Raddatz-Buch über Verleger Ledig-Rowohlt:Ehe auf dem Buchpapier

Fritz J. Raddatz und Heinrich Maria Ledig-Rowohlt

Die Freundfeinde in fröhlicher Umarmung: Fritz J. Raddatz und Heinrich Maria Ledig-Rowohlt

(Foto: Archiv Rowohlt Verlag)

Es wird getrunken, gehurt und gelesen: In seinem letzten Buch beschreibt Fritz J. Raddatz die Freundschaft zu Verleger Heinrich Maria Ledig-Rowohlt. Für ihn selbst ist es "die Geschichte zweier Männer, die einmal fast einer gewesen sind".

Von Willi Winkler

Als sein Vater starb, 1960, bestellte Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, der spät legitimierte Sohn, den neuen Verlagsmitarbeiter zu sich: "Raddatz soll rüberkommen zu Ledig ins Haus." Raddatz folgte. Im Haus ist es still, der Sohn versinkt in einem literaturmäßig tiefen Sessel, "in der Stille klirrten die Eiswürfel im großen Whisky-Glas wie schepperndes Totengeläut". Raddatz, so erzählt es Raddatz in seinem Buch "Jahre mit Ledig", "ging hinter seinen Sessel, umarmte still Schultern und Rücken - die einzige körperliche Beziehung; wir haben uns nie auch nur die Hand gegeben". (Im Buch findet sich freilich ein Foto, das die beiden in fröhlichster Umarmung zeigt.)

Trotzdem besteht Fritz J. Raddatz darauf, dass sie ein homoerotisches Verhältnis hatten; er nennt es eine Ehe, "auf Buchpapier geschlossen" beziehungsweise, wie das so ist in besseren Abhängigkeitsverhältnissen: "Ich hatte die Ideen, und es war Ledig, der das ermöglichte".

Einen Tag nach Raddatz' geplantem Tod am 26. Februar ist diese "Erinnerung" an seinen Freundfeind Ledig-Rowohlt erschienen, als wär's nicht bloß ein Stück von ihm, sondern sein letztes Wort. Wer mag, kann es als Testament lesen, und folgte damit dem Autor.

Wunderkammer voller Anekdoten und Erinnerungen

"Dies ist die Geschichte zweier Männer, die einmal fast einer gewesen sind", verspricht er und gibt sich damit die Lizenz zum ungehemmten Schwärmen, die Gelegenheit zur Selbstfeier keineswegs verschmähend. Alliterationsbegeistert spricht Raddatz von seinem "gockelnden Größenwahn" und mag auch auf Ledigs Ruhmrede "Sie sind ein Teufel" nicht verzichten. "Der sensible Elefant" Ledig, seine Arroganz, seine Kränkbarkeit, das ist immer auch er selbst, der leider nur Angestellte.

Das Buch ist eine Wunderkammer voller Anekdoten und Erinnerungen an Jahre, die kaum einer mehr aus eigenem Erleben kennt. Neun Jahre wirkte Raddatz als Programmchef und stellvertretender Verlagsleiter im Rowohlt-Verlag, oft an einem Tisch mit Ledig, oft auch darunter, offenbar immer lustig und fidel, auf der Reeperbahn natürlich und bei den Empfängen auf der Buchmesse.

Fritz J. Raddatz: "Jahre mit Ledig"

Eine Leseprobe stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Es wird getrunken, gehurt, es wird auch gelesen und offenbar genug verdient, dass Raddatz wie sein fast angeheirateter Zwilling regelmäßig nach Paris, Mailand und New York reisen kann, der Autoren-Akquise wegen, aber auch um die Nachgeborenen mit dem rechten Neid auf dies süße Leben zu erfüllen. Henry Miller spielt im neuen Verlagsgebäude in Reinbek Tischtennis mit Hildegard Knef, Raddatz speist gutbürgerlich mit Marlene Dietrich, Ledig rezitiert in Paris so lange Beckett, bis er an einen Laternenpfahl knallt, und die Welt draußen kann nur staunen über diese beiden kühnen Reiter im Wunderreich der Literatur.

"We shall go for ever and ever"

Großzügig ist Ledig, schenkt ihm zu einem Geburtstag eine Magritte-Zeichnung mitsamt zwölf kostbaren Regency-Gläsern, tröstet ihn bei Liebeskummer, verspricht ihm einen Verlagsanteil. Als ihm Rudolf Augstein vom Spiegel wieder einmal ein Angebot macht und Raddatz ablehnt, aber nicht zögert, seinen Chef, den Verlagshaupteigentümer, schnellstens davon zu unterrichten, versichert ihn der seiner ewigen Treue - "a-hunting we shall go for ever and ever or until death us parts".

Geschieden hat sie dann nicht der Tod, sondern ein Skandal um geheimdienstliche Nebenerlöse im Verlagsetat. Ledig warf Raddatz 1969 mit einem geschmerzten Telegramm aus dem Verlag, den er dann verkaufte.

Anekdoten genug für jedes bessere Party-Gespräch finden sich hier, so flitternd, wie der Connaisseur es aus Raddatz' beiden Bänden mit sorgfältig bearbeiteten Tagebüchern kennt. Den eifrigen Lobhudlern scheint jedoch entgangen zu sein, dass die "Jahre mit Ledig" fast vollständig und über weite Strecken wortgleich bereits in "Unruhestifter" zu lesen waren, den Memoiren, die Raddatz 2003 bei Propyläen herausbrachte.

Rowohlt als mit einem Krummsäbel bewaffnete Scheherezade

Wie dort schreibt er den Begriff radical chic (hier zum chique verfeinert) Susan Sontag zu, wo er doch vom Rowohlt-Autor Tom Wolfe stammt. Für den Philologen interessant sind die dezenten Veränderungen. Der "provinzielle Besserwisser" Walter Jens, den Ledig loswerden will, wird zum "spießigen Besserwisser", der "Schlangenledermantel", in dem die Schriftstellerin Gisela Elsner dramatisch ins Zimmer tritt, ist zum "Lackmantel" redigiert.

Doch die wildesten Formulierungen, darunter die orientalisch zusammengeträumte Liebeserklärung an den Rowohlt-Verlag, sind nicht neu, in ihrer byzantinischen Übersteigerung allerdings auch nicht mehr zu übertreffen. "Hätte sich mir am Alexanderplatz eine Fee auf den Schoß gesetzt: Rowohlt wären die zwei Silben meines ersten Wunsches gewesen, so bunt, so schön, so märchenfern wie eine Suleika irgendwo."

Die anderen Verlage: "Alles dürre Datteln tragende Kamele in der flirrenden Märchenwüste. Scheherezade mit rasendem Rappengalopp und diamantbesetzten flitzenden Krummsäbeln - das war nur Rowohlt." Rowohlt als mit einem Krummsäbel bewaffnete Scheherezade - auf so etwas kann nur der heillose Schwärmer Raddatz verfallen.

Vom Glanz ist um 1960 nicht mehr viel übrig

Der Lyriker Peter Rühmkorf kannte natürlich auch die ganzen Rowohlt-Legenden um Balzac, Fallada, Salomon und den Verlagsgründer, der keine Autoren, sondern Gläser zum Abendessen verspeiste. Von diesem Glanz ist um 1960 nicht mehr viel übrig; Ernst Rowohlt weilt zwar noch im Hause, "aß aber schon lange kein Glas mehr".

Der chronisch worttrunkene Raddatz hätte mindestens schildern müssen, mit welchem Schliff die Gläser kamen, wie viele davon in welchem Nussholzschrank standen, wer bei dem Aufgebot an Namhaftigkeiten alles dabei war und wie er, der Chronist, das Ganze zumindest post festum mit einer Sottise über das Partybanausentum in Rücksicht auf die gesamtgesellschaftlichen Weltläufte zu krönen wusste. Dieses Flirrende, bedenkenlos Kitschige ist eine hohe Kunst, und sie wird sich von keiner Schamgrenze einengen lassen.

Als Längerlebender behält Raddatz die Oberhand

Die schönste, die raddatzistischste Anekdote hat er dennoch nicht übernommen. Sie handelt von seiner Konkurrenz mit dem Schriftsteller Hubert Fichte, den er, Raddatz, doch gefördert hatte, und den Fichte dann in seinen eigenen Tagebüchern nachträglich schmähte. Als Längerlebender behält Raddatz auch hier die Oberhand. Als sie beide einen "Knabenpuff auf der Reeperbahn" besuchten, "wollte es das böse Schicksal, dass einer der auf Kunden wartenden Jungen ein Bändchen der 'edition suhrkamp' las, einen Essayband von mir".

Ah, dieser Triumph! Fichte, der Arme, hatte den Kürzeren gezogen und konnte da später nicht mehr hingehen.

Nach seinem Rauswurf bei Rowohlt lag Raddatz keineswegs auf der Straße, sondern setzte acht Jahre später, als ihn die Zeit holte, zu einem noch viel wilderen Wüstenritt an. Als ihm dort 1985 nach acht Jahren erneut das Ende drohte, intervenierte Ledig-Rowohlt vergeblich beim Verleger Bucerius und sogar beim Herausgeber Helmut Schmidt. So kann Raddatz die Geschichte zweier Männer, "die nie die Liebe vergessen konnten, die sie einst innig sein ließ", versöhnt zu Ende schreiben.

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