Süddeutsche Zeitung

"Queen & Slim" im Kino:Und tot bist du

  • "Queen & Slim" will mehr sein, als nur das schwarze "Bonnie & Clyde". Das gelingt so gut, dass man beinahe wieder enttäuscht wird, wenn der Film sich doch mal an die Konventionen hält.
  • Ein Gangsterfilm, der nicht nur die rassistische amerikanischen Gesellschaft zeigt, sondern auch viel über die Black Community verrät.

Von Tobias Kniebe

Das dunkle Leuchten der Gesetzlosigkeit, am Anfang ist es noch weltenweit entfernt. Ein ödes Diner am Rand einer Ausfallstraße irgendwo in Ohio. Slim spricht ein kurzes stummes Gebet, bevor er zu essen beginnt, an seiner Halskette hängt gut sichtbar ein goldenes Kreuz. Queen rutschen in diesem Moment die Augen ein wenig zur Seite weg, erkennbar wäre sie jetzt lieber woanders. Sie trägt Dreadlocks und einen eng anliegenden weißen Pullover mit Rollkragen, sexy und unnahbar zugleich. Dann folgt ein zäher Dialog, der nur das Offensichtliche ausbuchstabiert - diese beiden sind nun wirklich nicht füreinander geschaffen.

Aber so muss es sein, am Anfang von "Queen & Slim". Sonst könnten die aufregenden Dinge, die danach passieren, ja doch einer inneren Logik folgen, der Dynamik eines vorgezeichneten, melodramatischen Schicksalswegs. Davon kann und soll hier aber keine Rede sein - darauf legen die Autorin Lena Waithe und Regisseurin Melina Matsoukas, die beiden schwarzen Frauen, die hier das Sagen haben, den allergrößten Wert.

Slim ist also ein braver Christ, der in allen Menschen das Gute sehen will; Queen eine kompetente aber auch desillusionierte Strafverteidigerin, deren Mandant gerade erst hingerichtet wurde. Dem InternetDate mit Slim hat sie eigentlich zugestimmt, nur um an diesem schrecklichen Abend nicht allein zu sein.

Unrealisitisch? Beklemmende Realität!

Das alles würde wohl nirgendwo hinführen, wäre da nicht ein Rassist in Polizeiuniform, der das Auto von Queen und Slim auf dem Heimweg anhält. Zwei Nachfragen von Queen, die als Anwältin ihre Rechte kennt, animieren den Cop zu einer besonders gründlichen Suche im Kofferraum. Ein zaghaftes Wort des Protests von Slim, schon ist die Waffe gezückt. In diesem Moment reicht es Queen, sie wird laut und droht, alles zu filmen. Schon hat sie einen Schuss im Bein.

Gern würde man an dieser Stelle einwenden, dass es so nun doch nicht läuft, dass die amerikanische Polizei hier unfair dargestellt wird. Nur leider hat diese Szene exakt dieselbe beklemmende Unausweichlichkeit, die man aus Polizeivideos kennt, die manchmal als Beweismaterial an die Öffentlichkeit gelangen. Wo in jedem scharfen Wort, das formal noch dem Verhaftungsprotokoll genügt, schon der Wunsch des Waffenträgers vibriert, beim kleinsten Anlass zu schießen; wo am Ende ein weiterer Schwarzer tot ist, mit trauernden Familien und neuen "Black Lives Matter"-Protestmärschen.

Das ist die Realität, die dem amerikanischen Leben tiefe Bitterkeit einbrennt, auf die aber das Kino und viele andere Künste auch immer wieder reagieren, mit dringlicher, vitaler Energie - und eben Geschichten wie "Queen & Slim". Die Fantasie ist hier, dass die tödliche Eskalation einmal anders enden könnte - indem der friedliche Slim den Polizisten zu Boden ringt, ihm die Waffe entwindet und schießt, bevor er nachdenken kann. So stehen sie dann da, ein paar Augenblicke später, am Straßenrand in der Nacht - ein Copkiller und seine Komplizin. Und dramatischerweise ist es Queen, die das Justizsystem von innen kennt, die jeden Gedanken verwirft, sich den Behörden zu stellen. Als beste Überlebenschance erscheint ihr die Flucht, der Weg der Outlaws Richtung Grenze - noch besser sogar übers Meer bis nach Kuba, wo der lange Arm des amerikanischen Imperiums nicht mehr hinreicht.

Die Regisseurin und die Drehbuchautorin wollen sich von den Vorbildern des Genres abgrenzen

Hier tun Waithe und Matsoukas nun alles, um sich von den großen Traditionen des Gangsterfilms - und allzu offensichtlichen Vergleichen mit Klassikern wie "Bonnie & Clyde" - erst einmal abzugrenzen. Die beiden Gesetzlosen sind zunächst rührend gehemmt und naiv, wenn sie Geld beschaffen müssen oder neue Fluchtautos brauchen, und auch ihre Versuche der Tarnung schlagen lächerlich fehl - überall werden sie sofort erkannt. Das schadet aber nichts, denn ein Video des Tathergangs ist inzwischen viral gegangen, und die Menschen am Wegesrand scheinen allesamt nicht mehr an die offizielle Justiz zu glauben. Die Reaktionen reichen von heimlicher Sympathie über konkrete Fluchthilfe bis hin zu beginnender Heldenverehrung, und der Polizeistaat lässt den beiden erst einmal reichlich Vorsprung.

Das gibt Queen und Slim die Zeit für eine langsame Annäherung, um doch noch ein Liebespaar zu werden. Der britische Schauspieler Daniel Kaluuya darf dabei wieder diese großäugige Anständigkeit ausstrahlen, die er in "Get Out" schon so eindrücklich auf die Leinwand brachte, und Newcomerin Jodie Turner-Smith (die einen halben Kopf größer ist) fordert ihn ganz schön heraus. Sie ist ideal besetzt als starke schwarze Frau, die sich ihr Leben mit großem Ehrgeiz erkämpft hat und ganz allein klarkommen würde - aber doch ermüdet ist von dem Anspruch, es allen immer beweisen zu müssen.

Natürlich wird es am Ende auch wieder um weißen Hass und Vernichtungswillen gehen, das folgt der Gesetzmäßigkeit des Kinos, das nach finaler Konfrontation verlangt. Davor aber dürfen die Weißen auch mal Pause machen, weil schwarze Themen verhandelt werden - unverzichtbar für die Autorin Waithe, die als offen lesbische Schauspielerin in der Serie "Master of None" bekannt wurde, und die Regisseurin Matsoukas, die ihre Karriere spannenden Musikvideos verdankt, unter anderem einem sehr politischen Clip für Beyoncés "Formation".

Queen hat zum Beispiel einen flamboyanten Onkel in New Orleans (Bokeem Woodbine), der Zuhälter ist, was von Ausbeutung und Abhängigkeiten in schwarzen Subkulturen erzählt. Dazu kommt die alte Story der Gewalt in der Familiengeschichte. In der Black Community erfahren die beiden Flüchtenden Solidarität und sogar höchsten Respekt. Genauso klar besteht der Film aber darauf, dass es auch dort andere Ansichten gibt, die in der Spirale von Gewalt und Gegengewalt ein großes Übel sehen, dass der Hass auf die Polizei auch schwarze Cops treffen kann, und dass die Verräter, wenn es sie denn gibt, sehr wohl auch aus den eigenen Reihen kommen können.

Waithe und Matsoukas geht es erkennbar darum, unberechenbar zu bleiben, alle Erwartungen und Vorahnungen immer wieder zu unterwandern, sowohl was die politische Lagerbildung als auch die Konventionen des Genres betrifft. Zeitweise gelingt ihnen das so gut, dass man gegen Ende hin beinahe gierig wird - man wünscht sich, sie hätten auch noch einen Schluss gefunden, der alle bekannten Formate sprengt. Dafür aber gibt es die klassische Outlaw-Ballade wohl doch schon zu lang, als dass man ihr noch ein völlig neues Ende schreiben könnte.

Queen & Slim, USA 2019 - Regie: Melina Matsoukas. Buch: Lena Waithe. Kamera: Tat Radcliffe. Musik: Devonté Hynes. Mit Daniel Kaluuya, Jodie Turner-Smith, Bokeem Woodbine. Universal, 133 Min.

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SZ vom 11.01.2020/sikt
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