Rammstein: Nach der Indizierung:Blitzkrieg mit dem Kreischgewehr

Lesezeit: 3 min

Die Prüfstelle indiziert Rammsteins neue Platte. Die Band ist "bestürzt" von der Indizierung. Und, ja, im Lande Pop ist ein Sack Reis umgefallen.

Jens-Christian Rabe

Es ist gar nicht lange her, nur etwas mehr als fünfzig Jahre. Ein weißer Rock'n'Roll-Sänger hatte gerade seine erste Platte veröffentlicht, da galt er den Kirchen schon als "Satansjünger", prominente Fernsehmoderatoren erkannten in ihm eine "Provokation für Amerika", Frank Sinatra bezeichnete die Fans des Sängers als Abschaum und ganz allgemein erkannten eine Menge Politiker den Rock'n'Roll als "Krebsgeschwür am Busen Amerikas", welches dringend herausgeschnitten werden müsse.

"Schönes Fräulein, Lust auf mehr, Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr", singen Rammstein mit unüberhörbar komödiantischer Absicht auf der Bühne. (Foto: Foto: ap)

Auf einer Liste der größten Bedrohungen der Welt, die Ende der fünfziger Jahre ein amerikanischer Studentenverband herausgab, wurde der Sänger als "Weltgefahr Nr. 3" gehandelt. Schlimmer schienen den Studenten nur noch das Wettrüsten (Platz 1) und "Die Asiatische Grippe" (Platz 2) zu sein. Der Sänger hieß Elvis Presley, und die Gefahr ging unmittelbar von seiner - vollständig bekleideten - Hüfte aus.

Die Geschichte des Pop lässt sich seither sehr gut auch als die Geschichte der Zensur seiner sexuell expliziten Provokationen erzählen. Mit einer mehr oder weniger eindeutig wackelnden Hüfte ließ sich naturgemäß ziemlich zügig nicht mehr allzu viel bewegen. Man begegnet auf Covern und in den Texten dementsprechend bald jeder Art von normabweichender Triebpraxis: Exhibitionismus, Promiskuität, Sex mit Minderjährigen, Vergewaltigungsszenarien, Inzest und Sodomie. Es herrschte dabei die Logik der Eskalation. Und es ging lange, sehr, sehr lange erstaunlich gut. Obwohl ja im Grunde alle wussten, was gespielt wird, dass Authentizität und tatsächliche Überzeugungen eines sind, Aufmerksamkeit aber etwas ganz anderes. Und dass man für das Erste vielleicht geschätzt wird, man mit dem Zweiten aber große Hallen ausverkaufen kann.

Noch 1986 gelang es Frank Zappa in der CNN-Talksendung Crossfire mit einer grandios stoischen Verteidigung jüngst erschienener, sexuell expliziter Arbeiten von Prince einen hyperventilierenden rechtskonservativen Journalisten der Washington Times und zwei aufgewühlte Moderatoren des Senders zur Verzweiflung zu bringen: "We're talking about words!" - Es ginge doch nur um ein paar Wörter, und er, Zappa, könne und wolle nicht begreifen, warum man sich vor diesen Wörtern so fürchte. Das sahen seine um Moral, Sitte und Anstand der Nation besorgten Gegner natürlich vollkommen anders, standen aber auch ratlos vor der Frage, von wem man schließlich wirklich wolle, dass er das Amt des Zensors übernehme.

Deutschland war da ausnahmsweise schon weiter. Seit 1954 gibt es in Bonn die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) als dem Familienministerium untergeordnete Bundesoberbehörde. Und neben Tausenden Filmen und Online-Angeboten und Hunderten Printmedien und Spielen wurden seither auch exakt 966 Tonträger als "sozial- bzw. moralethisch desorientierend"eingestuft und indiziert. Die inkriminierten Werke sind nicht verboten, aber dürfen nicht mehr beworben werden. Unter der Ladentheke sind sie für Volljährige weiter erhältlich.

Bisse, Tritte, harte Schläge

Aber so verdienstvoll die Arbeit der Behörde besonders im Zusammenhang mit der wachsamen Stigmatisierung rechtsextremer Inhalte war und weiter ist, so ambivalent ist natürlich ihr Effekt. Denn so eine indizierte Platte übt schließlich noch einmal eine ganz besondere Faszination auf diejenigen aus, deren Schutz eigentlich das Ziel ist. Eine negative Ethik, eine Ethik des Unterlassens seitens der Prüfstelle konnte sich leider noch nicht etablieren. Sie hätte uns auch den dürftigen aktuellen Fall erspart, in dessen Mittelpunkt sich das am 16. Oktober veröffentlichte und derzeit auf dem ersten Platz der deutschen Album-Charts stehende Album "Liebe ist für alle da" der deutschen Rockband Rammstein befindet.

Es ist darauf neben sehr einfallsloser härterer Rockmusik Text zu hören, der ziemlich verunglückt, aber unüberhörbar mit komödiantischer Absicht herumprovoziert. In "Pussy" etwa heißt es: Zu groß, zu klein / Der Schlagbaum sollte oben sein / Schönes Fräulein, Lust auf mehr / Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr / Schnaps im Kopf, du holde Braut / Steck Bratwurst in dein Sauerkraut." Und in "Ich tu dir weh": "Bisse, Tritte, harte Schläge / Nageln, Zangen, Stumpfe Säge / Wünsch' dir was, ich sag' nicht nein / Und führ' dir Nagetiere ein." Hm. Die Prüfstelle sieht darin Anstiftung zu ungeschütztem Sex und gefährlichen Sadomaso-Praktiken. Rammstein wiederum ist "bestürzt" von der Indizierung und prangert das "kleinbürgerliche Kunstverständnis" der Behörde an.

Ach, es sind schon triste Zeiten. Als der Pop seine Unschuld verlor, gab es noch etwas zu gewinnen.Und als Frank Zappa den Rock 30 Jahre später tapfer im amerikanischen Fernsehen verteidigte, ging es immerhin noch um ein Album von Prince. Heute müsste er Songs einer drittklassigen deutschen Pubertistenband verteidigen. Das ist nicht erfreulich, aber ein Beweis: Geschichte wiederholt sich. Erst als Tragödie, dann als Farce. Das letzte Mal als schlechter Spaß. Oh, oh.

© SZ vom 10.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: