Design-Ausstellung in Wien:Formend, fluchend, fleißig

Vom Klingelknopf bis zum Hallenbad: Im Wien des frühen 20. Jahrhunderts entwarf Otto Prutscher einfach alles. Eine Ausstellung feiert den zu Unrecht wenig bekannten Designer.

Von Laura Weissmüller

Was das wohl mit einem macht? In einem Raum zu leben, der bis ins kleinste Detail gestaltet ist, sozusagen ein All-over-Painting à la Jackson Pollock zum Wohnen, nur eben nicht mit abstrakten Klecksen, sondern mit Blumenornamenten, hochgewachsenen Holzmöbeln und schwingenden Lampenschirmen mit dem perfekten Faltenwurf?

Es hat etwas leicht Surreales, sich in die alte Schwarz-Weiß-Fotografie des Musterzimmers der Wiener Werkstätte zu versenken, das Otto Prutscher um 1910 entworfen hat. Den Titel "Allgestalter", den das Museum für angewandte Kunst (MAK) in Wien gewählt hat, um den Vertreter der Wiener Moderne nun zum ersten Mal überhaupt in seinen Räumen vorzustellen, ist aber nicht nur deswegen gut gewählt.

Prutscher, geboren 1880 in Wien als Sohn eines Kunsttischlers, hat wirklich alles entworfen: vom Palmenkübel und der Bonbonschale bis hin zur Klingeltaste und dem Teeservice. Bis hin zu kompletten Innenräumen, etwa dem Warmwasserbeckenraum im Dianabad und den mondänen Interieurs des Cafés Imperial, des Feinkostgeschäfts Piccini oder der Apotheke "Zum goldenen Adler".

Vermutlich ist es also nicht übertrieben zu behaupten, dass sich ein bürgerliches Leben im Wien der Zehner- bis Dreißigerjahre zu großen Teilen in Entwürfen von Otto Prutscher abspielte. Allein für 200 Unternehmen hat er gearbeitet, "Motor der Wiener Moderne" wird der Gestalter und Architekt auch genannt. Aber wie kommt es dann, dass sein Name, verglichen mit den anderen Vertretern dieser Epoche, allen voran sein Lehrer an der Wiener Kunstgewerbeschule, Josef Hoffmann, zumindest außerhalb Österreichs heute so wenig bekannt ist?

Otto Prutscher, Innenansicht für das Café-Restaurant Hotel Imperial, Wien I. (gemeinsam mit Anton Schuwerk und August Röben), 1937

Ein bürgerliches Leben in Wien spielte sich Anfang des 20. Jahrhunderts oft in den Entwürfen von Otto Prutscher ab, etwa im Café-Restaurant Hotel Imperial, dessen Innengestaltung er gemeinsam mit Anton Schuwerk und August Röben 1937 entwarf.

(Foto: © MAK)

Zum einen dürfte es sich bei Prutscher um das klassische Schicksal der zweiten Generation handeln. Gestalter wie Hoffmann, Koloman Moser oder Otto Wagner können für sich beanspruchen, den Stil der Wiener Moderne erfunden zu haben. Prutscher hat diesen dann perfekt ausgeführt. (Und zwar handwerklich so perfekt, dass gerade sein Anspruch an Qualität durchaus in die Gegenwart passt. Können wir uns die Wegwerfmöbel und Saisonware doch längst nicht mehr leisten, wenn wir an die wachsenden Müllberge und die Ressourcen denken, die sie verbrauchen.)

Zum anderen könnte aber auch Otto Prutschers Anpassungsfähigkeit ein Grund dafür sein, dass er heute nicht zu den Bekanntesten zählt. Arbeitete er doch, wie der Kurator Rainald Franz sagt, "immer auf der Höhe seiner Zeit". Will heißen: Es gibt expressive Entwürfe von ihm, aber auch geometrische. Modern glänzende Freischwinger finden sich genauso in seinen Interieurs wie klassizistische Sessel oder bäuerliche Landhausstühle - je nachdem eben, was angesagt war. Prutscher war ganz offensichtlich keiner, der seinen Kunden einen bestimmten Stil verordnen wollte. Vielmehr passte er sich dem Auftrag an.

Otto Prutscher in einem Sessel von Josef Zotti, 1913

Otto Prutscher in einem Sessel von Josef Zotti. Die Fotografie nahm Karl Ehn im Jahr 1913 auf.

(Foto: Archivio Famiglia Otto Prutscher, Mailand)

Was aber nicht bedeutet, dass er dabei nicht Herausragendes geschaffen hat. Davon zeugt etwa die Vitrine für den "Raum für einen Kunstliebhaber", die Prutscher für die Wiener Kunstschau 1908 entwarf und die nach der Ausstellung wohl ihren gebührenden Platz in der Dauerausstellung des MAK erhalten wird. Allein wie Prutscher all die drolligen Vögel und Chamäleons dort von Blumenornamenten umrankt in den Metallrahmen eingearbeitet hat, zeugt von seinem überbordenden Gestaltungswillen.

"ER. formend - fluchend - fleissig, stets den Bleistift ,beissig'" heißt eine kleine undatierte Zeichnung, die Prutscher in seinem Atelier zeigt. Gebeugt über ein Skizzenblatt sind seine Haare wild zerzaust, so tief ist er in seinen Entwurf versunken. Für ihn hat es dabei offenbar keinen Unterschied gemacht, ob er die mondäne Fassade eines Casinos entwarf, einen sozialen Gemeindebau oder einen funktionalen Gaderoberaum samt Hutablage. Gesamtkunstwerk lautete sein Anspruch.

Otto Prutscher, Detail des Warmwasserbeckenraums im Dianabad (gemeinsam mit Gebrüder Schwadron und Michael Powolny), Wien, 1913/14

Den Warmwasserbeckenraum im Wiener Dianabad gestaltete der Architekt und Designer Otto Prutscher gemeinsam mit den Gebrüdern Schwadron und Michael Powolny 1913/14.

(Foto: Archivio Famiglia Otto Prutscher, Mailand)

Auf dem Kunstmarkt erzielen Prutschers Möbel längst hohe Preise, viele Entwürfe von ihm werden bis heute produziert. Dass sein Werk in der breiten Öffentlichkeit jedoch bislang nicht die Aufmerksamkeit bekam, die es verdient, liegt nicht zuletzt auch an Prutschers Biografie. Da seine Frau Jüdin war, bekam er in der Nazidiktatur 1939 Arbeitsverbot. Bis 1944 konnte er kaum etwas entwerfen, seine beiden Töchter emigrierten nach Italien. Dort, in Mailand, befindet sich bis heute sein Familienarchiv. Dank diesem kann nun das MAK viele Entwürfe zum ersten Mal zeigen. Mitunter in original Otto-Prutscher-Vitrinen: Die schlanken Glaskästen hatte der Allgestalter 1910 fürs Museum entworfen. Sie leisten bis heute gute Dienste

Otto Prutscher. Allgestalter der Wiener Moderne. Museum für angewandte Kunst, Wien. Bis 17. Mai 2020. www.mak.at. Neben dem Katalog erscheint im Dezember die erste ausführliche Monografie zu Prutscher im Verlag Birkhäuser (59,95 Euro).

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: