Süddeutsche Zeitung

Neuer Tarantino-Film:Hollywood im Spiegel

"Once Upon a Time in Hollywood" läuft in Cannes und zeigt: Auch für einen Tarantino kann das Gewicht der Realität fast zu schwer werden.

Von Pascal Blum

Noch bevor irgendjemand auch nur eine Minute aus "Once Upon a Time in Hollywood" gesehen hatte, richtete der Regisseur Quentin Tarantino mit einem offenen Brief eine Bitte an die Kritiker. In dem handschriftlich unterschriebenen Text heißt es, sein Team und er hätten hart daran gearbeitet, etwas Originelles auf die Beine zu stellen. Weshalb er sich wünsche, dass niemand etwas verrate, das die Zuschauer später daran hindern könnte, den Film in derselben jungfräulichen Art und Weise zu erleben wie bei der Weltpremiere am Dienstag in Cannes. Dabei muss ihm eigentlich klar gewesen sein, dass es einigermaßen absurd ist, diesen Wunsch während eines Festival zu äußern, bei dem circa 4000 neugierige Journalisten aus der ganzen Welt akkreditiert sind.

Aber man könnte Tarantinos Bitte auch anders verstehen. Sie könnte einfach Teil des Pressematerials von "Once Upon a Time in Hollywood" gewesen sein, denn im neuen Film geht es auch um die Sehnsucht nach einer Primärerfahrung im Kino, schließlich hat Tarantino ihn sogar auf dem fast ausgestorbenen 35-mm-Filmmaterial gedreht und nicht digital. Es waren ja doch andere Zeiten, als man noch in eleganten Kinosälen die nackten Füße hochlagern und einfach mal den Menschen auf der Leinwand zuschauen konnte, ohne dass einem auf Twitter schon jemand die ganze Geschichte vermasselt hätte.

Insofern hat der 56-Jährige mit "Once Upon a Time in Hollywood" jetzt wirklich die Hommage an die amerikanische Filmindustrie gedreht, auf die seine Filme schon immer irgendwie zusteuerten. Spätestens seit "Pulp Fiction", jenem Erfolg, der vor 25 Jahren in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, hat ihn Hollywood auch nicht schlecht ernährt. Aber wenn er sich jetzt mit einem Film bedankt, ist das natürlich mehr eine ironische Reflexion als ein romantischer Liebesbrief, es ist ja Quentin Tarantino.

Wie in "Inglourious Basterds" überschreibt er das echte Grauen mit seinem Popkultur-Skript

Wir schreiben das Jahr 1969, und die Frau, die mit nackten Füßen im Kino in Los Angeles sitzt, ist die Schauspielerin Sharon Tate (Margot Robbie). Sie schaut sich die Komödie "The Wrecking Crew" an, die es tatsächlich gegeben hat und in der die echte Sharon Tate an der Seite von Dean Martin zu sehen war. Die Tarantino-Sharon muss grinsen, wenn die Zuschauer an den Stellen lachen, an denen sie lachen sollen. Das ist schon mal ein schönes Bild für das Motiv der Rückkopplung zwischen Leinwandfigur und lebendigem Darsteller, das sich durch den Film zieht.

Es findet sich auch bei Rick Dalton (Leonardo DiCaprio), der als Hauptdarsteller in der (fiktiven) Westernserie "Bounty Law" bekannt geworden ist, jetzt aber nicht mehr richtig gebraucht wird. Er bemüht sich nun, Gastauftritte in Fernsehproduktionen zu kriegen, die qualitativ etwas mehr hergeben. Aber wie ihm der Agent (Al Pacino) früh erklärt, bringt das wenig, wenn er dort immer nur als Bösewicht auftritt. Schließlich sähen die Zuschauer sowieso nur den Revolverhelden von früher, nur kriegt dieser jetzt jedes Mal aufs Dach. Ein Spaghettiwestern-Dreh in Rom, das wäre doch was, aber dafür muss sich Rick Dalton von seinen Verliererauftritten lösen.

Ein Running Gag des Films besteht darin, dass nie jemand die Namen von Figur und Schauspieler zusammenkriegt - als gäbe es immer nur das eine oder das andere, aber zur Deckung kommt es nie. Damit hat auch die zentrale Dynamik im Film zu tun, nämlich jene zwischen Rick Dalton und seinem Stuntdouble Cliff Booth (Brad Pitt). Booth fiel für Dalton sehr oft vom Pferd, nun aber ist er vor allem ein zuverlässiger Kumpel, der Dalton herumfährt und ihn daran erinnert, wann er am nächsten Tag aufstehen muss.

Leonardo DiCaprio spielt den zu Selbstmitleid neigenden Alkoholiker

Ihre Lebenswelten haben sonst wenig miteinander zu tun. Booth wohnt mit seinem Hund in einem speckigen Wohnwagen abseits der Autobahn, und wenn er mit dem klapprigen Cabriolet zu Daltons Haus in den Hollywood Hills fährt, dauert das eine Weile. Tarantino spielt das Thema von Nähe und Distanz hübsch durch. Rick Dalton ist ein zu Selbstmitleid neigender Alkoholiker, der die Dinge nah an sich heranlässt, während Cliff Booth meistens saucool dreinschaut und die Welt auf Abstand hält. So eine Rolle spielt Brad Pitt natürlich mit Leidenschaft, er liefert auch die lustigste Szene: ein Freundschaftsduell zwischen ihm, dem Stuntman, und Bruce Lee. Leonardo DiCaprio geht derweil alle möglichen Register durch.

So wie Daltons Rollen ambitionierter werden, so variiert Quentin Tarantino souverän die Genres und Kamerabewegungen und behält dabei einen entspannten Rhythmus bei, als wolle sich der Film am liebsten selbst zuschauen. Was die Referenzdichte angeht, weiß man sowieso nicht, wo man anfangen soll. Bei "Bounty Law", für das sicher eine Westernserie wie "The Rifleman" eine Vorlage war, die der Regisseur Sam Peckinpah hingeworfen hatte, weil sie ihm zu trivial war? Hinzu kommt das liebevoll hergerichtete Los Angeles Ende der Sechziger, all die erfundenen und wiedergefundenen Filmplakate und Logos. Dass man da irgendwo beginnen könnte, das ist auch ein Problem des Films.

Man darf sich schon mal fragen, ob Quentin Tarantino seinen Erzählstoff vor lauter Zitat- und Ausstattungsaufwand eigentlich noch klar sieht. Es ist ja kein Spoiler, wenn man schreibt, dass Sharon Tate, die damalige Ehefrau des Regisseurs Roman Polanski, 1969 hochschwanger von Mitgliedern der Manson-Familie ermordet wurde. Charles Manson hatte zuvor in der Spahn Movie Ranch ein Quartier für seine Sekte bezogen, wo früher tatsächlich Westernserien gedreht wurden. Tarantino hat es auf die explosive Vermischung von Fernsehcowboy und echten Outlaws abgesehen. Er antwortet mit den Waffen der Unterhaltung. Am Ende läuft es zu auf eine Szene, in der er, ähnlich wie in "Inglourious Basterds", die Geschichte des echten Grauens mit einem Popkultur-Skript überschreibt und sich die Darsteller ihre Figuren wieder zu eigen machen. Auch wenn Hollywood sich im Umbruch befindet und die Hippie-Bewegung in ihr mörderisches Gegenteil umgeschlagen ist, kennen Dalton und Booth noch ein paar bewährte alte Tricks.

Trotzdem fragt man sich, ob da nicht noch mehr drin gewesen wäre. Ein Film über Grenzerfahrungen, die den amerikanischen Gründungsmythos des Wilden Westens konsequent in den Wahn eines Charles Manson überführen? Ein Film über Gestörte, die sich abseits der Zivilisation eine unwirkliche Welt der Gewalt aufgebaut haben, wo sie sich mit ihren eigenen Dämonen anlegen? Aber der letzte Filmpopkulturpapst Quentin Tarantino zeigt uns lieber, was es im Kino alles zu entdecken gibt, nur kommt er diesmal wirklich nicht mehr aus dem Kino heraus.

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Quelle:
SZ vom 23.05.2019
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