9/11:Raketen, Bomben und Gerüchte

Obskure Zeugenaussagen, grobkörnige Fotos und Videos - Grundlage für mindestens 100 verschiedene Verschwörungstheorien zum 11. September. Ein Buch widerlegt nun die populärsten von ihnen.

Jörg Häntzschel

"9/11 was an inside job", riefen einige heisere Stimmen in den Feierabendverkehr, also etwa: "9/11 wurde von der Regierung angezettelt", doch sehr zahlreich war das "Truth Movement" nicht vertreten, als es sich vergangene Woche am New Yorker Columbus Circle versammelte.

Obwohl aber nur eine Handvoll Verschwörungstheoretiker zu dieser Demonstration kam: Auch sechs Jahre nach den Anschlägen vom 11. September haben die unterschiedlichsten Theorien zu den Anschlägen nichts von ihrer Faszination verloren.

Wie bei allen großen, schockierenden Ereignissen der amerikanischen Geschichte, allen voran der Ermordung von John F. Kennedy, halten sie sich scheinbar ewig und haben ihren Platz auch in den Hinterköpfen der vernünftigeren Menschen - als eine alternative Version der Realität, die man sich sicherheitshalber zur möglichen späteren Neuvergabe aufhebt.

Über 100 Bücher erzählen mittlerweile ebenso viele Varianten der Ereignisse. Doch der eigentliche Ort der 9/11-Mythen ist das Internet: Allerorten findet man obskure Zeugenaussagen, grobkörnige Fotos und Videos, "die die Regierung SIE nicht sehen lassen will".

Die Zeitschrift Popular Mechanics hat nun die am häufigsten wiederholten Theorien von Spezialisten prüfen lassen. Das Buch "Debunking 9/11 Myths", das die Ergebnisse zusammenfasst, bestätigt in allen Punkten den "9/11-Commission Report", die offizielle Erzählung der Ereignisse.

Flugtechnische Anfänger wie die Terroristen sie waren, wären nie in der Lage gewesen, drei große Flugzeuge so präsise in ihr Ziel zu steuern, lautet einer der plausibleren Einwände gegen die offizielle Version. - Es ist ausgesprochen einfach ein Flugzeug zu steuern, widersprechen Experten - sofern man es nicht starten, landen oder durch schlechtes Wetter fliegen muss.

Außerdem sei die Ausbildung der vier Piloten so dürftig gar nicht gewesen. Warum wurden die Flugzeuge nicht abgeschossen oder zur Landung gezwungen? Es habe eine Anweisung gegeben, darauf an diesem Tag zu verzichten.

Tatsache ist: Der amerikanische Luftraum war weitgehend ungeschützt. Als die Fluglotsen verstanden hatten, dass die Flugzeuge in der Hand von Terroristen waren, war es zu spät, noch Maßnahmen zu ergreifen. Präsident Bush hat tatsächlich einen Befehl zum Abschuss von entführten Passagiermaschinen unterschrieben, doch das geschah erst, nachdem das vierte Flugzeug in den Acker in Pennsylvania gestürzt war.

Nicht genug Kerosin

Die Maschinen, die in die Twin Towers rasten, haben keine Fenster gehabt oder seien mit Raketen bestückt gewesen, heißt es. Und das Pentagon sei mit einer Rakete getroffen worden. Die Passagiere der drei Flüge habe man in das vierte Flugzeug gesetzt, um sie durch den Absturz zu töten. Auch das ist erwiesenermaßen falsch.

Die populärsten Theorien ranken sich um den Einsturz der Twin Towers und des Gebäudes World Trade Center 7. Der Aufprall der Flugzeuge und das Kerosin allein hätten nicht gereicht, um die Türme so stark zu beschädigen, heißt es. Sie müssen also zuvor mit Bomben bestückt worden sein.

Beweis dafür seien die Staubwolken, die beim Einsturz aus den Türmen traten. Die Experten haben den Kollaps der Statik jedoch Schritt für Schritt dargelegt. Dass Nummer 7 durch die Folgen der unkontrollierten Brände allein einstürzte, sei nicht nachvollziehbar, sagen die Verschwörungstheoretiker. Man habe es zum Einsturz gebracht.

Mal heißt es, um Daten aus dem städtischen Notfallzentrum, das darin eingerichtet war, zu vernichten, mal, um die Versicherungssumme zu kassieren. Unsinn, aber so weit verbreitet, dass sogar Ex-Präsidentschaftskandidat John Kerry daran glaubt: Ja, es sei kontrolliert zum Einsturz gebracht worden, aber nur um größeren Schaden an anderen Gebäuden zu vermeiden, sagte er bei einem Auftritt.

Widerlegungen gleich eingebaut

Wenn hier die offizielle Version der Mythenbildung Tür und Tor öffnet, dann tut sie das erst recht beim Anschlag auf das Pentagon. Die Überwachungskamera, deren "Video" als einziges Dokument des Aufpralls veröffentlicht wurde, nahm nur ein Bild pro Sekunde auf.

Der Moment, als die Boeing 757 auf die Fassade des Pentagon zuraste, fiel leider genau zwischen zwei dieser Aufnahmen. Für viele ist das Beweis genug, dass es sich gar nicht um ein Flugzeug, sondern um eine Rakete gehandelt habe. Die vielen Menschen, die das Flugzeug sahen, sind Teil der Verschwörung.

Auch der vierte Jet, United Airlines 93, ist Gegenstand etlicher Theorien. Die populärste: Er wurde in der Luft abgeschossen. Das bewiesen die winzigen und angeblich weit verstreuten Trümmer. Sogar der F-16-Pilot, der den Abschussbefehl ausführte, sei namentlich bekannt, heißt es.

Ein weiteres Indiz, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugegangen sei, seien die Handy-Anrufe aus dem Flugzeug, die technisch gar nicht möglich seien. Nach der Recherche von Popular Mechanics ist an alledem nichts dran.

Es liegt in der Natur von Verschwörungstheorien, dass ihre Widerlegung sofort in die angebliche Verschwörung eingebaut wird. Kaum hatten die Autoren von Popular Mechanics ihr Buch veröffentlicht, wurden sie als Komplizen des großen "cover up" angegriffen. Und der Theologe David Ray Griffin, der schon mehrere 9/11-Bücher geschrieben hatte, legte sofort mit dem dreimal so umfangreichen Buch "Debunking 9/11 Debunking" nach.

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