Süddeutsche Zeitung

Publizisten auf Twitter:Permanent entgeistert

Warum sich in sozialen Medien selbst die nachdenklichsten Intellektuellen fassungslos geben.

Von Felix Stephan

Wie verführerisch soziale Medien für Publizisten sind, erkennt man vielleicht am besten daran, wie viele ihrer Verlockung schon zum Opfer gefallen sind: der ehemalige Katzenkrimi-Autor Akif Pirinçci, der ehemalige Spiegel-Kultur-Ressortleiter Matthias Matussek, der Medienphilosoph Norbert Bolz - alles erfahrene Publizisten, die auf gedrucktem Papier bewundernswerte Texte geschrieben haben, nach kurzer Zeit in den Feedbackmühlen der sozialen Medien jetzt aber wirken, als seien sie an die falsche Droge geraten.

Und das sind nur die prominentesten Fälle. Dass Publizisten, die die Arena der sozialen Medien betreten, eine Verwandlung durchlaufen, kommt im Grunde ständig vor. Am deutlichsten werden die Verhältnisse auf Twitter: Das ist das soziale Netzwerk, auf dem sich Politiker, Ökonomen, Bürgerrechtler und Publizisten am liebsten herumtreiben und damit wiederum Leute anziehen, die sich etwas davon versprechen, von diesen Leuten wahrgenommen zu werden. Auf diese Weise treffen Welten aufeinander, die sich meist erfrischend wenig zu sagen haben. Und das Geschäftsmodell von Twitter besteht darin, dass das möglichst wortreich geschieht.

Dadurch sind längst eigene Formen entstanden. Relativ häufig ist zum Beispiel dieser Dreiakter zu beobachten: Im ersten Akt postet ein Publizist, eine Publizistin eine relativ unverfängliche Aussage. Im zweiten Akt findet irgendjemand die Motivation, die dümmstmögliche Antwort darauf zu formulieren. Und im dritten Akt postet der Publizist, die Publizistin diese Antwort auf dem eigenen Kanal unter der Überschrift "Deutschland 2018". Auf Twitter wirken Autoren, die in ihren Romanen, ihren Habilitationsschriften und zeitdiagnostischen Essays vor Intelligenz nur so sprühen, wie die am leichtesten zu konsternierenden Personen der Welt.

In dieser Arena ist der größte Nachteil ein abwägendes Gemüt

Zum Teil ist dieses Verhalten einfach professionell: Wenn man einerseits Reichweite herstellen möchte und andererseits ein gesellschaftliches Anliegen hat, trägt man es in den sozialen Netzwerken am effektivsten im Modus der Fassungslosigkeit vor. Andererseits drängt sich eben irgendwann auch die Frage auf, was genau von Leuten zu erwarten ist, die, sobald sie einmal vor die Tür gehen, permanent entgeistert sind. Zu gewinnen gibt es jedenfalls wenig: Soziale Medien leben von Geselligkeit im kleinen und von Lagerbildung und Konfrontation im großen Kreis. Auch deshalb sehen Publizisten, die außerhalb der sozialen Netzwerke zu den scharfsinnigsten zählen, dort oft so unvorteilhaft aus: In einer Arena, die darauf ausgelegt ist, dass die Debatte ständig eskaliert und auf keinen Fall vom Fleck kommen darf, ist der größte Nachteil ein abwägendes Gemüt.

Die ganze Sache einfach sein zu lassen, ist aber auch keine Möglichkeit. Soziale Medien sind zwar keine Öffentlichkeit im engeren Sinne, weil es sich um private Unternehmen handelt, die nicht in erster Linie an gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen interessiert sind, sondern daran, dass sich ihre Nutzer so häufig und lange wie möglich bei ihnen aufhalten. Andererseits ist das, was dort geschieht, eben auch alles andere als folgenlos.

Die Rechten, die Rassisten und Nationalisten, die ihre so genannten Thesen jahrzehntelang lediglich in ihren eigenen Zeitungen verbreiten konnten, für die sich außer einer Handvoll Letztüberzeugter niemand interessiert hat, haben heute eine kostenlose Infrastruktur zur Verfügung, mit der sie ein Millionenpublikum erreichen. Dass freiheitlich gesinnte Publizisten dort tendenziell unerwünscht sind, zeigt nicht zuletzt der Versuch der österreichischen Regierung, ORF-Journalisten jegliche politische Äußerung in den sozialen Netzwerken zu untersagen. Was dann doch wieder dafür spricht, mehr zu twittern.

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Quelle:
SZ vom 30.06.2018/khil
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