Rätselhafter Doppel-Selbstmord:Alles nur halluziniert?

Jeglichen Verschwörungstheorien zum Trotz: Scientology hatte bei dem Selbstmord des Künstlerpaares Jeremy Blake und Theresa Duncan seine Finger nicht im Spiel.

Holger Liebs

Am Abend des 17. Juli zog ein Mann am Rockaway Beach bei New York seine Kleider aus, ging ins Meer und verschwand. Sein Körper wurde fünf Tage später vor der Küste New Jerseys gefunden; inzwischen steht fest: Der Mann war der 36-jährige Künstler Jeremy Blake. Er starb eine Woche, nachdem seine langjährige Freundin, die 40-jährige Autorin und Bloggerin Theresa Duncan ("The Wit of the Staircase", theresalduncan.typepad.com), in ihrem Apartment im East Village Selbstmord begangen hatte. Blake hatte sie dort gefunden.

Rätselhafter Doppel-Selbstmord: In Theresa Duncans Weblog (theresalduncan.typepad.com) schrieb der Publizist Glenn O'Brien einen Nachruf auf sie.

In Theresa Duncans Weblog (theresalduncan.typepad.com) schrieb der Publizist Glenn O'Brien einen Nachruf auf sie.

(Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Dieser doppelte Suizid ist um so rätselhafter, als die beiden als brillante Künstler und vor allem als glückliches Paar galten. Blake stand gerade an der Schwelle zum ganz großen Erfolg im Kunstbetrieb. Das Ende des Künstlerpaars befeuert Gerüchte, nach denen sie sich von der Scientology-Sekte verfolgt gefühlt haben sollen, wie die "L.A. Times" berichtet. Freunde hätten ansteigende "Paranoia" wegen angeblichen "Stalkings" bei den beiden festgestellt.

Blake wurde Ende der Neunziger bekannt durch psychedelische, farbgesättigte Animations-Videos, fließende, blasenwerfende, verwischte Formen, kombiniert mit Fotografien aus Kinoszenen. Mit diesen Arbeiten wollte er eine Brücke von der Malerei zum Film schlagen; er nannte sie "elektrische Gemälde", generiert aus "Hollywoods psychischem Mülleimer".

Bald stellten das Los Angeles Museum of Contemporary Art, das MoMA, die New Yorker Whitney-Biennale und das San Francisco Museum of Modern Art Blakes Arbeiten aus; der Regisseur Paul Thomas Anderson ("Magnolia") beauftragte ihn, abstrakte Farbzwischenblender für seinen Film "Punch Drunk Love" anzufertigen; für den Musiker Beck schuf er ein halluzinatorisches Video zum Song "Round the Bend". Blake entwarf auch das Cover für Becks Album "Sea Change". Beck ist Scientologe.

Die Verschwörungstheorien um eine angebliche Bedrohung haben sich aber nicht erhärtet. Duncan und Blake galten als "golden couple"; sie verkehrten in intellektuellen Zirkeln an beiden Küsten der USA. Blake, früher eng mit der Punkszene in Washington verwoben, offenbarte in seinen jüngeren Werken einen Hang zu morbiden Themen.

So drehte er halbabstrakte Videos über den britischen Modeschöpfer Ossian Clark, der 1996 von seinem Liebhaber ermordet wurde, sowie über die Gewehrindustrie-Erbin Sarah Winchester, die sich in ihrer Villa in San José von den Geistern der Winchester-Opfer verfolgt fühlte. Blakes Vater, der in den Siebzigern oft im legendären "Studio 54" in Manhattan zu Gast war, starb an Aids, als Jeremy 17 war.

Er interessiere sich für "kosmopolitische und utopische Phantasien", sagte Blake einmal, der auch ein Faible für die britische Popkultur der Sechziger hegte. In jüngerer Zeit hätten sich die beiden extrem abgeschottet, wie Freunde zitiert werden. Sie waren im Februar von Los Angeles nach New York gezogen, weil Blake dort als Graphikdesigner für einen Computerspiele-Hersteller arbeitete.

Am 10. Juli, dem Tag ihres Todes, stellte Duncan ein Zitat des Autors Reynolds Price ins Netz: "Ein Bedürfnis, Geschichten zu hören und zu erzählen, ist für die Spezies Homo sapiens essentiell - augenscheinlich weniger notwendig als Ernährung, aber noch mehr als Liebe und Schutz."

Am Ende waren es wohl am ehesten die engen Bande zwischen den beiden, die Jeremy Blake in den Freitod trieben. Bei seinen Kleidern am Rockaway Beach wurde eine Notiz gefunden, in der er Bezug nahm auf Duncans Selbstmord.

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