Süddeutsche Zeitung

Debatte um Jörg Bernig:"Wir haben einen Teilsieg errungen"

Der Musiker Günter "Baby" Sommer über die vorerst verhinderte Ernennung des AfD-nahen Autors Jörg Bernig zum Kulturamtsleiter in Radebeul und die Kulturszene in Sachsen.

Interview von Peter Laudenbach

Radebeul in Sachsen schafft es nicht oft in die überregionalen Schlagzeilen, aber die Wahl des neurechten Schriftstellers Jörg Bernig zum Kulturamtsleiter löste landesweit Empörung aus. Der Musiker Günter "Baby" Sommer lebt in Radebeul und ist einer der Initiatoren eines offenen Briefs gegen die Ernennung Bernigs. Sommer ist eine Free-Jazz-Größe, war es bereits zu DDR-Zeiten. Weil dem Schlagzeuger Systemgrenzen eher egal sind, war sein Spiel als DDR-Bürger so offen und experimentell wie nach dem Mauerfall. Der Schock über die Wahl Bernigs sitzt tief - auch wenn es inzwischen Hoffnung gibt.

SZ: Warum hat Sie die Wahl Jörg Bernigs so empört?

Günter "Baby" Sommer: Ich befürchte, dass unter einem Kulturamtsleiter Jörg Bernig die bunte Kunst- und Kulturszene der Stadt Schaden nehmen würde. Er hat sich in seinen Veröffentlichungen sehr AfD-nah positioniert. Ich halte die AfD für die kulturfeindlichste Partei in der demokratischen Parteienlandschaft. Sie sieht ihre Aufgabe offenbar in der Errichtung einer identitätsstiftenden Nationalkultur. Aus Bernigs Schriften und Äußerungen spricht nicht gerade ein freiheitlicher Geist der Kunst. Seine Texte sind voller Ressentiments gegen Ausländer und Muslime. Diese fremdenfeindliche Haltung ist allem, woran ich als Künstler und als Mensch glaube, diametral entgegengesetzt.

Er wurde von einer Stadtratsmehrheit mit Stimmen unter anderem von CDU und AfD zum Kulturamtsleiter gewählt. Sollte man das nicht respektieren?

So ein Amt ist nicht dafür da, dass sich jemand mit fragwürdigem Ruf und ohne jede Verwaltungserfahrung darin ausprobiert. Radebeul ist meine Heimat. Ich kam zwei Stunden nach meiner Geburt in diese Stadt, seitdem lebe ich hier. Bei all meiner internationalen Umtriebigkeit als Musiker - ich wollte nie weggehen. Wir haben in Radebeul wirklich eine vitale Kulturszene, mit einem Jazz-Festival, mit Ausstellungen moderner Kunst, mit Lesungen. Dieses über viele Jahre gewachsene, weltoffene Kulturangebot unserer Stadt wollen wir verteidigen. Das kommt nicht von Parteien, sondern von den Bürgern, die hier leben. Unser offener Brief hat inzwischen über 500 Unterzeichner aus Radebeul und Umgebung, Künstler und Menschen, denen Kunst etwas bedeutet. Unter den Erstunterzeichnern sind auch Angestellte des Kulturamts, die damit ihren Job riskieren. Sie trauen Jörg Bernig nicht zu, das Amt verantwortungsvoll zu führen.

Der Vorsitzende der sächsischen SPD, Martin Dulig, schreibt auf Facebook, die Wahl Bernigs sei von der rechts-konservativen Werteunion "gezielt gesteuert" worden. Wie sehen Sie das?

Das habe ich auch gehört, aber ich kenne niemanden von der Werteunion. Die offene Zusammenarbeit von AfD und CDU bei dieser Berufung, das erinnert doch stark an die verunglückte Wahl des FDP-Politikers Kemmerich zum thüringischen Kurzzeit-Ministerpräsidenten mit Stimmen von AfD, CDU und FDP. Der sächsische CDU-Vorsitzende und Ministerpräsident Michael Kretschmer hat damals gesagt, eine Zusammenarbeit mit dieser in Teilen rechtsextremen Partei dürfe sich nicht wiederholen, weder direkt noch indirekt. Daran wollen wir ihn erinnern. Wir haben Herrn Kretschmer zu einem Gespräch nach Radebeul eingeladen. Wir wollen wissen, wie das Verhalten der CDU-Fraktion in Radebeul zu seinen Erklärungen passt.

Wie würden Sie das Verhältnis der sächsischen AfD zur Kultur beschreiben?

Man kann immer wieder ihre Androhungen lesen, welche Institutionen sie gerne auf den Prüfstand stellen wollen. Dem AfD-Blatt Blaue Post entnehme ich, dass sich die Partei in Dresden gegen jede öffentliche Förderung politischer oder provokanter Kunst wendet. Wir haben in Dresden das wunderbare Festspielhaus Hellerau für zeitgenössische Musik und Theater. Das greift die AfD stark an. Wenn die AfD Einfluss auf die Kulturpolitik bekommen sollte, ist die zeitgenössische, liberale Kunst bedroht.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Jörg Bernig hat in renommierten Verlagen veröffentlicht, Preise erhalten und ist PEN-Mitglied. Es gibt linke Künstler, weshalb soll es keine rechten Künstler geben?

Natürlich soll Herr Bernig denken und schreiben, was er für richtig hält, und seine Bücher veröffentlichen, wo immer er mag, selbstverständlich. Aber wir wehren uns dagegen, dass er in einem öffentlichen Amt Einfluss auf das Kulturleben unserer Stadt erhält. Er lebt in Radebeul, aber ich habe ihn nie bei Vernissagen oder Konzerten gesehen.

Radebeul ist eine kleine Stadt. Kennen Sie ihn persönlich?

Nein, ich bin ihm nie begegnet. Ich höre von Bekannten, die ihn persönlich kennen, er sei ein kluger, eigenwilliger Kopf und ernsthafter Schriftsteller. Deshalb ist ja die Verwunderung über seine politischen Äußerungen so groß. Er hat sich offenbar in den letzten Jahren immer stärker radikalisiert und ist vom Konservativen ins Völkisch-Nationalistische abgedriftet. Das fing wohl 2015 an. Er hat eine Entwicklung genommen, die viele seiner früheren Bekannten nicht nachvollziehen können. Zu dieser Radikalisierung gehört, dass er die "Charta 2017" des Kreises um die rechts-konservative Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen unterzeichnet hat.

Darin wurde behauptet, die Bundesrepublik sei "nicht mehr weit von einer Gesinnungsdiktatur entfernt". Wie erklären Sie sich das?

Sie inszenieren sich als verfolgte Unschuld. Die Buchreihe, die Frau Dagen herausgibt, und in der auch Jörg Bernig einen Titel veröffentlicht hat, nennt sich "Exil", so als müssten sie ins Exil gehen. Das ist eine Beleidigung der Menschen, die vor den Nazis fliehen mussten. Wissen Sie, an welchem Datum die Reihe veröffentlicht wurde? Am 7. März. Der 7. März 1933 war der erste Tag der Bücherverbrennung in Dresden, initiiert vom NS-Studentenbund, zwei Monate vor der Bücherverbrennung in Berlin. Jörg Bernig, Frau Dagen und die anderen setzen sich mit den Schriftstellern und Verlegern gleich, deren Bücher von den Nazis verbrannt wurden. Das ist anmaßend.

Wie geht es jetzt in Radebeul weiter?

Wir haben einen Teilsieg errungen. Der Oberbürgermeister hat sein Veto gegen die Berufung eingelegt. Jetzt muss der Stadtrat in vier Wochen erneut entscheiden.

Befürchten Sie eine politische Spaltung der Stadt?

Ja, das befürchte ich. Es wäre schön, wenn es nicht so weit kommt.

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Quelle:
SZ vom 29.05.2020/luch
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