Prostitutierte in Simbabwe:Barbaras Beute

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Wer nachts mehr verdient, hat tagsüber mehr Zeit zum Beten. Über die Schwierigkeit, nein zu sagen, Mädchen für einen Dollar und einen ganz normalen Abend in Harare.

Arne Perras

Ein leichter Wind weht über den englischen Rasen und kämpft mit der bleiernen Hitze, die noch nicht weichen will. Mit etwas Glück ist die Cola kalt, die der Ober in der weißen Weste gleich 'rüberbringt. Es könnte ein wunderbar ruhiger Abend werden auf der Terrasse des Hotels in Harare. Ein, zwei Stunden, um den Stress der Reise abzuschütteln, das würde schon reichen. Keine Interviews führen, keine Notizen machen. Nur dasitzen, das Zirpen der Grillen aufsaugen - und dann friedlich schlummern.

(Foto: N/A)

Daraus soll nichts werden. Denn am Nachbartisch haben in diesem Moment zwei Damen Platz genommen - und sie lauern auf ihre Chance.

Regel Nummer eins: Nicht hinschauen.

Das ist schwierig, denn erstens sitzen sie genau im Blickfeld und zweitens sind sie nicht hässlich. Eine ist sogar sehr hübsch. Schon hast du wieder den dummen Fehler gemacht, du hast hinübergeblinzelt, und jetzt bekommst du ein freudiges Winken zurück. Jetzt kannst du mit dir selber wetten, welche von beiden gleich herüberkommen wird. Die linke, schlanke, große - oder die kleine rechts. Eigentlich auch egal. Denn du bist zum Arbeiten in Afrika, und du bist nicht auf Frauenfang.

Nun ist es so, dass die beiden Damen dort drüben aber auf Männerjagd sind. Zahlungskräftige Kunden gibt es nicht mehr viele in Harare, der Hauptstadt des Krisenstaates Simbabwe. Ein machthungriger alter Mann beherrscht das Land. Die Wirtschaft liegt in Trümmern, ausländische Geschäftsleute kommen nur noch selten, und dickbäuchige Safari-Touristen noch seltener. Also dürfen die beiden Frauen jetzt nicht zögern. Sie müssen zugreifen, sobald Beute in Sicht ist.

Da ist die eine - die rechte - auch schon aufgestanden und stakst über den kurzgeschorenen Rasen. So kompromisslos wurde das Grün um den Pool herum gestutzt, dass man sich sogleich daran erinnert, wer früher einmal Herr in diesem Lande war. Rhodesien nannten sie es bis 1980 - nach Cecil Rhodes, dem britischen Eroberer. Das war, bevor der Rebell Robert Mugabe auf den Thron stieg. Er hat Simbabwe in die Ära der Unabhängigkeit geführt - und zuletzt in großes Elend.

Die junge Dame wird sich an die alten Herren aus Britannien nicht erinnern, sie war damals vermutlich noch nicht geboren. Jetzt, da sie herüberstakst, bohren sich ihre Pfennigabsätze in die Erde, und beinahe wäre sie umgeknickt in ihren Pumps. Doch dann hat sie endlich den Tisch erreicht und greift nach einem freien Stuhl. "Darf ich?" - Man möchte gerne "Nein, Danke" sagen. Doch heraus kommt nur ein hilfloses "Ja, bitte, warum nicht?".

Regel Nummer zwei: Gespräch so schnell wie möglich abwürgen.

Eine barsche Antwort hätte die Sache womöglich schon erledigt. Aber man möchte das alles lieber freundlich regeln, um nicht gleich wie ein weißes arrogantes Arschloch zu wirken. Warum eigentlich? Nur weil hier Afrika ist, weil Harare einmal Salisbury hieß, weil weiße Farmer früher auf schwarze Arbeiter eingeprügelt haben? Heute prügeln schwarze Polizisten auf schwarze Oppositionelle ein. Aber das ist eine andere Geschichte, auch wenn sie sich nicht ganz trennen lässt von dieser hier, gegenüber am Tisch.

"Ich bin Barbara" - "Hallo Barbara".

Als Korrespondent kommt man viel herum in Afrika - ohne die Familie, denn die lebt in Uganda, wo die Kinder in die Schule gehen. Und wer alleine reist zwischen Kampala, Khartum und Kapstadt, der stößt ständig auf Frauen, die sich Fremden anbieten. Natürlich werden auch die wohlhabenden Einheimischen umschwärmt, die sogenannten Big Men, von denen die Damen erwarten, dass sie dicke Brieftaschen bei sich tragen. Doch weiße Geschäftsreisende werden besonders gerne belagert - bei ihnen gilt der Reichtum als angeboren, und das Glück sowieso.

Barbara sitzt da und lächelt. Sie trägt silberne Stöckelschuhe, an denen jetzt die Erdklumpen von der Rasenüberquerung kleben. Dazu einen schwarzen, zu engen Minirock, einen breiten Glitzergürtel und ein schwarzes Top. Sie hat lange dünne Zöpfe eingeflochten ins kurze krause Haar. Bunte Ohrringe baumeln links und rechts, eine silberne Kette schlingt sich um ihren Hals, und an den langen schönen Fingern trägt sie zwei silberne und drei goldfarbene Ringe. Lippenstift, geklebte Wimpern, Lidschatten violett. Auf dem Schoß hat sie eine Gucci-Handtasche, von der man annehmen darf, dass sie gefälscht ist.

Müde, verheiratet - schwache Ausflüchte

"Na mein Lieber, gerade angekommen in Harare?" Nun geht es also wieder los mit den mühsamen Rückzugsgefechten: Man ist ja nur auf der Durchreise, man hat furchtbar viel zu tun und ist obendrein sehr müde. "Tut mir leid". - "Oh", sagt Barbara und lächelt verschwörerisch: "Eine kleine Massage, das ist es, was du jetzt brauchst!" - "Nein, nein, du musst das verstehen. Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder." - "Ich hab einen kleinen Sohn", sagt sie, als wäre die Sache damit gelöst.

Schnell hat sie ein zerknittertes Passfoto herausgezogen. Mustafa, ein Jahr alt. Der Vater ist aus Tansania, aber die Ehe hat nur kurze Zeit gehalten, der Mann ist längst wieder über alle Berge. Also lebt der Kleine jetzt bei ihr, und wenn sie arbeitet wie heute nacht, dann passt eine Schwester oder die Mutter auf den Buben auf.

Ich bin müde, ich bin verheiratet - das alles sind schwache Ausflüchte, denn schon redet Barbara davon, dass meine Frau ja nicht hier sei und ich einsam vor mich hinarbeiten müsse. Das sei doch furchtbar, aber dafür gebe es nun: sie. Und jeder Mensch brauche mal eine Pause, ein wenig Entspannung nach all dem Stress.

Das war klar, dass die sich nicht schnell abwimmeln lässt. Andererseits hat sie es auch nicht besonders eilig. Da gibt es ganz andere Fälle, man denke nur an jene Nacht in Nigeria. Lagos, Airport-Hotel. Du sitzt im China-Restaurant neben der Rezeption und isst einen Teller mit pampigem Nasi Goreng. Plötzlich krabbelt etwas unten an deinem Bauch. Erschrocken tastest du unters T-Shirt und ergreifst - eine Hand. Du hüpfst vom Stuhl, drehst dich um und blickst in zwei große Kulleraugen. Das Mädchen kichert, sie ist jung und hübsch und ungeduldig: "Komm schon, wir gehen". Der Ober sagt: "Sie mag dich wirklich."

Höchste Zeit also zu verschwinden. Du legst einen großen Schein auf den Tisch, mit dem du zwei Teller Nasi Goreng bezahlen kannst und stehst auf. Da hat das Mädchen aber schon ihren Arm um deine Hüfte geschlungen. Du musst dich jetzt losreißen und ein barsches "Lass das" ausstoßen, wenn du noch flüchten willst. Sie schaut entsetzt, und du entwischst in den Hof.

Draußen wird es nicht besser. Es dauert keine zwei Minuten, da kommt ein hoch gewachsener Nigerianer und schüttelt dir ungefragt die Hand: "Hast du schon die Frauen in Lagos probiert?" - "Nein, danke." Alles könne er besorgen, und wenn man nicht zufrieden sei, dann brauche man nicht zu bezahlen. Man sei schließlich der Gast - "Nein danke." - "Wer wird denn so schüchtern sein", ruft er. "Dieses Land ist wundervoll, du wirst sehen."

Nun gut, das ist Nigeria, und Nigeria ist ein wenig anders als der Rest von Afrika. Das sagen auch die Afrikaner, die meistens Angst haben vor Nigeria. Dennoch: Sex gegen Geld einzutauschen, das ist weit verbreitet auf diesem Kontinent, und nicht jede Frau, die sich darauf einlässt, gilt hier schon als Prostituierte. Nicht immer haben diese Sex-Geschäfte mit Elend, Unterdrückung und Ausbeutung zu tun - aber doch oft.

Und man würde das alles vielleicht leichter nehmen, könnte man bestimmte Bilder vergessen, die einem immer wieder durch den Kopf rauschen. Bei einer Recherche über Aids besuchten wir einmal die Nachtclubs in Lusaka, Sambias Hauptstadt. In den Straßen klopften junge Mädchen an die Scheiben und boten ihre dürren Körper an, sie waren kaum älter als zwölf. "Two dollars, two dollars", flehten sie. Beschämt schauten wir zur anderen Seite. Doch sie klopften weiter. "One dollar, one dollar".

Die Sache mit den Diamanten

Und Barbara, die junge Lady in Harare? Auch sie braucht Geld, so viel ist klar. Aber sie habe noch einige andere Geschäfte laufen, erzählt sie. "Ich bin Unternehmerin", ihr größter Traum sei es, irgendwann so viel Geld zu verdienen, dass sie aus all den kleinen Geschäften ein Großes machen kann. Wenn sie nicht gerade dabei ist, fremde Männer abzuschleppen, dann geht sie in die Läden der Chinesen in Harare und kauft allerlei Ramsch ein, vor allem Schmuck.

Mit dem geht sie dann raus in die Dörfer und alle glauben, dass sie hochwertige Ware aus Südafrika verkaufe. Sie kichert. "Klingt ein wenig nach Betrug", sage ich. "Ach was", sagt sie. Wenn sich die anderen Leute nicht zu den Chinesen trauten, weil die so fremd und seltsam wirkten, was könne sie denn dafür? Dann müssten die sich nicht wundern, wenn andere die Geschäfte machten.

Demnächst will Barbara in den Diamantenhandel einsteigen. Im Osten Simbabwes würden sie jetzt alle wild nach Steinen graben, sagt sie. Sie kenne da ein paar Leute. "Aber noch ist mir das zu gefährlich". Armee und Polizei würden sich dort gegenseitig bekriegen, hat sie gehört. Deshalb will sie noch warten. Über die Sache mit den Diamanten möchte man jetzt gerne mehr erfahren - wie das eben ist als Journalist. Und nach der dritten Cola ist auch die Müdigkeit wieder verflogen. Doch kaum wirkt man etwas munterer, da quengelt Barbara auch schon wieder los: "Gehen wir jetzt?" - "Ich sagte schon, dass ich verheiratet bin." - "Dann trink ein Bier, das macht dich locker". Ich sage "Nein, danke". Und sie ruft "Noch ein Bier!".

So vergeht der Abend, Bier für Bier, Cola für Cola. Und irgendwann frage ich: "Hast du keine Angst vor Aids?" Hier ist jeder fünfte mit HIV infiziert. "Doch, aber ich mache es immer nur mit Kondom." Und wenn die Männer das ablehnen? "Du stellst aber viele Fragen", stöhnt sie. "Was, wenn ich nun HIV positiv wäre?", frage ich. "Und das sollte ich dir glauben?", lacht sie. "Ich hab diese Leute doch gesehen, dünn sind sie und abgemagert. Und sie husten. Außerdem sind sie alle schwarz." Auch Weiße könnten HIV bekommen, sage ich. "Ich hab aber noch keinen Weißen mit HIV gesehen", sagt sie.

Einmal, da hat Barbara schon mal um ihr eigenes Leben gezittert. Nicht wegen Aids, sondern wegen dieser seltsamen Blutungen, die nicht mehr zu stoppen waren. Die Ärzte wussten nicht, was sie tun sollten, also blieb ihr nur noch der Gang in die Kirche, in der sie ohnehin so viel Zeit zubringt wie möglich. Es ist eine Pfingstkirche in Harare, in der jeden Tag ein anderer Gottesdienst stattfindet. Mal beten die Menschen für die Armen, dann für die Alten, die Kranken, für die Familie, den heiligen Geist. Und freitags, da treibe der Priester das Böse aus, erzählt Barbara. "Wenn es in dir steckt, dann bricht es dort irgendwann heraus." Und dann könne dir der Priester auch helfen und alles werde wieder gut.

Babyhasen - nackt, blind und kuschelig

So wie damals bei ihr. Bei einem der Gebete schrie plötzlich ihre Schwester auf, und dann sei herausgekommen, dass sie es gewesen war, die Barbara die Krankheit angehängt hatte - weil sie eifersüchtig war auf ihre Jobs. "Es ist unglaublich, was dort geschieht", sagt sie. Nach dem Gottesdienst seien die Blutungen plötzlich weg gewesen. "Seither gehe ich in diese Kirche, so oft ich kann". Und wenn sie nachts gut verdient, dann hat sie tagsüber mehr Zeit zum Beten. "Die Bar macht jetzt zu", sagt Barbara, "wir können noch was bestellen und es aufs Zimmer mitnehmen." - "Ok, wir bestellen, aber sicher können wir noch im Garten sitzen bleiben."

Ich habe nun ganz vergessen, meine Frau in Kampala anzurufen. "Und was machst du so gerade?" würde sie fragen. "Ich sitze mit einer Hure in Harare und werde sie nicht mehr los", würde ich sagen. "Prima", würde sie sagen. Und ich: "Mach' dir keine Sorgen". Und dann würden wir wohl über die Kinder reden, und vielleicht über die Babyhasen, die gerade im Stall geboren wurden, nackt und blind und kuschelig. Und wie toll sie unsere Tochter findet. Und am Ende würde meine Frau sagen, dass ich sauber bleiben solle, und ich würde antworten: "Ist doch klar." Wie immer.

Es ist jetzt schon sehr lange finster, die Insekten surren wie besoffen um die Lampen am Pool, und Barbara kippt ihr fünftes Bier hinunter. Oder ist es schon ihr sechstes? Morgen ist ein harter Tag, Barbara ist reichlich beschwipst, und es wäre gut, jetzt bald ins Bett zu kommen, und zwar alleine. "Wie kommst du nach Hause?", frage ich also. Barbara blinzelt ungläubig. 20 Dollar wandern über den Tisch, das sind zwanzig Heimfahrten, mindestens. "Ich muss jetzt schlafen". Barbara stöhnt und stopft das Geld in ihre Handtasche: "Meine Massagen sind wirklich gut", sagt sie. "Vielleicht morgen?" - "Ok, vielleicht morgen", lüge ich freundlich.

Kurz vor Mitternacht erhebt sich Barbara aus ihrem Gartenstuhl und stakst wieder über den Rasen. Auf halber Strecke knickt sie um. "Scheiße", sagt sie. Dann nimmt sie ihre Pumps in die Hand und schleicht davon.

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