Protestaktion in London:Zündeln im Namen des Punk

Joe Corré, Sex Pistols

Joe Corré ließ auf der Themse Politiker-Puppen in Flammen aufgehen - außerdem seine Sammlung an Punk-Memorabilien.

(Foto: John Phillips)

Der Sohn von Vivienne Westwood und Sex-Pistols-Erfinder Malcolm McLaren verbrennt in einer symbolträchtigen Aktion seltene Platten und andere Erinnerungen an die Band. Kritiker sind entsetzt.

Von Björn Finke, London

Das Schiff liegt mitten auf der Themse, auf Höhe von Chelsea im Südwesten Londons. An der Seite ist ein Ponton vertaut, auf dem acht Puppen mit den Masken britischer Politiker stehen. An der Spitze des Pontons befindet sich eine Truhe mit aufgeklapptem Deckel. Poster und Kleidung quellen daraus hervor. Joe Corré wirft eine kleine Fackel in die Kiste, rührt ein wenig darin herum und legt am Ende noch ein großes Poster über die Flammen.

Kurz darauf brennen auch die Politikerpuppen, die etwa Premierministerin Theresa May oder Außenminister Boris Johnson darstellen sollen. Zu deren Füßen explodieren Feuerwerkskörper. Die Reste mancher Puppen fallen nach wenigen Minuten in die Themse. Die Kiste brennt da immer noch. Und in ihr Schätze der Punk-Geschichte. Joe Corré ließ am Samstag auf dem Fluss seine Sammlung an Punk-Memorabilien in Flammen aufgehen. Der Sohn von Modedesignerin und Punk-Ikone Vivienne Westwood und Malcolm McLaren, dem Erfinder und Manager der Sex Pistols, wollte ein Zeichen setzen gegen die Kommerzialisierung der Protestkultur.

In der Kiste brannten seltene Platten und Poster, die alte Hose des Sex-Pistols-Sängers Johnny Rotten, von Westwood geschneiderte Mode. Corré hatte die Aktion schon vor einem guten halben Jahr angekündigt, aber den Ort erst am Samstag publik gemacht. Das Datum ist symbolträchtig: Am 26. November 1976 erschien "Anarchy in the U.K.", die Debütsingle der Punk-Pioniere Sex Pistols. Die Zündelei ließ Corré filmen und live im Internet übertragen. Der 48-Jährige hatte verbreitet, dass die Sammlung fünf Millionen Pfund wert sei. In einem Interview mit dem SZ-Magazin räumte er allerdings kürzlich ein, sich diese Zahl schlicht ausgedacht zu haben.

Sein verstorbener Vater, der Berufs-Provokateur Malcolm McLaren, hätte an der Idee mit den fünf Millionen Pfund, die angeblich in Flammen aufgehen, sicher seinen Spaß gehabt. Die Provokation gelang jedenfalls. So beschimpfte Johnny Rotten, bürgerlich: John Lydon, Corré als "verdammten, egoistischen Reizwäsche-Experten". Der solle die Sammlung doch lieber verkaufen und das Geld spenden. Mit der Reizwäsche spielte Rotten auf die Dessousmarke "Agent Provocateur" an, die Corré 1994 mit seiner damaligen Frau gegründet und im Jahr 2007 für 60 Millionen Pfund verkauft hatte.

Anderen Kritikern geht es nicht um die finanziellen Werte, die am Samstag vernichtet wurden, sondern um den historischen Wert der Sammlung. John Ingham, jener Musik-Journalist, der einst das erste Interview mit den Sex Pistols führte, klagt, die Poster und Platten seien Dokumente der Zeitgeschichte. Der sogenannte Islamische Staat zerstöre Kulturschätze, früher taten es die Nationalsozialisten - und nun dieser "Idiot" Joe Corré, sagt er.

Im Museum lernt man nicht, wie man Punk wird

Der Gescholtene will seine umstrittene Aktion als Antwort auf "Punk London" verstanden wissen. Das ist eine Kulturinitiative der britischen Hauptstadt, die das ganze Jahr über das Thema Punk in Ausstellungen, Konzerten und Veranstaltungen feiert. Der Sohn des Sex-Pistols-Gründers und manche andere Veteranen der Bewegung sehen darin eine Vereinnahmung der einstigen Protestszene durch das Establishment. Als kleine Gemeinheit von "Punk London" muss gelten, dass die Initiative Corrés Zündelei in ihrem Programm bewirbt - vereinnahmen kann dieses Festival offenbar wirklich gut.

Corré sagt bei der Verbrennung, Punk und Nostalgie passten nicht zusammen. "Und man kann nicht bei einem Seminar im Museum of London lernen, wie man ein Punk wird." Diese Protestkultur sei inzwischen einfach ein weiteres Marketinginstrument geworden, um Leuten Dinge zu verkaufen, die diese nicht brauchen. Punk sei bloß "die Illusion einer Alternative". Als Beispiel nennt er "Anarchy in the U. K."-Kreditkarten. Die britische Bank Virgin Money hat 2015 Karten mit Sex-Pistols-Plattencovern herausgegeben.

Corré und seine Mutter Vivienne Westwood werben für den Klimaschutz

Joe Corrés Mutter Vivienne Westwood - 2006 zur Dame erhoben, also auch vereinnahmt vom Establishment - unterstützt die Aktion ihres Sohnes. Die 75-Jährige hält am Ufer, aus dem Fenster eines Busses heraus, eine Rede, in der sie vor dem Klimawandel warnt. Der Bus steht in Chelsea, zu Fuß nur zehn Minuten von der King's Road entfernt, wo sie und Malcolm McLaren einst ihre berühmt-berüchtigte Boutique namens "Sex" betrieben.

Ihr Sohn doziert ebenfalls über den Klimawandel. Am Schiff hängt eine große Weltkarte, auf der jene Regionen blutrot eingezeichnet sind, die bei einer Erwärmung der Erde unbewohnbar würden. Als Corré die Politikerpuppen anzündet, macht er sich tatsächlich die Mühe zu erläutern, für welche Schandtaten sie brennen müssen. So geht die Puppe von Sajid Javid in Flammen auf, weil der konservative Minister für kommunale Angelegenheiten Fracking in Nordengland erlaubt hat.

Corré belässt es also nicht bei Zerstörungswut und Raserei - er nutzt die Aufmerksamkeit, um für Klimaschutz zu werben. Echten Punks wäre so etwas nicht in den Sinn gekommen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: