Erinnerungen:Toaster, Tod, Terrassentür

Rainer Moritz erkundet die bundesrepublikanische Welt der Väter.

Von Christoph Bartmann

Achtung, dieses Vaterbuch ist nicht dem beliebten Genre des dysfunktionalen Familienromans zuzurechnen. Dysfunktional war bei Familie Moritz in Heilbronn ganz wenig, wenn man der Erzählung des Sohnes Rainer trauen darf. Vielleicht brauchte es zur Schilderung dieser durchschnittlich einzigartigen Vater- und Familienwelt einen Erzähler wie Rainer Moritz. Der Kritiker, Literaturhausleiter und Autor erhellender Bücher etwa über Fußball und Schlager hat einst über den schwäbischen Landsmann Hermann Lenz promoviert. Wie Lenz hat Moritz kein Problem mit Harmonie. Wer also erwartet oder befürchtet, dass hinter dem Titel "Mein Vater, die Dinge und der Tod" Leichen im Familienkeller zum Vorschein kommen könnten, wird aufs Angenehmste enttäuscht.

Anfang 2015 wird der Sohn von seiner Mutter überraschend im Büro angerufen. Der bald neunzigjährige Vater sei gestorben, friedlich eingeschlafen. Kurt Moritz, Jahrgang 1926, war ein Mann wie viele Männer seiner Generation: tüchtig, aufstiegsorientiert, ein Familienmensch, Wandersmann, lebensfroh, ein großer Witze-Erzähler, der ungern Auskunft über seine Gefühle gab. Der Tod des Vaters inspiriert seinen Sohn, den väterlichen Dingen nachzuspüren. Ein schönes Wort des Schweizer Schriftstellers Gerhard Meier ist dem Buch vorangestellt: "So hat man über die Dinge immer auch Kontakt mit den Dahingegangenen". Es sind keine besonderen Memorabilien, eher Gegenstände des täglichen Bedarfs, von denen hier die Rede ist: ein Sessel, der Fernseher, die Stereoanlage, eine Lesekrippe, Dinge, in denen die väterliche Präsenz nach seinem Tod fortdauert.

"Für mich als Kind lebten die Eltern ewig. (...) Die Zeit streckte sich, dehnte sich, floss zäh."

Moritz grübelt auch einige Seiten lang über den Aschenbecher im Wohnzimmer und überhaupt über die Rolle, die das Rauchen damals spielte. Nichts richtig Spektakuläres scheint, jedenfalls nach dem Krieg, im langen Leben des Kurt Moritz passiert zu sein. Auch deshalb scheint durch diese Vatergeschichte stets das Allgemeine einer ganzen Generation durch. Dieser Vater in seiner uns so vertraut erscheinenden Dingwelt war einer wie viele. Man fragt sich, ob eines Tages ähnliche Dinge über unsereinen geschrieben werden? Werden wir auf dieselbe Weise "Typus" geworden sein, oder ist in der Zwischenzeit gesellschaftlich etwas eingetreten, etwa die Ulrich Beck'sche "Individualisierung" oder Reckwitz' "Gesellschaft der Singularitäten", nach der wir einander weniger gleichen als noch vor ein, zwei Generationen?

Moritz ist wirklich gut darin, die väterliche Lebenswelt mit ihren Toastern und Terrassentüren zu erforschen. Hinzu kommt aber, dass der Autor hier ganz nah bei seinen Themen ist und ihnen noch eine neue biografische Dimension erschließt. Moritz ist ein Experte für die Trivia der (relativ) heilen bundesrepublikanischen Welt; nach diesem Buch verstehen wir besser, wo er seinen Blick geschult hat.

Sich selbst spart der Autor nicht aus bei seiner Expedition in die Vaterwelt. Es scheint, er wolle etwas von der Empathie nachtragen, die zu artikulieren der Elterngeneration so schwerfiel. Und er fragt sich nach seinem Umgang mit den eigenen Kindern, die eines Tages vielleicht seine Dinge sichten werden. "Für mich als Kind lebten die Eltern ewig", erinnert er sich, "bildeten sie einen fest gemauerten Schutzraum, in dem ich aufwuchs. (...) Die Zeit streckte sich, dehnte sich, floss zäh." Ein bisschen langweilig war's manchmal, aber auch sehr behaglich "im Kokon der Familie". Dank Rainer Moritz haben wir nun von diesem Zustand, den wir alle kennen, wieder eine klarere Vorstellung.

Rainer Moritz: Mein Vater, die Dinge und der Tod. Verlag Antje Kunstmann, München 2018. 192 Seiten, 20 Euro.

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