Theater:Billiger sterben

Theater: "Wir nennen es eine soziale Plastik": Falilou Seck, Aysima Ergün und Niels Bormann (v. l.) machen in "Rabatt" ihr Geld mit Armenbestattungen und Massengräbern aus Plastik-Abflussrohren.

"Wir nennen es eine soziale Plastik": Falilou Seck, Aysima Ergün und Niels Bormann (v. l.) machen in "Rabatt" ihr Geld mit Armenbestattungen und Massengräbern aus Plastik-Abflussrohren.

(Foto: Lutz Knospe)

"Rabatt", das neue Stück von Nora Abdel-Maksoud am Berliner Maxim-Gorki-Theater.

Von Peter Laudenbach

Nora Abdel-Maksoud weiß, wie sich aktuelle Debatten, himmelschreiende Ungerechtigkeit, selbstgerechte Verblödung und andere Unverschämtheiten des Kapitalismus auf der Bühne in lustige Knalleffekte verwandeln lassen. Missstände aller Art und die freilaufende Dummheit sind der Rohstoff, den die angriffslustige Autorin, Schauspielerin und Regisseurin für ihre cleveren Theaterstücke verwendet. Sie erzeugt daraus mit Witz und guter Laune lauter schöne Dinge: Aufklärung, Kunst, Spaß und knallende Ohrfeigen für die bestehenden Verhältnisse und die Dödel, die es sich im Elend anderer Leute gemütlich machen.

Nora Abdel-Maksoud ist offenbar eine Theater-Alchemistin die, pardon, Scheiße in Gold verwandelt. Sie versteht sich darauf, die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, indem sie ihnen ihre eigene schräge Melodie vorspielt, um es mal mit den schönen Worten zu sagen, mit denen Karl Marx die Aufgabe der Ideologiekritik beschrieben hat. Logisch, dass sie mit der explosiven Mischung aus Entertainment, Wut und Klassenbewusstsein bestens zum Berliner Maxim-Gorki-Theater passt. Vor einem Jahrzehnt startete sie ihre Attacken auf das real existierende Elend mit ihren ersten Stücken im kleinen Kreuzberger Ballhaus Naunynstraße, dem Off-Theater, das Shermin Langhoff erfunden hat, bevor sie Gorki-Intendantin wurde.

Das verlaberte Meinungsbusiness ist ebenso Thema wie die anonyme Bestattung in Massengräbern

Die Uraufführung ihres neuen Stückes hat Nora Abdel-Maksoud auf der Gorki-Bühne selbst inszeniert. Es heißt "Rabatt" und schließt gleich mehrere Zumutungen kurz. Erstens: das verlaberte Meinungsbusiness, in dem Gesellschaftskritik zur gut verkäuflichen Talkshow-Ware wird. Zweitens: die unvermeidlichen und im Berliner Kreativprekariat wahlweise beneideten oder verhassten Kinder aus gutem Hause, die mit ihrer Erbschaft Selbstverwirklichung spielen, linke Phrasen als Gesinnungsparfüm zur Ego-Veredelung nutzen und ansonsten mit ihren Eigentumswohnungen den Wohnungsmarkt verderben. Das dritte Thema ist nicht so lustig: der Skandal, dass arme Menschen von den Behörden umstandslos anonym in Massengräbern beigesetzt werden.

Theater: Gewusst wie: Seit die Journalistin Dena (Orit Nahmias) "Meinungskorridore" aufmacht, laufen die Geschäfte.

Gewusst wie: Seit die Journalistin Dena (Orit Nahmias) "Meinungskorridore" aufmacht, laufen die Geschäfte.

(Foto: Lutz Knospe)

Für Thema eins, die Karriere im Meinungsgeschäft und Talkshow-Geplapper, ist die Journalistin Dena (Orit Nahmias) zuständig. Dass sie sich als Kolumnistin "auf Deutschland-Erwache.de, Welt und Zeit" outet, ist vermutlich ein kleiner Gruß an den Dichter und Denker Harald Martenstein. Sie weiß zwar nicht genau, was "linker Faschismus" sein soll, aber seit sie bei jeder Gelegenheit davon redet und bei Bedarf irgendwas über "Meinungskorridore" sagt, laufen die Geschäfte. Endlich lohnt es sich mal, als Frau mit Migrationshintergrund Unsinn zu reden! Es lohnt sich so gut, dass sich Dena eine Assistentin (Aysima Ergün) leisten kann, deren Job vor allen darin besteht, sich anschnauzen zu lassen. Wer will, kann das als kleinen Wink mit dem Zaunpfahl an die für ihre Ausraster berühmte Gorki-Intendantin Langhoff verstehen.

Dass der Sushi-Bote (Taner Sahintürk) in Denas Loft einen Herzinfarkt erleidet, dient als Übergang zum Genrewechsel in Richtung Trash. Plötzlich landen Dena und ihre Assistentin bei zwei Cowboys und Beerdigungsunternehmern aus der Hölle des Sozialstaats (Falilou Seck und Niels Bormann). Sie haben ihr Vermögen mit Armenbestattungen in Billigurnen und Massengräbern aus Plastik-Abflussrohren gemacht - "wir nennen es eine soziale Plastik". Weil die Brüder das halbe Dorf mit den Millionen aus dem Arme-Leichen-Entsorgungsgeschäft schmieren, ist ihr Kaff so reich geworden, dass keiner mehr die Schmutzarbeit machen will. Die menschlichen Überreste und auch sonst so einiges stinken zum Himmel! Dann wird es etwas wirr, die Pointendichte sinkt auf Fußbodenniveau. Man merkt der Show ein wenig zu deutlich an, dass das Bühnengeschehen vor allem von der Frage vorangetrieben wird, wie sich die verbleibenden 40 Minuten füllen lassen, um halbwegs auf Spielfilmlänge zu kommen. Der Aufführungsstil in der blauen Box (Bühne: Moira Gilliéron) ist eher Frontal-Comedy als Theater, aber immerhin ist es intelligente Comedy.

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