"Pussy Riot":Wut und Weisheit

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Maria Alyokhina von „Pussy Riot“ am Mittwoch in Frankfurt. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Man glaubte, die Geschichte der regimekritischen russischen Frauen-Punkband, die Wladimir Putin nach einer Aktion ins Gefängnis werfen ließ, zu kennen. Beim Konzert in Frankfurt am Main zeigte sich jedoch: Man kennt sie nicht.

Von Juliane Liebert

Maria Alyokhina lächelt nicht zurück, wenn man sie anlächelt, zumindest nicht heute. Die Proben für ihre Performance "Riot Days" sind gerade vorbei, anderthalb Stunden später als geplant. Sie sitzt in einem Zimmer des Theaters Mousonturm in Frankfurt am Main, ganz in Schwarz, eine Pelzmütze auf dem Kopf, und trinkt Kaffee. Neben ihr ihre Mitstreiterin Olga Borisova.

In knapp einer Stunde steht die erste von zwei Vorstellungen des Pussy Riot Theatre an. Das Stück beruht auf Marias Buch, "Tage des Aufstands", und das wiederum beruht auf der Geschichte Pussy Riots, und die glaubt man eigentlich zu kennen. Wenn man die Aufführung gesehen hat, begreift man: Man kennt sie nicht.

"Der erste Hungerstreik ist wie die erste Liebe"

Das Haus ist ausverkauft, die Gäste unterhalten sich, "Schade, die Hübsche ist heute gar nicht dabei", sagt einer. Er meint Nadeschda Tolokonnikowa, und es sagt leider viel darüber, wie die Welt Pussy Riot sieht ("Wie heißen die noch? ,Reit 'ne Pussy?'", fragt ein anderer). Maxim Ionov und Anastasia Ashitkova, die Musiker, kommen auf die Bühne. Kurz darauf Kiryl Masheka und Maria Alyokhina. Sie trägt kurz eine bunte Sturmhaube, das Pussy-Riot-Markenzeichen, dann zieht sie die ab. Sie muss ihr Gesicht schon lange nicht mehr verstecken. Mit Videobildern im Rücken skandieren die vier den Text ins Publikum:

"Der Sommer war vorbei. Es wurde immer früher dunkel. Putin gab bekannt, er wolle zum dritten Mal kandidieren." Sie sprechen russisch, die Übersetzung läuft hinter ihnen auf der Leinwand. Die Sätze sind kurz und hart, das Saxofon brüllt. Ab und an kippt das Sprechen ins Singen. Wie schon das Buch fügt sich das Stück aus Erinnerungsfetzen zusammen, ein vitaler Bastard aus Wut und Weisheit. Jetzt wird daraus eine Beschwörung, ein Trip in die Tage der Festnahme in Moskau 2012, zum Auftritt in der Erlöserkirche.

Obwohl sich die Akteure kaum bewegen, zieht die Dynamik ihres Sprechens in den Bann: Man liegt mit Maria Alyokhina wach in der Nacht, bevor sie in die Kirche geht. Man schmuggelt die Gitarre mit ihr an den Wachen vorbei. Man tanzt mit auf dem Altar und wird mit aus dem Gebäude gezerrt. Man geht mit ihr nach Hause zu ihrem Sohn. "Am nächsten Morgen schaute Philipp ,Wilde Schwäne' im Fernsehen. ,Ich bin bald wieder da', sagte ich. Er war damals vier, es waren noch drei Monate bis zu seinem fünften Geburtstag. Ich zog die Tür hinter mir zu. Und kam zwei Jahre lang nicht zurück." Die Maria Alyokhina auf der Bühne trägt ein Kreuz um den Hals. Sie nimmt es nur ab, als sie in der Mitte des Stückes noch mal die Sturmhaube aufsetzt. Kiryl Masheka beginnt zu tanzen, Alyokhina starrt ins Publikum. In der anderen Wirklichkeit, im Untersuchungsgefängnis, verweigert sie die Nahrungsaufnahme. "Der erste Hungerstreik ist wie die erste Liebe." Die Realitäten überlappen. Zwischen der ersten Aktion und der Verurteilung liegen 25 Minuten.

"Die Menschen beginnen, ihre eigene Geschichte zu vergessen", sagt Alyokhina vor der Aufführung im Interview. "Menschen glauben oft nicht, dass etwas wirklich passieren wird. Niemand glaubte, dass der Brexit passieren oder Trump gewählt werden würde. Vielleicht muss man langsam davon ausgehen, dass solche Dinge wirklich geschehen. Als wir im Februar 2012 in der Zeitung lasen, dass wir angeklagt waren, und zwar mit einer möglichen Strafe von sieben Jahren, konnten wir es nicht glauben. Aber es kam so."

Schwieriges Terrain: Wenn man mit Aktivisten spricht, oder Gespräche mit ihnen liest, begegnet man oft Sätzen wie "Jeder hat eine Wahl". Und wenn man sie zum zehnten Mal sieht, unterscheiden sie sich nicht mehr von den Sätzen, die von Plakaten hinableuchten und einen überzeugen sollen, irgendeine Espressomaschine zu kaufen oder nach Fuerteventura zu fliegen. Die Slogans in "Riot Days" wirken dagegen so, als würden die Frauen sich über ihre eigene frühere Naivität lustig machen.

Mitten im Stück setzt sich Maria Alyokhina an den Bühnenrand und raucht. Sie erzählt von Leibesvisitationen. Wie sie vom Gerichtsarzt aufgefordert wurde, ihre Unterwäsche auszuziehen und die Beine zu öffnen. Wie sie, als sie darum bat, vorher die Tür zu schließen, gesagt bekam, in der Kirche hätte sie damit ja auch keine Probleme gehabt. Die Sätze brettern über die Zuschauer hinweg. Zwischendurch schüttet Kiryl Masheka Wasser über das Publikum. Wäre nicht nötig gewesen, einschlafen wollte niemand.

Der Wirbel um Pussy Riot war im Westen vor allem die Feier hübscher junger Frauen als Polit-Ikonen, eine Pop-Projektion. Jetzt liegt der Gedanke nahe, dass sich zeigen muss, ob das Projekt ästhetisch bestehen kann. Aber vielleicht entgeht einem so auch das Entscheidende. Im Westen mögen die Mitglieder der Band politische Popstars sein, in Russland sind sie in erster Linie sowohl Regimegegner und Ex-Gefangene, als weiter auch potenzielle Straflagerinsassen. Im Westen ist ihre Gegnerschaft gegenüber Putin und dem russischen Staat ihr Kapital, zu Hause ist es eine reale Lebensgefahr. Es wäre aber auch ein Fehler, wenn man die Macht der Popkultur in diesem Fall geringschätzt. Wesentlich für den Pop ist ja gerade sein Balanceakt auf dem Grat zwischen Relevanz und Kitsch, Engagement und Propaganda, Reflexion und Agitation, Kritik und Affirmationen. Und manchmal balanciert er halt nicht, sondern steht mit einem Bein auf dieser, mit dem anderen auf jener Seite und springt, auf Widersprüche pfeifend, hin und her. Auf die Frage, ob die Zeit im Gefängnis sie verändert habe, zuckt Maria mit den Schultern: "Alles ändert einen." Als das Publikum am Ende applaudiert, vergisst die Band kurz, dass sie russisch spricht und niemand ihre Danksagungen versteht. Egal. Maria Alyokhina verneigt sich. Jetzt lächelt sie.

© SZ vom 22.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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