Rachel Salamander wird 70:Ehrlich, aber nie unversöhnlich

Rachel Salamander wird 70: Pionierin, Netzwerkerin: Rachel Salamander.

Pionierin, Netzwerkerin: Rachel Salamander.

(Foto: Hartmut Pöstges)
  • Als Tochter osteuropäischer Juden verbrachte Rachel Salamander die ersten sieben Jahre ihres Lebens im Displaced-Persons-Lager Föhrenwald südlich von München.
  • Mit ihrer "Literaturhandlung" schuf sie ein Fachgeschäft für jüdische Literatur und Publikationen zum Judentum. Inzwischen ist es ein weitverzweigtes Netz geworden.
  • In Deutschland können nur wenige so klar über jüdische Themen sprechen wie Salamander.

Von Anne Goebel

Als Rachel Salamander 1999 den Kulturellen Ehrenpreis der Stadt München erhält, im stets etwas angestaubt wirkenden Alten Rathaussaal, reist aus Berlin der Kulturstaatsminister an. Michael Naumann lobt die Preisträgerin, das Publikum lauscht, die wagenradartigen Kronleuchter glimmen. Dann ergreift Rachel Salamander das Wort und erinnert an die Anfänge ihres jüdischen Buchladens in der Stadt - fünfzig Jahre "nach der Entjudung des deutschen Buchhandels". Ein hässliches Wort steht plötzlich im Raum. Man glaubt, in den Reihen ein Erzittern zu spüren.

Rachel Salamander, die am heutigen Mittwoch ihren siebzigsten Geburtstag feiert, hat in ihrem Leben viele Auszeichnungen entgegengenommen. Die Rede in München vor 20 Jahren war eine unter vielen, und doch hat sie beispielhaft gezeigt: In solcher Klarheit über jüdische Themen zu sprechen, so präzise die Dinge beim Namen zu nennen, ohne unversöhnlich zu wirken, das können in Deutschland nicht viele. Es war eben nur eine leichte Erschütterung, damals im Festsaal. Denn vorne stand eine Frau, elegant, strahlend, mit flammend roten Haaren, die keinen Zweifel daran ließ, dass sie etwas Fruchtbares aufbauen möchte zwischen Juden und Nichtjuden in Deutschland. Die Wahrheit auszusprechen, ist dafür der erste Schritt.

Aus Rachel Salamanders "Literaturhandlung", dem Fachgeschäft für jüdische Literatur und Publikationen zum Judentum, ist längst ein weitverzweigtes Netz geworden. Es gibt sechs Filialen, unter anderem in Berlin, ungezählte Würdigungen haben die Einmaligkeit des Projekts betont, das 1982 seinen Anfang in der Münchner Fürstenstraße nahm. Ein Laden für jüdische Bücher und Bücher über Juden, im Land der Täter, in der einstigen "Hauptstadt der Bewegung": Das war damals "ein ungeheuerliches Novum", sagt Salamander und wirkt jedes Mal selbst ein wenig überrascht, wenn sie von der Wirkung ihrer Idee berichtet.

Projekt ist dafür nicht nur deshalb der richtige Begriff, weil am Anfang völlig unklar war, ob der Plan gelingen würde, sondern auch, weil die damals 33-Jährige mehr im Sinn hatte, als regalweise Bücher für Interessierte anzubieten. Es ging um einen Ort der Begegnung, der Reanimation des versunkenen jüdischen Kulturlebens. "Ich wollte all jene wieder einbürgern, die vertrieben und verbrannt worden waren."

Sie ist aufgewachsen zwischen Menschen, "die ein Stück Vernichtung in sich trugen".

Bekanntlich gelang beides. Die Literaturhandlungen scheinen zu florieren, auch in Zeiten labiler Buchgeschäfte. Vor allem der Stammsitz in München ist ein lebendiges Zentrum jüdischen und nichtjüdischen Lebens geworden. Lesungen und Diskussionen mit Autoren und Autorinnen von Henryk M. Broder bis Nicole Krauss haben über die Jahre einen wesentlichen Beitrag geleistet, um die "Befangenheit und Scheu im Umgang mit dem Thema Judentum" abzulegen, wie Salamander sagt. Von Laien über Schüler bis zu Studenten wird jeder Wissbegierige in der Literaturhandlung am Münchner Jakobsplatz fündig - inzwischen ist das Geschäft im 2006 eröffneten Jüdischen Zentrum untergebracht.

Rachel Salamander, die einige Jahre zusätzlich Herausgeberin der Literarischen Welt war, erzählt mit der Literaturhandlung auch ihre eigene Geschichte. 1949 als Tochter osteuropäischer Juden geboren, die dem Holocaust in der Sowjetunion entkamen, verbringt sie die ersten sieben Jahre ihres Lebens in Föhrenwald bei München, in einem Displaced-Persons-Lager für Überlebende des Holocaust. Für die Auswanderung nach Israel ist die Mutter zu schwach, sie stirbt 1953.

Als Mädchen, das hat Rachel Salamander oft erzählt, hat sie einerseits das Gefühl einer großen Leere geprägt, das Aufwachsen zwischen Menschen, "die ein Stück Vernichtung in sich trugen". Aber eben auch die "unendliche Geborgenheit", die sie ihr, dem Kind, gaben. Und nach dem Studium der Germanistik in München, nach der Promotion "dachte ich, es wäre eine gute Idee, das Verständnis für die Vielgestaltigkeit des jüdischen Lebens weiterzugeben". Und das hat sie dann auch getan.

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