Theater Rambazamba Berlin:Ein Wahnsinnsspaß

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Party auf Station: Szene aus "Einer flog über das Kuckucksnest" mit dem Rambazamba-Ensemble. (Foto: Andi Weiland)

Leander Haußmann inszeniert "Einer flog über das Kuckucksnest" am inklusiven Berliner Theater Rambazamba - und feiert die Menschlichkeit.

Von Peter Laudenbach

So sehr wie ein Versprechen der großen Freiheit und eines wilden Lebens sah der Prenzlauer Berg zuletzt vor gut 30 Jahren aus, kurz nach dem Mauerfall, als der Berliner Stadtteil ein großer Abenteuerspielplatz war und noch nicht das durchgentrifizierte Wohlstandsbullerbü von heute. Ein paar übermütige Spinner mit Sonnenbrillen und abenteuerlichen Klamotten stürmen über das Pflaster, sie spielen nach eigenen Regeln und liefern sich lustige Verfolgungsjagden mit einem tollpatschigen Streifenpolizisten (Detlev Buck) und einem Zuhälter (Leander Haußmann). Die Wirklichkeit der angeblich Normalen und Erwachsenen kümmert sie nicht weiter, die Welt da draußen ist dafür da, Spaß zu haben. Und ihren Spaß holen sich diese lebensgierigen Anarchisten, sie können ihn dringend brauchen nach der eingesperrten Zeit in der Psychiatrie mit ihren Pillen und Elektroschocks und Demütigungen.

Der Kurzfilm der Flucht durch den Prenzlauer Berg ist das rasante Finale von Leander Haußmanns Theaterinszenierung "Einer flog über das Kuckucksnest". Ken Keseys Antipsychiatrie-Roman wurde in den 1960er-Jahren zu einer Bibel der Hippies, Miloš Formans Verfilmung mit Jack Nicholson von 1975 war das, was man damals einen Kultfilm nannte - und jeder renitente, langhaarige 17-Jährige aus der Provinz entdeckte noch Jahre später in den aufsässigen Psychiatrie-Gefangenen Brüder im Geiste.

Der Anstaltsarzt glaubt, er sei der einzig Normale auf der Bühne

Leander Haußmann kann sich seine Schauspieler aussuchen, also nahm er für die Theaterinszenierung des Romans einfach die besten, die er kriegen konnte. Gefunden hat er sie im inklusiven Berliner Theater Rambazamba, dessen Schauspieler auf der Bühne und im Leben ebenfalls nach ihren eigenen Regeln spielen - und nur, wer nicht genau hinsieht und ein Herz aus Zement hat, würde sie deshalb "behindert" oder "anders begabt" und "gehandicapt" nennen. Die Psychiatriestation auf der Bühne ist von erlesener Trostlosigkeit, auch wenn der Arzt im weißen Kittel versichert, die Grausamkeiten von früher gebe es hier heute nicht mehr. Der Anstaltsarzt (als Gast: Norbert Stöß) ist der einzig Normale auf der Bühne, glaubt er jedenfalls, aber die anderen Insassen der Station durchschauen ihn natürlich: "Du bist einer von uns." Womit der Witz vom Irren, der sich für den Irrenarzt hält, serviert wäre - aber was soll man sagen, Haußmann und die Schauspieler machen sich so gut gelaunt und gekonnt einen Spaß, dass selbst der älteste Psychiatriewitz der Welt für einen Lacher gut ist.

In der Geschlossenen braucht man starke Nerven: Nele Winkler, Norbert Stöß und Franziska Kleinert als psychiatrisches Klinikpersonal in "Einer flog über das Kuckucksnest". (Foto: Andi Weiland)

Zur Besatzung der Station gehören neben zwei leicht sadistischen Pflegekräften (Franziska Kleinert und Nele Winkler) einige Langzeitinsassen, Dirk zum Beispiel (Dirk Nadler): "Dirk ist ein Universum von Geheimnissen, die wir nie erfahren", wissen die anderen über ihn. Oder der verstörte Junge, der sich nach jedem Besuch seiner Mutter die Arme ritzt, weil er es anders nicht aushält (Anil Merickan). Oder der stumme Riese, der stoisch mit den Besen seine Runde dreht (Christian Behrend). Oder der Mann, der mindestens zwei Persönlichkeiten ist und sich in die Endlosschleifen seiner Sätze verkriecht: "Ich bin müde, ich bin müde, hast du Angst, du hast keine Angst" (Sebastian Urbanski). Auftritt: der Neue auf Station, McMurphy (Jonas Sippel). Der Schriftzug auf seinem Shirt, "Unique", verspricht nicht zu viel. Als Erstes legt dieser ziemlich einzigartige Mensch einen Tanz hin, als wollte er mit jeder seiner Bewegungen das Leben feiern und festhalten und genießen, sogar an diesem hässlichen Ort. McMurphy kommt aus dem Gefängnis, vielleicht simuliert er die Krankheit für den Psychiatrieaufenthalt nur, um im Knast nicht arbeiten zu müssen - auf jeden Fall ist sein Eigensinn für das Disziplinregime der Anstalt ein gefährlicher Defekt, der Mann muss gebrochen werden.

Jonas Sippel ist seit zehn Jahren im Rambazamba-Ensemble, ein Vollprofi, der sich die Bühne nimmt und mit seinem Lebensmut McMurphy zum Leuchten bringt. Er macht aus den Gesten der Verweigerung und Renitenz großes Slapstick-Kino, etwa wenn er beim Anlegen der Anstaltskleidung sehr lustig klar macht, wer hier ab jetzt das Sagen hat. Als er seine Stiefel ausziehen muss, riecht er genussvoll am Fußbett - und hält den Schuh dann dem Pflegepersonal so dicht wie möglich vor die Nase: Nehmt das!

Haußmann und die Rambazamba-Schauspieler machen aus Ken Keseys Psychiatrie-Roman (in der Bühnenadaption von Dale Wasserman) einen unglaublich charmanten und in seiner Menschenfreundlichkeit umwerfenden Abend, bei Laune gehalten auch von den sehr relaxten Musikern der Band Gespenster. In der verspielten Leichtigkeit wirkt das wie die Inszenierung eines sehr jungen, sehr begabten Regisseurs, der eine strahlende Zukunft vor sich hat und von dem man unbedingt mehr sehen will.

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