Róža Domašcyna:Bröckelnde Grenzen

Róža Domašcyna: Die sorbische Lyrikerin und Übersetzerin Róža Domašcyna, die sorbische und deutsche Einflüsse verbindet, stammt aus Zerna in der Oberlausitz und lebt in Bautzen. Sie liest am Dienstag, 20. November (20 Uhr), im Milla-Club.

Die sorbische Lyrikerin und Übersetzerin Róža Domašcyna, die sorbische und deutsche Einflüsse verbindet, stammt aus Zerna in der Oberlausitz und lebt in Bautzen. Sie liest am Dienstag, 20. November (20 Uhr), im Milla-Club.

(Foto: Privat)

Als Kind lernte ich, die Kontinente abzugrenzen. Europa ist, wo ich geboren bin und lebe. Wo die Orte, Felder, Wälder und Berge sind, die ich kenne. Oder auch die Eichen und Linden, von denen Heinrich Heine in seinem Gedicht "Nachtgedanken" erzählt, das er 1844 veröffentlichte.

Freilich, viele davon sind in der Lausitz den Kohlegruben gewichen, die von Folgelandschaften abgelöst wurden. Was darauf fest Fuß fassen will, muss sich noch bewähren. Die Menschen in meiner Nähe nennt man Europäer. Später kam das Geld-Europa. Und man dachte öffentlich darüber nach, die Türkei mit aufzunehmen. Das stand auf meiner schulischen Europakarte anders. Und auf der meines Großvaters im Diercke-Schulatlas für höhere Lehranstalten habe ich wieder andere Grenzen gefunden.

Damals wusste man sogar, wie Europäer aussehen. Viele Menschen in meiner Nähe sehen nicht so aus. Somit ist der Begriff vom europäischen Aussehen veraltet. Da kommen die Völkerwanderungen wieder ins Spiel. Die Abgrenzungen auf der Weltkarte bröckeln. Und Worte wie Nationalstaat mutieren zu Worten wie Regionalstaat. Quasi als Gegenbewegung zu jener Zeit, in der Heinrich Heine sein Gedicht schrieb und Widerstand gegen die Kleinstaaterei aufkam.

Vielleicht werden durch die stärkere Aufmerksamkeit für die Regionen auch die weniger angewandten Sprachen mehr Beachtung bekommen. Und Europa, das erfuhr ich ja damals schon als Kind, reicht bis zum Ural.

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