rolling Stones dem schwarzen Amerika zu verdanken haben. So ziemlich alles, Bandname inklusive. Der stammt von Muddy Waters.

© SZ vom 27.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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