Raab beim Eurovision Song Contest:"Na also, geht doch"

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Der Sündenfall: Warum Pro-Sieben-Moderator Stefan Raab nun doch für die ARD den deutschen Juryvorsitz beim Eurovision Song Contest übernimmt.

Hans Hoff

Nun tritt er also doch ein: der Sündenfall. Die ARD beißt in einen ihr vor wenigen Wochen noch als viel zu sauer erscheinenden Apfel. Sie kooperiert für die Vorentscheidungen zum Eurovision Song Contest 2010 mit ProSieben und lässt Stefan Raab bei sich moderieren. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen sucht also erstmals in großem Rahmen den Beistand eines privaten Konkurrenten. Dabei hatte der vom Ersten umworbene Raab noch vor gut zwei Monaten seine Absage der Zusammenarbeit mit den angeblich zu komplizierten Entscheidungswegen der ARD begründet. Diese seien mit seiner Arbeitsweise nicht zu vereinen.

"Wadde hadde dudde da", sang Stefan Raab 2001 beim großen Fernsehwettsingen. Nun hat ihn die ARD, obwohl sie erst nicht wollte. (Foto: Foto: ddp)

Nun lässt er sich in einer Pressemitteilung des für den Eurovision Song Contest (ESC) federführenden NDR anlässlich der neuen Freundschaft lediglich zu einer einzigen, fast schon spöttisch anmutenden Bemerkung herab: "Na also, geht doch", heißt es dort. Es soll offenbar ein bisschen so klingen, als habe seine damalige Verweigerung die Sache erst vorangetrieben.

"Entscheidend ist das Ergebnis", erklärt Thomas Schreiber. Mit Details mag sich der Unterhaltungskoordinator der ARD derzeit noch nicht groß aufhalten. Die werde man Ende August, Anfang September auf einer Pressekonferenz mitteilen. Bis dahin gelte seine Aussage: "Eine gute Idee ist eine gute Idee."

Schreibers Erleichterung ist verständlich, schließlich haben ihm etliche in der ARD das Scheitern der Verhandlungen zwischen öffentlich-rechtlichem Senderverbund und Privatfernsehstar schon als Amtsversagen zugerechnet. Zu forsch sei er im Mai nach vorne geprescht und habe Entscheidungen gesucht, ohne die einschlägigen Entscheidungs- und Bedenkenträger vorher auf Betriebstemperatur gebracht zu haben. Dass mal wieder etwas zu ändern war nach dem blamablen Abschneiden des deutschen Beitrages beim diesjährigen ESC, dürfte zu dem Zeitpunkt auch dem letzten Programmdirektor und Intendanten klar gewesen sein. Zu schmerzlich ist die Erinnerung an die Stunden, in denen die Billigpopnummer "Miss Kiss Kiss Bang" des Retorten-Duos Alex Swings Oscar Sings in Moskau die Kunst des ganz großen Flops demonstriert hatte.

An sich war das der ideale Moment, um in der ARD so etwas wie Selbsterkenntnis und ein bisschen Kooperationsbereitschaft in Gang zu setzen. Nur hätte man wissen können, dass sich die Hierarchen des Ersten zu einer Entscheidung von dieser Tragweite nicht so ohne weiteres und vor allem nicht so schnell drängen lassen. Manch einem erschien allein der Umstand, dass man die hauseigene Restunterhaltungskompetenz künftig mit einem als Frechdachs gefürchteten Privatfernsehrüpel teilen sollte, wie ein Offenbarungseid. Und der ist es schließlich auch geworden.

Schließlich führt kein Weg vorbei an der Erkenntnis, dass die Fernsehkompetenz der ARD in Sachen moderner konkurrenzfähiger Popmusik inzwischen gerade noch zur Ausrichtung eines Liederabends im örtlichen Heimatverein taugt. Das liegt sicher auch daran, dass in der Vergangenheit allzu viel Show auf Mainstream und schnellen Quotenerfolg gebügelt wurde. Wer immer nur darauf schaut, wie er noch eine weitere Mutation der immer gleich anmutenden Pilawa-Formate ins Programm bringt, darf sich nicht wundern, wenn er hinterher kaum noch weiß, wie man gute Musik von schlechter unterscheidet, wie man vor allem noch Leidenschaft zeigt für das, was man da tut. Leidenschaft für die Musik und das Wissen um das richtige "Wie" der Show zeichnen aber einen wie Stefan Raab aus. Insofern muss man der ARD einen großen Sprung über den eigenen Schatten attestieren. Nicht nur hat sie ihr eigenes Unvermögen erkannt, sie war am Ende auch in der Lage, sich den besten Fachmann als Helfer zu holen. Dass der zufällig bei einem Privatsender arbeitet, ist in diesem Zusammenhang hinzunehmen.

Lesen Sie auf Seite 2, warum ein Sender die eigene Show ignoriert.

"Schlag den Raab"
:Baggern, Pusten, Radeln

Wieder einmal hat TV-Moderator Stefan Raab allen gezeigt, was man mit dem nötigen Willen erreichen kann - beim Baggern, Pusten und Radeln.

Zudem kann sich die ARD zugute halten, dass sie einen wie Raab schon früh beschäftigt hat. Lange war er Moderator beim jungen WDR-Radio Eins Live, wo er als "Professor Hase" unvergessene Auftritte hatte, und unter anderem on air in einem Quatschanruf versucht hat, bei der Lufthansa einen Flug von Köln nach Düsseldorf zu buchen. Solche Erlebnisse mögen ihm ein wenig bei der erneuten Annäherung geholfen haben. Schließlich weiß Raab seitdem aus eigener Erfahrung, dass sich in der ARD unterhalb der offiziellen Entscheiderebene durchaus noch flexibel handeln lässt.

Auch für die Intendanten spielten die jungen Radios eine entscheidende Rolle. Wenn nämlich in der ARD noch so etwas wie Kompetenz in Sachen Popmusik vorhanden ist, dann bei den jungen Wellen. Die sollen, heißt es nun, dementsprechend mit von der Partie sein, wenn es um die Wahl des Kandidaten für den Eurovision Song Contest am 29. Mai 2010 in Oslo geht.

Zuerst aber soll Stefan Raab bei Pro Sieben zur Bewerbung aufrufen. Gefragt sind diesmal nicht irgendwelche Schlagerroutiniers, sondern junge, bislang noch unbekannte Künstler. Gedacht ist an Neulinge, wie Max Mutzke oder Stefanie Heinzmann einst welche waren. Beide haben bei den bisher von Raab allein veranstalteten Nachwuchsmusiker-Wettbewerben viel Einsatz und sensationelle Stimmen gezeigt haben.

In der zweiten Welle mischen sich dann die jungen oder zumindest als jung geltenden ARD-Radios ein, von NDR 2 über Eins Live bis SWR 3. Sie rufen ebenfalls zur Teilnahme auf und liefern Wasserstandsmeldungen aus dem aktuellen Wettbewerb. Der spielt sich in fünf Vorentscheidungen bei Pro Sieben ab und wird sicherlich auch Thema in Raabs separater täglicher Show TV total. Das Viertelfinale zeigt dann die ARD, während Pro Sieben das Halbfinale ausrichtet und das Erste dann wieder das nationale Endspiel präsentiert. Mittelpunkt der Castings ist aber allein Stefan Raab, der als Moderator und Juryvorsitzender fungiert - auch und ausdrücklich im Ersten. "Wenn es um so eine große Sache geht, müssen Grenzen überwunden werden", sagt Andreas Bartl, Fernsehvorstand von ProSiebenSat1.

Im deutschen Finale werden den Zuschauern schließlich drei nur für Oslo komponierte Songs zur Wahl gestellt. Danach wird entschieden, wer den Siegertitel interpretieren darf. Erwartet wird, dass durch die senderübergreifende Kooperation zumindest hierzulande ein großes Interesse am deutschen Beitrag geweckt wird, egal wie später das Ergebnis in Oslo lautet. In diesem Jahr war der hohle deutsche Beitrag nicht nur von den ARD-Sendern selbst durchweg ignoriert worden. Stefan Raab hatte ihn in seiner Sendung als "Miss Piss Gang Bang" verhöhnt.

Mit dem Kommentar lag Raab zwar nochmal ein bisschen auf jenem Schmuddelkurs, auf dem ihn viele ARD-Entscheider lange gesehen haben. Inzwischen wissen sie aber, dass sich die Dinge geändert haben. Galt früher alles von Raab als Trash-TV und die ARD durchweg als kompetent, so ist nun ausgerechnet der einstige Abfallspezialist zu jenem Fachmann geworden, der dem Ersten zeigt, wie es seinen showtechnischen Restmüll am besten veredeln kann.

© SZ vom 21.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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