Rätselhaftes Russland:Hilfe, Götterpenis!

Rätselhaftes Russland: Wildes Regulieren, nun auch seitens der Exekutive: Das Innenministerium in Moskau warnt vor den Gefahren des Selfie-Machens. Abb: Innenministerium

Wildes Regulieren, nun auch seitens der Exekutive: Das Innenministerium in Moskau warnt vor den Gefahren des Selfie-Machens. Abb: Innenministerium

Eine Auswahl von Vorschlägen russischer Abgeordneter, die neue, absurd restriktive Gesetze in der Duma oder anderen Parlamenten verabschieden wollen.

Von Tim Neshitov

Der russische Hundertrubel-Schein zeigt eine Apollo-Statue vor dem Bolschoi-Theater. Roman Chudjakow, ein Duma-Abgeordneter von der Liberaldemokratischen Partei Russlands (LDPR), fordert seit vergangenem Herbst, dass alle im Umlauf befindlichen Hundertrubel-Scheine eingezogen werden sollen. Es stört den Abgeordneten, dass man, wenn man den Geldschein aufmerksam betrachte, den Penis des griechischen Gottes erkenne - davor müssten die Kinder geschützt werden. Nach der Restaurierung des Bolschoi-Theaters 2011 wurde das Original der Statue mit einem Feigenblatt versehen, auf den Geldscheinen sieht man den Gott aber noch nackt.

Chudjakows Kollege Igor Sotow von der Partei Gerechtes Russland wünscht sich auf der Krim ein Staatskomitee für Weinherstellung, an dessen Spitze Gérard Depardieu berufen werden solle, der französische Schauspieler mit russischem Pass.

Michail Degtjarjow (LDPR) regt seinerseits an, man müsse den Kreml in Moskau weiß streichen - als "Symbol der Priorität der moralischen und sittlichen Normen im Alltag unserer Bürger und Herrscher (sic), als Gegengewicht zum moralischen Verfall in den Ländern der westlichen Zivilisation". Der gleiche Abgeordnete hatte schon die Idee, man möge Kindern, Hunden und Katzen verbieten, nach 22 Uhren jeweils zu weinen, zu bellen oder zu trampeln.

Das klingt erst mal nach Psychiatrie beziehungsweise so, als hätte das Parlament in Moskau keine weiteren Sorgen. Aber die Lawine legislativer Vorschläge, die seit der Krim-Annexion an Fahrt aufgenommen hat, zeugt von mehr als heiterer Paranoia. Es sind Initiativen dabei, die durchaus Gesetz werden könnten - und über die man spätestens dann nicht mehr wird lachen können. Die russische Polizei soll etwa das Recht bekommen, gezielt auf Frauen zu schießen. Momentan darf die Polizei das noch nicht, wie sie auch in der Nähe großer Menschenansammlungen nicht das Feuer eröffnen darf. Beides soll erlaubt werden.

Zwei Abgeordnete von Wladimir Putins Partei Einiges Russland haben die Generalstaatsanwaltschaft aufgerufen, zu prüfen, ob die Entlassung der baltischen Sowjetrepubliken in die Unabhängigkeit im Jahr 1991 rechtens war. Die Kolumnistin der Nowaja Gaseta, Julija Latynina, rollt mit den Augen: "Sagen wir, die Staatsanwaltschaft entscheidet, es sei nicht rechtens gewesen, und dann? Estland, Lettland und Litauen werden, Tränen wischend, beschämt uns in die Arme laufen? Oder werden wir in diesen Nato-Ländern einmarschieren und den Dritten Weltkrieg beginnen?"

Gleichzeitig gibt es Volksvertreter, die den Fremdsprachenunterricht an Schulen kürzen wollen. Irina Jarowja von Einiges Russland wundert sich: "Bürger welchen Landes erziehen wir hier eigentlich?"

Das Fernsehen vermeldet zwar astronomische Zustimmungsraten für Staatschef Putin, aber im Volksmund heißt die Duma einfach "der verrückte Drucker". Bei weitem nicht alles, was dieser Drucker ausspuckt, wird Gesetz, aber manche Parlamentsdebatten schaffen nachrichtliche Blasen, die wirksam von der Wirtschaftskrise ablenken.

Noch einige Beispiele: Jelena Misulina von der Partei Gerechtes Russland will den Oralsex verbieten. Geschiedene Mütter, die mit ihren Kindern Urlaub am Strand machen, will sie mit bis zu zehn Jahren Haft "bestrafen". In Sankt Petersburg verlangt Witalij Milonow, Abgeordneter des Stadtparlaments, dass Frauen, die bis zu ihrem 23. Lebensjahr keine Kinder bekommen haben, gefälligst in die Armee eingezogen werden. Der gleiche Abgeordnete hat bereits dafür gesorgt, dass "Propaganda von Homosexualität und Pädophilie unter Minderjährigen" in Sankt Petersburg unter Strafe gestellt wurde, noch bevor Wladimir Putin ein ähnliches Gesetz 2013 für ganz Russland unterschrieb.

Auch die Exekutive beteiligt sich neuerdings am Regulierungswahn. Das russische Innenministerium hat Richtlinien zur Smartphone-Fotografie erlassen. Man soll in Zukunft demnach keine Selfies machen: Mit wilden Tieren, auf Eisenbahngleisen, auf Dächern und Autobahnen. Und ja, auch auf Strommasten besser nicht.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: