Süddeutsche Zeitung

Pussy Riot in Frankfurt:"Der erste Hungerstreik ist wie die erste Liebe"

Pussy Riot sind mit einem Theaterstück zurück. In Frankfurt trifft geschickt kalkulierte Pop-Inszenierung auf eine brutale politische Realität.

Von Juliane Liebert, Frankfurt

Maria Alyokhina lächelt nicht zurück, wenn man ihr zulächelt, zumindest nicht heute. Die Proben für ihre Performance "Riot Days" sind gerade vorbei, anderthalb Stunden später als geplant. Sie sitzt in einem Zimmer des Mousonturms, ganz in schwarz, eine Pelzmütze auf dem Kopf, und trinkt Kaffee. Neben ihr ihre Mitstreiterin Olga Borisova.

In knapp einer Stunde steht die erste von zwei Vorstellungen des Pussy Riot Theatres in Frankfurt am Main an. Das Stück beruht auf Marias Buch, "Tage des Aufstands", das wiederum beruht auf der Geschichte Pussy Riots, und die glaubt man eigentlich zu kennen. Wenn man die Aufführung gesehen hat, begreift man: Man kennt sie nicht.

Das Haus ist ausverkauft, die Gäste unterhalten sich, "Schade, die Hübsche ist heute gar nicht dabei" sagt einer von ihnen, er meint Nadezhda Tolokonnikova, und es sagt leider viel darüber, wie die Welt Pussy Riot sieht. ("Wie heißen die noch? "Reit ne Pussy?"" fragt ein anderer. Feminismus, du hast da noch einiges vor dir.) Maxim Ionov und Anastasia Ashitkova, die Musiker, kommen auf die Bühne. Kurz darauf Kiryl Masheka und Maria Alyokhina. Sie trägt kurz eine bunte Sturmhaube, das Pussy-Riot-Markenzeichen, dann zieht sie die ab. Es ist schon lange müßig geworden, ihr Gesicht zu verstecken. Mit Videobildern im Rücken skandieren die vier den Text ins Publikum:

"Der Sommer war vorbei. Es wurde immer früher dunkel. Putin gab bekannt, er wolle zum dritten Mal kandidieren." Sie sprechen Russisch, die Übersetzung läuft hinter ihnen auf der Leinwand. Die Sätze sind kurz und hart, das Saxophon brüllt. Ab und an kippt das Sprechen ins Singen. Wie schon das Buch fügt sich das Stück aus Erinnerungsfetzen zusammen, ein vitaler Bastard aus Wut und Weisheit. In dieser Aufführung wird daraus eine Beschwörung, ein Trip in die Tage der Festnahme in Moskau 2012, zum Auftritt in der Erlöser-Kirche.

Als würden die Frauen sich über ihre eigene frühere Naivität lustig machen

Obwohl die Akteure nur dastehen, zieht die Dynamik ihres Sprechens den Zuschauer in die Ereignisse: Er liegt mit Maria wach in der Nacht, bevor sie in die Kirche geht. Er schmuggelt die Gitarre mit an den Wachen vorbei. Er tanzt mit ihr auf dem Altar und wird mit ihr aus dem Gebäude gezerrt. Er geht mit ihr nach Hause zu ihrem Sohn. "Am nächsten Morgen schaute Philipp "Wilde Schwäne" im Fernsehen. "Ich bin bald wieder da", sagte ich. Er war damals vier, es waren noch drei Monate bis zu seinem fünften Geburtstag. Ich (...) zog die Tür hinter mir zu. Und kam zwei Jahre lang nicht zurück."

Die Maria auf der Bühne trägt ein Kreuz um den Hals. Sie nimmt es ab, als sie in der Mitte des Stückes nochmal ihre Sturmhaube aufsetzt, und legt es danach wieder an. Kiryl beginnt zu tanzen, sie starrt unbewegt ins Publikum. In der anderen Wirklichkeit, im Untersuchungsgefängnis, verweigert sie aufgrund menschenunwürdiger Behandlung die Nahrung. "Der erste Hungerstreik ist wie die erste Liebe." Die Realitäten überlappen. Zwischen der ersten Aktion und der Verurteilung liegen 25 Minuten.

"Die Menschen beginnen, ihre eigene Geschichte zu vergessen." sagt Alyokhina vor der Aufführung im Interview. "Menschen glauben oft nicht, dass etwas wirklich passieren wird. Niemand glaubte, dass der Brexit wirklich passieren würde. Das Gleiche galt für Trumps Wahl in den USA. Vielleicht muss man langsam davon ausgehen, dass die Dinge wirklich geschehen. Als wir im Februar 2012 in die Zeitung sahen und lasen, dass wir angeklagt waren, und zwar mit einer möglichen Strafe von sieben Jahren, konnten wir es nicht glauben. Aber es ist Realität geworden. Du hast es gesehen."

Mitten im Stück setzt Maria sich an den Bühnenrand, ganz nah, und raucht. Sie erzählt von Leibesvisitationen. Wie sie vom Gerichtsarzt aufgefordert wurde, ihre Unterwäsche auszuziehen und die Beine zu öffnen. Wie sie, als sie darum bat, vorher die Tür zu schließen, gesagt bekam, in der Kirche hätte sie damit ja auch keine Probleme gehabt. Die Sätze brettern über die Zuschauer hinweg. Zwischendurch schüttet Kiryl Wasser über das Publikum. Wäre gar nicht nötig gewesen, niemand ist auch nur im Entferntesten dabei, einzuschlafen.

"Alles ändert einen"

Der Hype um Pussy Riot war im Westen in erster Linie ein Abfeiern hübscher junger Frauen als Polit-Ikonen, eine Pop-Projektion. Erst jetzt zeigt sich, ob ihre Ästhetik und auch ihre Programmatik unter westlichen Bedingungen Bestand haben. Aber vielleicht diskutiert man das Problem so auch völlig falsch, weil man um den entscheidenden Punkt herumredet: Dass bei Pussy Riot die knallbunte, sehr geschickt kalkulierte Pop-Inszenierung auf eine brutale politische Realität trifft. Im Westen sind sie politische Popstars, in Russland aber potentielle Straflagerinsassen und Folteropfer. Die existentielle Dimension scheint quer zu ihrer ästhetischen Verspieltheit zu stehen.

Gleichzeitig ist ihre Opposition gegen Putin und den russischen Staat aber ihr Kapital im Westen - als öffentliche Personen sind sie somit ein irritierend paradoxes Phänomen. Aber es wäre ein Fehler, wenn man die Mechanismen der Populärkultur in einem solchen Fall geringschätzt, nur weil Politik eine Rolle spielt. Wesentlich für den Pop ist ja gerade sein Balancieren auf dem Grat zwischen Relevanz und Kitsch, Engagement und Propaganda, Reflexion und Agitation, Kritik und Affirmationen. Und manchmal balanciert er halt nicht, sondern steht mit einem Bein auf dieser, mit dem anderen auf jener Seite und springt, auf Widersprüche pfeifend, hin und her. Auf die Frage, ob die Zeit im Gefängnis sie verändert habe, zuckt Maria die Schultern. "Alles ändert einen."

Als es vorbei ist und der Applaus kommt, vergessen die Darsteller eine Weile, dass sie immer noch Russisch sprechen und niemand ihre Danksagungen versteht. Maria Alyokhina verneigt sich unter dem Jubel des Publikums. Jetzt lächelt sie.

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