Datenrecherche #hassmessen:Unerträglich nah

Datenrecherche #hassmessen: Untersucht die Auswirkungen des Verschwörungsglaubens auf die Gesellschaft: Pia Lamberty.

Untersucht die Auswirkungen des Verschwörungsglaubens auf die Gesellschaft: Pia Lamberty.

(Foto: Daniel Pasche, Bearbeitung: SZ)

Die Sozialpsychologin Pia Lamberty klärt auf über Verschwörungsmythen. Und bezahlt dafür in der Pandemie einen hohen Preis. Ein Treffen in einem Versteck.

Von Philipp Bovermann

Als die "Alles dicht machen"-Videos erschienen, in denen dutzende Schauspieler ironische Apelle an "unsere erhabene Regierung" stellten, um die angeblich unsinnige Willkür der Pandemiemaßnahmen zu kritisieren, dachte sich Pia Lamberty schon, dass da wieder einiges kommen wird. Und die Mails kamen. Und Tweets. Und Facebook-Nachrichten. Und Instagram-Kommentare. Der ganze Hass.

"Pia Lamberty, Du Miststück, wir kriegen Dich bald, dann gnade Dir Gott!" So steht das dann da. Worte wie Säure, die sich durch die psychischen Schutzmechanismen ätzt, die man braucht, wenn man, wie Lamberty, im Jahr 2021 zu Verschwörungserzählungen forscht, auf Antisemitismus hinweist und eine Frau ist - und auch noch öffentlich in Fernsehinterviews auftaucht. Die Sozialpsychologin beschäftigt sich seit ihrem Studium mit "Geheimniswitterern", wie sie es einmal formuliert hat, mit den Auswirkungen des Verschwörungsglaubens auf die Gesellschaft. Das ist die theoretische Seite. Die praktische hat damit zu tun, dass man im Digitalzeitalter sehr viele Menschen mit nur einem Klick erreichen kann, zack, schon hat man ihnen etwas in den Posteingang gegrunzt. Sie sind so weit weg und zugleich so nah, seit alles online passiert. Je nach Perspektive.

Datenrecherche #hassmessen

Dieser Artikel ist Teil des Projekts #hassmessen. Die digitale Reportage zur Recherche und weitere Beiträge aus dem Themenschwerpunkt finden Sie hier: sz.de/hassmessen.

Nach "Alles dicht machen" sei es wieder besonders schlimm geworden, sagt Lamberty, während sie sich eine Zigarette dreht, auf einem Tisch in ihrem altmodischen Haus im Osten Deutschlands. Nach eskalierenden Demos der "Querdenker", oder wenn Prominente Verschwörungsideen wiederkäuten, steige die Zahl der Hassnachrichten, die bei ihr einlaufen, der Ton werde dann selbstbewusster, aggressiver. "Immer, wenn die sich auf Demos Raum verschaffen konnten, wenn sie das Gefühl hatten, die Polizei ist auf ihrer Seite, wenn die Gesellschaft sich nicht positioniert hat, dann kriege ich das ab." Und nicht nur sie. Es gebe ja noch viele andere, die nicht so eine große Reichweite haben, zu denen keine Süddeutsche Zeitung fährt, um nachzufragen, wie es ihnen mit den permanenten Anfeindungen geht. Sie kenne junge Wissenschaftlerinnen, die sich nicht mehr trauten, sich öffentlich zu ihrem Thema zu äußern. "Das verändert den Diskurs."

Sie überprüft regelmäßig, ob die Tür abgesperrt ist und die Fenster im Keller verschlossen sind

Diskurs. Auch so ein Elitenwort. Im Weltbild von Verschwörungsgläubigen steht Pia Lamberty als zentrale Figur in einem Netzwerk von Manipulatoren, die Corona angeblich benutzen, um die Macht einer kleinen Elite auszubauen. Einer ihrer wissenschaftlichen Aufsätze wurde, ohne, dass sie davon erfuhr, vom Weltwirtschaftsforum republiziert, man findet ihn auf dessen englischsprachiger Website unter der Rubrik "Agenda". Darauf haben sie sich in den entsprechenden Kreisen natürlich gestürzt, dabei bedeutet agenda auf Englisch soviel wie Themenkatalog. In Youtube-Videos wird der Sozialpsychologin unterstellt, dass sie mit "staatlicher oder metastaatlicher Unterstützung" angeblich "psychologische Kriegsführung" betreibe und "Andersdenkende diffamiert". Warum Lamberty über Sachen spreche, von denen sie gar keine Ahnung, fragt einer der Youtuber. "Was erdreistet die sich?"

Pia Lamberty

"Wir kriegen dich!" Wegen solcher Nachrichten geht Pia Lamberty nur noch mit Maske vor das Haus.

(Foto: Philipp Bovermann)

Der Klassiker, sagt Lamberty. Ihren männlichen Kollegen werde unterstellt, sie seien das pure Böse. Sie hingegen, als Frau, bekomme gesagt, sie sei einfach nur ahnungslos. Vielleicht selbst ein Opfer. Auf jeden Fall hässlich. "Rote Haare wie die rote Gesinnung", schrieb Atilla Hildmann an seine Tausenden Abonnenten auf Telegram. Er fügte auch ihre Mail-Adresse an. "Könnt ihr ja mal schreiben", um zu fragen, "wieviel Geld sie von Soros bekommt", schlug er vor. In Großbuchstaben.

Sie zeigte ihn an, über eine der Beratungsstellen für Opfer von Hassrede. Was daraufhin passierte oder vielmehr nicht passierte, erfuhr sie aus den Medien. Inzwischen soll Hildmann in die Türkei geflohen sein, nachdem er beinahe ein Jahr lang zum "WIDERSTAND!!!!!!" und zu Gewalt aufgerufen hatte. Lamberty schüttelt den Kopf, zündet sich die Selbstgedrehte an. Blickt aus dem Fenster, aus dem der Reporter gern guckt, aber nicht fotografieren darf. Was, wenn jemand etwas auf dem Foto wiedererkennt? Sie gehe nur noch mit Maske mit dem Hund raus, sagt sie. Nicht wegen der Viren, sondern wegen der Leute, die ihr schreiben, dass sie "bald dran" sei. Sie schreddert ihren Büromüll. Überprüft regelmäßig, ob die Tür abgesperrt ist, die Fenster im Keller verschlossen sind.

Das Irritierende am Onlinehass sei, dass er in der analogen Wirklichkeit unsichtbar ist - so lange, bis es zu spät ist. Auch Walter Lübcke habe solche Drohungen erhalten. "Man muss immer gegenchecken: Wie real ist die Bedrohung gerade? Man weiß es nicht. Es reicht eine Person, die meint, sie müsse zur Tat schreiten." Es gebe Tage, da könne sie gut damit umgehen. Aber die anderen Tage gebe es auch.

Dieses komische Gefühl, dass der Hass ihr Begleiter geworden ist, für immer

Lamberty hat im Sommer geheiratet, mitten in der Pandemie. Klein, unspektakulär, eine Lockdown-Trauung auf dem Standesamt. Ihr junger Hund saß dabei auf ihrem Schoß und war noch aufgeregter als sie. Kurz vor der Trauung checkte sie noch mal schnell ihr Handy. Was in der Nachricht stand, die sie sah, weiß sie nicht mehr. Sie erinnert sich nur noch an dieses komische Gefühl. Dass der Hass ihr Begleiter geworden ist, für immer.

Und trotzdem, sagt sie dann, sei es das wert. Ihr Forschungsgegenstand ist mit der Pandemie näher an sie herangerückt, zu nah, aber manchmal entstünde daraus auch Gutes. Nämlich dann, wenn die Angehörigen sprechen. Sie hält derzeit viele Vorträge, gibt per Videochat Seminare und Workshops für verschiedene Institutionen. Fast immer ist unter den Zuhörern jemand, der sich meldet und sagt, es gebe da diesen Fall in der Familie. Dann folgt die Geschichte - trotz der vielen unbekannten Zuhörer. "Wahrscheinlich", sagt Lamberty, "weil da sonst keiner ist". Von der Mutter im Sterbebett, für die sich der Vater nicht interessiert, weil er glaubt, Verschwörer seien hinter ihm her. Von Kindern, die unter der Situation leiden, denen die Eltern aber nicht erlauben, sich Hilfe zu suchen, weil die Therapeuten angeblich auch in der Sache drinsteckten. "Es sind so viele", sagt Lamberty. "Da ist immer ganz viel Überforderung."

Was sie aus diesen virtuellen Begegnungen gelernt hat, soll nun in ein neues Buch einfließen. Das letzte, "Fake Facts", erschienen im Mai 2020, das sie zusammen mit Katharina Nocun schrieb, zu einer Zeit, als man bei Corona noch an Bier dachte, stützte sich hauptsächlich auf Datenanalyse. "True Facts", wieder mit Katharina Nocun, ist nun eine mit Expertinnen und Experten erarbeitete Handreichung. Untertitel: "Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft". Das Buch erscheint Ende Mai. Genau ein Jahr später, in dem viel kaputt gegangen ist.

Aber auch, wenn die Gesellschaft genesen sollte von dem Virus, das die Körper befallen und die Hirne vergiftet hat, wird für Lamberty vieles so bleiben, wie es ist. Die Szene der Verschwörungsgläubigen, die sich in diesem Jahr radikalisiert hat, kennt ihr Gesicht. Fotos posten aus dem Urlaub, mal rausgehen, ohne Angst zu haben, das alles wird es für sie nicht geben. Nicht in diesem Sommer und auch nicht im nächsten. Sie wird eingeschlossen bleiben in einer latenten Bedrohung. Ist das der Preis, den man zahlt, wenn man gegen die Verwirrung kämpft? Oder geht das irgendwann weg? "Ich glaube, dass das bleibt", sagt Lamberty.

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