Ende des Jahres hat Michel Houellebecq Donald Trump gelobt. Ein Essay im amerikanischen Harpe r' s Magazine trug den Titel "Donald Trump is a good president", und im Text fanden sich viele Übereinstimmungen zwischen dem französischen Schriftsteller und dem amerikanischen Präsidenten. Wenige Wochen später erschien Houellebecqs Roman "Serotonin", und wer auch immer geglaubt hatte, diesen Termin ignorieren zu können - nach Houllebecqs Trump-Huldigung war das kaum noch möglich.
Am Dienstagabend hat die Band Rammstein eine 35 Sekunden lange Szene aus dem Video zu ihrem neuen Album veröffentlicht. Es zeigt die Band-Mitglieder in der gestreiften Kleidung von KZ-Häftlingen mit einem gelben Stern auf der Brust. Sie stehen auf einer Art Galgen und tragen einen Strick um den Hals. Till Lindemann, der Sänger, blutet. Danach erscheint in Fraktur, weiß auf schwarz, unter einem irgendwie runenartigen oder eiserneskreuzartigen Logo das Wort "Deutschland".
Daraufhin geschah zweierlei: Bei Fans wuchs mit der Vorfreude auf das neue Album auch die Hoffnung, dass es für die KZ-Szene eine plausible oder zumindest irgendwie erträgliche Erklärung geben werde, sobald man den ganzen Clip gesehen hat. Bei sehr vielen anderen, zumal bei den jüdischen Verbänden, überwog der Ekel. Zentralratspräsident Josef Schuster kritisierte, dass der Holocaust zu "Marketingzwecken missbraucht" werde. Seine Vorgängerin Charlotte Knobloch sprach von einer "Verharmlosung" des Holocaust. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, warnte, eine Skandalisierung zu Verkaufszwecken könne eine "rote Linie" überschreiten, war aber bereit, sich überraschen zu lassen, sollte das Album "Lieder gegen den Judenhass" enthalten. Und der Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, Karl Freller (CSU) lud die Band nach Dachau ein, um "vor Ort über die NS-Gräuel zu informieren".
Als das Video dann online ging, war zumindest die Frage nach dem Kontext schnell beantwortet: Die postmodernen Bildjongleure von Rammstein werfen darin ein Dutzend Motive aus 2000 Jahren deutscher Geschichte in die Luft und marschieren dann mit ernstem Gesichtsausdruck und rollendem R durch die Collage, die sich vor ihren Füßen erstreckt. In dem Video gibt es Anspielungen auf die Reformation, Walhalla, Kolonialismus, Sigmund Jähn, Erich Honecker, die RAF, die V2-Rakete und eben auch Auschwitz. Der Text allerdings könnte unzweideutiger nicht sein: "Deutschland, deine Liebe ist Fluch und Segen/Deutschland, meine Liebe kann ich dir nicht geben", singt Rammstein-Sänger Till Lindemann, eine für seine Verhältnisse geradezu plakative Distanzierung von Patriotismus und Nationalismus.
Die Liebe zu Deutschland ist heute selbst für Rammstein ein Thema, bei dem die Band nicht missverstanden werden möchte. Eine Zentralfigur des Clips ist eine schwarze Frau, an der sich das koloniale Deutschland an einer Stelle nährt und weidet. Ohne jede Schwierigkeit lässt sich das Video als Rundgang durch die deutsche Verdrängungsgeschichte lesen. Die Tatsache aber, dass sich die Band entschieden hat, für dieses Video mit dem Zentralmotiv deutscher Täter-Opfer-Umkehrung zu werben und sich als deutsche Band die Uniform jüdischer KZ-Insassen überzustreifen, diese Tatsache bleibt. Dafür, dass die Band genau wusste, was sie da tat, spricht, dass sie auch jedes andere Bild für den Teaser hätte verwenden können, sich aber für dieses entschieden hat. Die Frage ist nun nicht, ob sie das darf, sondern was sie sich dabei gedacht hat, die erwartbaren, dadurch aber nicht weniger berechtigten Proteste jüdischer Verbände für die eigene Vermarktung einzuspannen. Vielleicht ging es um die Reflexhaftigkeit der Reaktionen, vielleicht um Bildambivalenz und Moralismus. Vielleicht aber profitiert von dieser Überschreitung auch einfach niemand, außer Rammstein selbst.