Prozess um Maxim Billers "Esra":Begnadet gehässig

Der Schriftsteller Maxim Biller ist mit "Esra" ein Fall fürs Verfassungsgericht geworden. Der Prozess um Persönlichkeitsrecht und Kunstfreiheit wird Rechtsgeschichte schreiben - egal wie das heutige Urteil ausfällt.

Alex Rühle

Das Buch wurde damals angekündigt als leichthändige Liebesgeschichte. Kaum aber kam "Esra" 2003 in den Buchhandel, wurde es verboten: Eine ehemalige Freundin Maxim Billers und deren Mutter glaubten sich in dem Roman der scheiternden Beziehung zwischen dem Schriftsteller Adam und der Türkin Esra wiederzuerkennen und fühlten sich in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt. Und so gab die leichthändige Erzählung Anlass zu einer schweren Gerichtsschlacht.

Prozess um Maxim Billers "Esra": Der Schriftsteller Maxim Biller im Dezember 2004 bei einer Lesung im Jüdischen Museum in Berlin.

Der Schriftsteller Maxim Biller im Dezember 2004 bei einer Lesung im Jüdischen Museum in Berlin.

(Foto: Foto: ddp)

Nachdem das Landgericht München und der Bundesgerichtshof das Verbot mit der Begründung bestätigt hatten, der Roman greife "in schwerwiegender Weise in das allgemeine Persönlichkeitsrecht" der beiden Klägerinnen ein, erhob der Verlag Kiepenheuer & Witsch 2005 Verfassungsbeschwerde: Das Verbot schränke die künstlerische Freiheit ein. Außerdem haben die beiden Frauen Biller auf drastische 100 000 Euro Schadensersatz verklagt. Am heutigen Freitag soll das Verfassungsgericht nun seine Entscheidung verkünden.

"Es wird Zeit, etwas über mich selbst zu erzählen. Dass ich aus Prag komme, Jude bin und oft über Deutschland schreibe, ist kein Geheimnis. Mein Privatleben war aber bisher kein großes Thema, warum auch, ich bin kein Schauspieler oder Sänger." So stellt sich Adam in Billers Roman vor. Und so wie die biographischen Eckdaten dieses Erzählers mit denen seines 1960 geborenen Autors übereinstimmen, konnte, wer wollte, leicht ahnen, wen er da porträtierte: "Esra" ist in dem Buch eine türkische Schauspielerin, die den Bundesfilmpreis gewonnen hat, ihre Mutter Trägerin des alternativen Nobelpreises.

Biller war mit seinen polemischen Invektiven und seinem rechthaberischen Gestus immer schon Reizfigur des Literaturbetriebes. Unvergesslich, wie er in der Evangelischen Akademie Tutzing der gesamten deutschen Schriftstellerzunft vorwarf, "flau, gesichtlos, provinziell" zu sein. Durch "Esra" wurde er selbst dann zu dem großen Thema, das sein Erzähler nie sein wollte: Der Prozess wird, egal wie er an diesem Freitag ausgeht, Rechtsgeschichte schreiben, geht es doch um die prinzipielle Abwägung zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht.

Nachdem in den ersten Verfahren keinerlei Gutachten von Literaturwissenschaftlern eingeholt wurden, plädierten nun vor dem Bundesgerichtshof sowohl der Jurist Christian Eichner als auch der Germanist York-Gotthart Mix dafür, "unbedingt im Sinn der Kunstfreiheit" zu entscheiden. Der Pen-Club und der Verband deutscher Schriftsteller sprachen sich ebenfalls für eine Freigabe aus.

Tragisch am Prozess um "Esra" ist ja, dass der Autor Biller heute oft nur noch mit diesem schmalen Werk und dem Streit darüber in Verbindung gebracht wird. So wie er aber in seinen Jahren bei der Zeitschrift Tempo, bei denen heute jeder an seine "100 Zeilen Hass" denkt, große Reportagen schrieb, so gibt es vom Autor von "Esra" grandiose Erzählungen. Der New Yorker druckte in diesem Sommer gleich zwei davon ab. Vielleicht kann man, wenn nun endgültig Recht gesprochen wurde, wieder dazu übergehen, seine Texte zu lesen, auf dass er selbst nicht mehr ein solch notorisch großes Thema ist.

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