Süddeutsche Zeitung

Prozess um Ex-HR-Sportchef:Elementarteilchen

In Frankfurt beginnt der Strafprozess gegen Jürgen Emig, einen früheren ARD-Sportchef: Dabei geht es nicht nur um Bestechlichkeit. Es geht ums System.

Hans Leyendecker

Über panschende Winzer, Ärztebetrüger, Bankbetrüger, Händler, die Nuklearmaterial verkaufen und noch viel mehr Sauereien hat der 1923 gegründete Hessische Rundfunk (HR) in seiner langen Geschichte ausführlich berichtet, und manchmal gerieten die Schilderungen zu Anklagen.

Da wusste man, wie die Welt es treibt. Doch in dem an diesem Montag vor der 12. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt beginnenden Strafprozess wird es auch um die Umstände der Arbeit beim HR gehen, also um die Frage, wie die eigene Welt es getrieben hat.

Angeklagt ist Doktor Jürgen Emig, ehemaliger Abteilungsleiter Sport-Fernsehen, der vielen Zuschauern als Berichterstatter bei der Tour de France in Erinnerung ist. Sein Arbeitsverhältnis mit dem Sender begann im September 1987 und endete im Juni 2005 mit gleich drei fristlosen Kündigungen. Die Anklage wirft ihm Bestechlichkeit, Anstiftung zur Bestechlichkeit sowie Untreue und Betrug vor.

Der 63-Jährige, der am Ende seiner Laufbahn 104.265,35 Euro plus 2996 Euro Familienzuschlag jährlich beim HR verdiente, soll von Anfang 2000 bis September 2004 rund 625.000 Euro in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Mal soll Emig dafür kassiert haben, dass Live-Übertragungen ins Fernsehen kamen. Mal soll er gegen Provision Schleichwerbung verkauft haben. Mal soll er Sponsorengelder, wieder gegen Provision besorgt haben, die er nur zum Teil an den HR weiterleitete.

Mehrere hundert Seiten Anklage

Die Anklageschrift, die der Frankfurter Staatsanwalt Michael Loer gefertigt hat, ist rund hundert Seiten dick. Sie weist die Besonderheit auf, dass der ehemalige leitende Angestellte des öffentlich-rechtlichen HR aus Sicht der Strafverfolger Amtsträger war, also jemand, der - wie es das Staatshaftungsrecht schön definiert - in "Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes" handelte.

Wenn die Kammer das mit dem Amtsträger auch am Ende des Prozesses noch so sehen sollte, droht dem Journalisten eine langjährige Strafe, denn das Strafrecht sieht bei Amtsträgern härtere Sanktionen vor.

Mitangeklagt ist Emigs früherer Geschäftsfreund Harald Frahm, der mal Präsident des Deutschen Tanzsportverbandes war. Über die Firma SportMarketing@Production (SMP), die Frahm und Emigs Ehefrau jeweils zur Hälfte gehörte, wurde der Großteil der angeblich unsauberen Geschäfte abgewickelt. Als einer von rund einem Dutzend Zeugen ist auch der frühere MDR-Sportchef Wilfried Mohren geladen, der aber vermutlich nichts sagen wird.

Mohren, der am Rande im Komplex Emig auftaucht, wurde von der Leipziger Staatsanwaltschaft wegen Bestechlichkeit, Untreue und Steuerhinterziehung angeklagt, aber ein Termin für seine Hauptverhandlung steht noch nicht fest. Der MDR verlangt im übrigen von seinem ehemaligen Mitarbeiter Schadenersatz und die Rückzahlung angeblicher Schmiergelder in Höhe von rund 250.000 Euro. Am 14. August ist deshalb Gütetermin vor dem Leipziger Arbeitsgericht.

Die Namen Emig und Mohren sind zum Synonym geworden für den gekauften, dreckigen Journalismus. Sie stehen aber auch für den kommerziellen Wildwuchs rund um irre gewordene Anstalten, in denen leitende Mitarbeiter sitzen, die öffentlich senden und privat kassieren. Es ist ein System, in dem nicht nur die Grenzen zwischen Journalismus und PR verwischen, sondern auch die Methoden von privaten TV-Anbietern und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer ähnlicher werden.

Das "System HR"

In die arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen Emigs mit dem Sender hat einer von Emigs Anwälten früh den Begriff vom "System HR" eingeführt, das mit dem System seines Mandanten verbunden gewesen sei. Der Intendant des HR, Helmut Reitze, verwahrt sich dagegen energisch. Es gebe nur das System Emig erklärte er dieser Tage wieder mal. Der Sender sei reingelegt worden. Also ist der HR quasi das Opfer.

Viele andere Branchen erleiden erst ihre Katastrophen und haben danach ihre Probleme mit dem Balken im eigenen Auge. Aber dürfen Journalisten die Wirklichkeit derart ausblenden? In der Verhandlung gegen Emig könnten am Beispiel des HR mal ein paar grundsätzliche Probleme erörtert werden. Beispielsweise, warum das Geld nicht reicht: Der in der ARD eher kleine Sender hat - so steht es im HR-Jahresbericht 2007 - derzeit 1746 fest angestellte Mitarbeiter (48 davon auf Soll-Planstellen in der Intendanz) und rund 600 freie Mitarbeiter.

Er sendet im Jahr rund 110.000 Minuten Fernsehen und etwa 1,1 Millionen Minuten Hörfunk. Die Einnahmen, die zum allergrößten Teil aus Gebühren finanziert werden, liegen bei rund 480 Millionen Euro (die Personalkosten betragen 145,8 Millionen Euro).

Eigentlich müsste das Geld doch reichen, um nicht nur den "Hessentag in Butzbach", das "Herzstück der Aktivitäten des Landessenders" (HR) angemessen zu übertragen, sondern auch das übrige Programm.

Tüchtig akquiriert

Unbestritten aber ist, dass der Sender früher zumindest chronisch klamm war und der Journalist Emig aufgefordert wurde, Geld einzutreiben. "In meiner Eigenschaft als Ressortleiter Sport habe ich über die Jahre meiner Abteilung Zusatzeinnahmen von über 13 Millionen Euro verschafft", erklärte der frühere HR-Abteilungsleiter bei einer Vernehmung im Juni 2005.

Wenn er keine Gelder derart akquiriert hätte, hat er noch ausgeführt, wäre das Budget für die Sportredaktion schon im Mai jeden Jahres "im wesentlichen erschöpft" gewesen. Der frühere Intendant Klaus Berg habe ihn einmal sogar belobigt, dass er so tüchtig akquiriere.

Der Sender hat also die Fremdfinanzierung nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern die Akquise gefeiert. Weder im Gesetz zum HR noch in der Satzung zum HR findet sich ein Hinweis darauf, dass Redakteure für die Finanzierung ihrer Sendungen zu sorgen haben.

Journalisten sollten Geld beschaffen

Als Aufgabenbeschreibung findet sich im HR-Gesetz von 1948 stattdessen, dass der Sender für die "Verbreitung von Nachrichten und Darbietungen bildender, unterrichtender und unterhaltender Art" zu sorgen habe. Das Wort Akquise kommt nicht vor.

Im Rundfunkstaatsvertrag von 1991 steht unter Paragraph 13 ("Finanzierung") folgende Passage: "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk finanziert sich durch Rundfunkgebühren, Einnahmen aus Rundfunkwerbung und sonstigen Einnahmen; vorrangige Finanzierungsquelle ist die Rundfunkgebühr. Programme und Angebote im Rahmen seines Auftrages gegen besonderes Entgelt sind unzulässig."

Wie also kamen die Verantwortlichen des Senders auf den Gedanken, dass es auch nach den gängigen Kriterien der journalistischen Unabhängigkeit zulässig sein sollte, dass Emig beispielsweise Motorsportveranstalter oder Tanzsportveranstalter dazu brachte, die Beiträge zu finanzieren, mit denen sie dann ins Fernsehen kamen? Ob ein Ereignis in voller Länge übertragen wurde oder nur im Rahmen einer Zusammenfassung, wenn überhaupt, auftauchte, hing also davon ab, wer sich die Drittmittel für den HR leisten konnte.

Wer keiner Hauptsportart nachgeht, beispielsweise ein Radklassiker wie den "Henninger Turm", und ins Fernsehen wollte, musste zahlen. So wurden nach den Feststellungen der Ermittler in Emigs Zeit insgesamt fünfzig Tanzsportveranstaltungen gesendet, die dem HR unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurden.

Ein eigener Begriff: "Beistellung"

Nach Berechnungen der Anwälte Emigs wurden insgesamt mindestens 161 Stunden Sport kostenfrei zur Verfügung gestellt. Diese Sendungen brachten zusätzlich durch so genanntes Titelsponsoring noch Geld in die Kasse.

Der Fachbegriff dieser Programmbeschaffung heißt verharmlosend "Beistellung". Reitze hat wohl mal verlauten lassen, dass er "Beistellungen" bei Sportproduktionen in Ordnung finde, weil sonst Veranstaltungen wie der "Ironman" (eine Emig-Erfindung) kaum ins Programm kämen. Unter dem Druck der Affäre hat er intern längst angewiesen, auf Beistellungen zu verzichten.

Beistellungen, erklärt ein hochrangiger ARD-Manager, seien wie Gewinnspiele, also vor allem: nicht verboten. Die ARD habe sich eigene Regeln gegeben, um Programm extern finanzieren zu lassen, das trotz der Gebührenmilliarden nicht berücksichtigt worden wäre.

Im Wesentlichen tauchten Beistellungen im Umfeld des regionalen Sportes auf. Bei einer strikten Trennung von Redaktion und Beistellung, glaubt der ARD-Programmdirektor Günter Struve, sei die normale Beistellung unproblematisch.

Der Fall Emig habe "wahnsinnige Berührungsängste" aufkommen lassen, die Beistellungspraxis sei "drastisch eingeschränkt" worden. Im Programm des Ersten gebe es so gut wie gar keine Beistellung mehr.

Zuschauer im Dunkeln

Unabhängig vom schmierigen, verdeckten System Emig, der Gelder in seine Kasse abzweigte, stellt sich grundsätzlich die Frage, ob der Zuschauer nicht wissen sollte, dass er das, was er sah oder sieht, nur deshalb sehen konnte oder kann, weil sich eine gesellschaftliche Interessengruppe, und sei es ein kleiner Sportverband, das Programm geleistet hat? HR-Intendant Reitze hat das System nicht erfunden, sondern vorgefunden, aber die Sumpfblüten können ihm nicht ganz fremd sein.

Als der HR im Herbst 2003 das DFB-Pokalspiel zwischen Kickers Offenbach und Eintracht Frankfurt übertragen wollte und das Geld wieder einmal knapp war, warb Emig auf Bitten der Sendeleitung eine Zeitarbeitsfirma als Sponsor an. Die zahlte dem DFB 220.000 Euro, und der HR wies vorab in Rundfunk und Fernsehen auf den Sponsor hin, dessen Logo auffällig ins Bild gerückt wurde. Der Chef der Zeitarbeitsfirnma führte auch noch ein Hörfunk-Interview, das am nächsten Morgen auf der Welle HR3 laufen sollte, nach Angaben Reitzes allerdings nie gesendet worden sei.

Den in Artikel III des Gesetzes über den HR aufgeführten "Organen" (Rundfunkrat, Verwaltungsrat, Intendant), hätte also spätestens bei der Gesetzesänderung 2003 eine vierte Organisation hinzugefügt werden müssen: der unsichtbare Sponsor. Zumindest virtuell wird er den Emig-Prozess begleiten.

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Quelle:
SZ vom 4.8.2008/vw
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