"Random Access Memories" von Daft Punk:Da hat wieder alles einen Sinn

Daft Punk alias Thomas und Guy-Manuel

Daft Punk alias Thomas und Guy-Manuel bei einem Konzert 2007 - immer noch geht es um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

(Foto: dpa)

Man findet aus dem Staunen nicht mehr heraus. Das große neue Album von Daft Punk und die Frage, warum die Gegenwart immer noch von einer Zukunft träumt, die sich die Vergangenheit ausgedacht hat.

Von Jens-Christian Rabe

Viervierteltakt. Four to the Floor, wie man so sagt. Kein Backbeat wie im Soul, kein Downbeat wie im Funk. Nope. Ein Basstrommelpatsch auf jeden Schlag. Tempo: 120 Beats per Minute. Das ist etwa die doppelte Anzahl der Herzschläge pro Minute eines durchschnittlich gesunden erwachsenen Menschen in Ruhe. Oder exakt die Herzfrequenz eines entspannten neugeborenen Kindes. Oder das Geheimnis von Disco. Nicht das ganze. Natürlich nicht, davon wird noch zu reden sein. Aber doch ein guter Teil des Geheimnisses.

Man muss nämlich, Ladies and Gentlemen, ein gefrorenes Hirn, Beine aus Stahl oder auch einfach kein Herz haben, um sich nicht ein paar Grad lockerer, lässiger, leichter zu fühlen, wenn man ein paar Tönen begegnet, die irgendwer gekonnt Four-to-the-Floor verleimt hat. Sonst hätte in den Siebzigern der Münchner Musikproduzent Giorgio Moroder nicht die moderne Popmusik erfunden, und - was auch immer man im einzelnen Fall davon halten mag - die Village People wären einfach nur Village People, Abba hätten kein Museum, die Bee Gees einfach nur ein Hormonproblem und so weiter.

Disco also. So, so. Aha. Sehr gut. Das dachte man, als einen vor ein paar Wochen die ersten Mails erreichten, die einen aufgeregt fragten, ob man diesen neuen Disco-Hammer von Daft Punk gehört hätte, "Get Lucky", wie G-R-O-S-S-A-R-T-I-G der denn bitte sei? Und dann, eineinhalb Klicks später, konnte man es selbst schon nicht mehr fassen. "We're up all night to get lucky", sang da im Video Pharell Williams im Glitzeranzug als eigentlich nicht allzu eindrucksvoller, aber umso besser gelaunter Disco-Crooner, die linke Hand in der Hosentasche, lässig fingerschnipsend mit der rechten. Meine Güte. Da hatte ja plötzlich mal wieder alles einen Sinn. Klar, wir bleiben die ganze Nacht auf, um Glück zu haben. Und durch den ganzen Bürokram dancen wir uns bis dahin auch noch ganz locker hindurch.

Diauuo - diauuuuo - dideldidideldiedeldel-did-diauuu. Oder so.

Die ganze irre Macht des Pop, das war sie und da hatte man in dem Video noch gar nicht gesehen, dass der Gitarrist mit dem lustigen Afrohelm links von Pharell gar nicht irgendein Gniedelgroove-Sklave ist, sondern Nile Rodgers himself. Sagenumwobener Pop-Produzent und seit Chics Hit "Le Freak" einer der großen alten Disco-Paten. Und dann spielen auch noch ein Herr mit einem großen silbernen und ein Herr mit einem großen goldenen Motorrad-Helm formvollendet Plexiglas-Bass und Plexiglas-Schlagzeug. Ach ja, das sind dann die beiden - wie üblich gesichtslos bleibenden - Pariser Pop-Götter Guy-Manuel de Homem-Christo and Thomas Bangalter alias Daft Punk. Und dann zerfiel auch schon der Gesang zwischendurch in dieses tolle verhackte Daft-Punk-Robowackeln. Danach noch diese kleine jaulende Oldschool-Synthie-Melodie zum Schluss: Diauuo - diauuuuo - dideldidideldiedeldel-did-diauuu. Oder so. Wie richtig ist das denn alles bitte?

Oder vielmehr: Warum ist das eigentlich gerade jetzt offenbar so richtig? Warum ist das die Musik zur Zeit? Ist das neue Daft-Punk-Album "Random Access Memories" (Columbia/Sony) vielleicht die ersehnte gute Antwort auf die Frage, warum die Gegenwart immer noch so gern von einer Zukunft träumt, die sich die Vergangenheit ausgedacht hat?

Wobei dieser Gedanke jetzt nicht dazu führen soll, dass die Knie wieder steif werden, weil: Still gestanden verstünde man vielleicht die Frage etwas besser, aber der Weg zur Antwort wäre wieder viel weiter. Also weiterschnipsen, "Get Lucky" ist ja gar nicht der erste Song des Albums. Los geht es mit "Give Life Back To Music", wieder mit Nile Rodgers ganz, ganz lockerem rechten Handgelenk an der Gitarre. Dazu etwas Klatschen. Aber nicht dieses erbarmungslos fleißige Wetten-Dass-Massen-Klatschen, das noch aus jedem Groove den letzten Saft herausgetatscht hat! Nein. Wir reden hier vom Handclap, ganz easy, gleichzeitig zurückgelehnt und voll bei der Sache. Und der Gitarrist Paul Jackson Jr. spielt auch noch mit, den in unserer Welt natürlich niemand kennt, der aber trotzdem nicht irgendwer ist, sondern einer der in Los Angeles angesehensten Session-Musiker. Und das ist kein nebensächliches Detail, es ist das Prinzip dieses Albums.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: