Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Stilles Pathos

Die hohe Klavierkunst des Weltklassepianisten Radu Lupu zeigte sich auf vermeintlichen Nebenschauplätzen. Jetzt ist er in Lausanne gestorben.

Von Helmut Mauró

Kaum ein Pianist von Weltrang hielt sich so sehr zurück wie der rumänische Tastenkünstler Radu Lupu. Das galt für sein Auftreten in der Öffentlichkeit, mitunter auch für sein Spiel. Er war auch einer der wenigen, die einen Stuhl mit Lehne mitbrachten, um es sich am Flügel bequem zu machen. So schien es. Wenn man genauer hinsah, bemerkte man, dass Lupu keineswegs den Oberkörper abstützte, sondern diesen in sensibler Balance hielt zwischen Angelehntheit und aufrechter Haltung. Die Lendenwirbel mochten fixiert sein, darüber aber schwebte der Oberkörper ruhig und sicher, sodass sich Arme und Hände frei bewegten. Dieser geerdete Schwebezustand bestimmte sein Spiel.

Radu Lupu, der am 30. November 1945 im westmoldawischen Galatz geboren wurde, trat im Alter von zwölf Jahren mit eigenen Werken auf. Man kann also davon ausgehen, dass er sich seiner künstlerischen Berufung früh bewusst war. Entscheidende klavieristische Impulse mag er von seiner Lehrerin Florica Musicescu erfahren haben, die auch Dinu Lipatti unterrichtete, und sicherlich hat ihn das Studium in Moskau bei Heinrich Neuhaus und dessen Sohn Stanislaw beeinflusst. In den Sechzigerjahren gewann er Wettbewerbe, 1966 den Van-Cliburn, 1967 den George-Enescu, 1969 die Leeds Piano Competition. Es folgte eine internationale Spitzenkarriere, sein Repertoire konzentrierte sich auf die Wiener Klassiker und die deutsche Romantik, dazu gerne auch Claude Debussy und Alexander Skrjabin.

Radu Lupu schuf allein durch seine Präsenz den wenigen Akkorden jenen Raum, den sie brauchen, um ungeheure Wirkung zu entfalten

Die tiefsten Eindrücke aber hinterließ Lupu oft mit pianistisch weniger spektakulären Werken, mit effektärmeren Stücken. Sei es das Andante einer Schubert-Sonate oder Beethovens c-Moll-Konzert mit dem Israel Philharmonic Orchestra unter Leitung von Zubin Mehta. Wenn er im Largo nach dem ersten Akkord innehielt und einen zeitenthobenen E-Dur-Akkord in den Raum stellte, der sich kaleidoskopartig nach H-Dur und schließlich zum c-Moll-Trugschluss verschob, dann weitete Lupu den Beginn dieses zweiten Satzes allein durch die Strukturierung der Zeitdimension geradezu ins Kosmische.

Dieser Satz ist so komponiert, dass nur derjenige Pianist, der sich vollkommen zurücknimmt, die bebende Glut dieses Beginns entfachen kann. Jeder, der das Schweigen des Orchesters nutzt, um sich eitel in Szene zu setzen, wird hier scheitern. Viele Pianisten drängen verängstigt nach dem sicheren Schoß des Orchesterklangs, Radu Lupu hielt das Alleinsein aus, schuf allein durch seine Präsenz den wenigen Akkorden jenen Raum, den sie brauchen, um ungeheure Wirkung zu entfalten.

Man kann diesem Largo-Beginn nur zu der nötigen Größe verhelfen, wenn man selber innere Glut und Größe besitzt. Was man nicht braucht, ist äußere Größe und Tastendonner. Radu Lupus Werkverständnis ermöglichte immer ein stilles Pathos, das sich noch im entlegensten Schubert-Impromptu wundersam offenbarte. Es gibt nichts Inspirierendes als solch beseelte Konzentration, solch kreative stoische Gefasstheit. Am 17. April verstarb Radu Lupu im schweizerischen Lausanne.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5568636
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/rjb
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.