Propaganda zum Dschihad:Die Katzen der Heiligen Krieger

Es sieht zunächst aus wie eine skurrile Marotte: Islamistische Kämpfer in Syrien und im Irak posieren in sozialen Netzwerken mit Schoßtieren. Mit der allgegenwärtigen Katzenbilder-Flut im Internet hat das aber nichts zu tun. Dahinter steht ein klares Bekenntnis.

Von Stefan Buchen und Marie Delhaes

Islamistische Kämpfer in Syrien und im Irak schreiben derzeit ein neues, modernes Kapitel islamischer Ikonografie. Sie foto- und videografieren sich in letzter Zeit immer öfter mit Katzen. In zärtlicher Pose halten sie eines oder zwei der Pelztiere im Arm. Manche Aufnahmen erinnern in ihrer Inszenierung an das christliche Motiv der Muttergottes mit dem Kinde.

An Variationen fehlt es nicht. Ein rötliches Kätzchen tätschelt den Lauf eines Maschinengewehrs. Ein weißes spielt auf der Seite liegend mit einer Handgranate. Ein schwarz-weißes hält eine Pistole zwischen beiden Vorderpfoten. Man weiß nicht, ob es die Waffe nur liebkost oder ob es abdrücken möchte. Es entsteht tatsächlich eine Ambivalenz, sorgsam retuschiert mit dem Computerprogramm Photoshop.

Der Ausstellungsraum für die Kunst der Dschihadisten ist das Internet. Auf Youtube, Instagram und Twitter ist sie zu besichtigen. Es gibt sogar einen Hashtag mit dem Namen #catsofjihad. Mit der allseits belächelten Katzenbilderflut im Internet haben diese Bilder allerdings nichts zu tun.

Was aber haben sie dann zu bedeuten? Sind die Katzenbilder nur eine banale Begleit- und Randerscheinung des Krieges? Soll das Katzenmotiv ein anderes Licht auf den gerechten Kampf und seine Männer werfen? Der Kontrast zu abstoßenden Videos, auf denen sich die Dschihadisten spöttisch triumphierend über den Leichen getöteter Feinde zeigen, könnte größer nicht sein.

Wie haben die Macher ihre Werke gemeint? Mohammed Turki jedenfalls kann man nicht mehr fragen. Der junge Mann aus Bayern ist im Kampf gefallen. Vermutlich in Syrien. Ein Abschiedsvideo zeigt ihn mit Maschinengewehr vor einem Wasserfall und selig schlafend mit Katze im Arm.

Sie rauben Bargeld und archäologische Schätze

In einem Tafelband von 1975 über die "Symbolik des Islam" macht der Orientkundler, Literaturforscher und Übersetzer Johann Christoph Bürgel eine eher beiläufige Bemerkung. Er sieht den "islamischen Menschen" aus seinem "inneren seelischen Gleichgewicht" geworfen. Dies manifestiere sich in der Ästhetik. Die für die islamische Zivilisation charakteristische "Harmonie der Formen und Farben" sei verschwunden.

Der Orient habe den europäischen Kolonialismus und den daraus resultierenden Zusammenprall der Kulturen schlecht verdaut. Die muslimische Gemeinschaft durchlebe multiple Krisen. Es sei zu hoffen, dass sie geläutert daraus hervorgehen werde. Helfen könne ihr dabei die Besinnung auf traditionelle Symbole, sofern diese "Großes und Gutes verkörpern".

Ohne sich billiger Vorurteile verdächtig zu machen, wird man vermuten dürfen, dass es sich bei den bärtigen, oft noch jungen Isis-Kämpfern des "Islamischen Staates" auf einem Teilgebiet des "Fruchtbaren Halbmondes" zwischen dem Ostjordanland und dem Persischen Golf nicht um Liebhaber der bildenden Künste des Orients handelt. Sie rauben nicht nur Bargeld aus eroberten Banken sondern auch die archäologischen Schätze früherer Epochen und verkaufen sie auf dem Schwarzmarkt, um ihren Feldzug zu finanzieren.

Auch Prophet Mohammed war ein Katzenfreund

Nach dem islamistischen Dogma dürfte Mohammed Turki aus Bayern jetzt auf der höchsten Stufe des Paradieses thronen. Ob er sein Kätzchen dorthin mitgenommen hat? Hoffen darf er das, wenn wir an eine bekannte Figur aus dem elitären Club der Prophetengefährten, des "salaf as-salih", denken. Abu Huraira war sein Rufname, was übersetzt "Vater des Kätzchens" bedeutet.

Denn Abu Huraira hatte der Überlieferung zufolge stets ein Kätzchen an seiner Seite, für das auch der Prophet Zuneigung gehegt haben soll. Weil Mohammed dem Tier gern liebevoll über den Rücken strich, landen Katzen, so der Glaube, stets auf den Pfoten, wenn sie von einem Baum springen, nie auf dem Rücken. Katzenfreund Abu Huraira durfte sein Haustier, so will es die Überlieferung, mit ins Paradies nehmen.

Diese Geschichte hat es bis in Johann Wolfgang von Goethes "West-östlichen Diwan" geschafft, wo sie im "Buch des Paradieses" (mit kleinem Fehler in der Namensschreibung) als eines der "begünstigten Tiere" ist:

Abu Herriras Katze auch Knurrt um den Herrn und schmeichelt: Denn immer gibt's ein heilig Tier, Das der Prophet gestreichelt.

Die Heiligkeit des Tieres im Islam ist Goethes Übertreibung. Zumindest stören Katzen - im Gegensatz zu Hunden und Eseln - nicht die rituelle Reinheit. So habe der Prophet kein Problem darin gesehen, sich vor dem Gebet mit Wasser zu waschen, von dem zuvor eine Katze getrunken hat. "Sie umkreisen Euch in Euren Wohnungen." Mit diesem berühmten Spruch erklärte Mohammed die Katzen quasi zu natürlichen Mitgliedern des muslimischen Haushalts.

Ewige Verdammnis für den Tod einer Katze

Wie verdienstvoll es ist, die Tiere gut zu behandeln, erläuterte der Prophet anhand der Geschichte einer Frau, die in der Hölle schmoren muss. Die Frau wurde mit ewiger Verdammnis bestraft, weil sie eine Katze eingesperrt und ihr die Nahrung verweigert hatte. Das Tier war elend verhungert und verdurstet.

Jenseits der rein religiösen Vorstellungen beschrieb Amr ibn Bahr al-Dschahiz, der große Literat und Kommentator des neunten Jahrhunderts, die Katzen in seinem "Buch der Tiere" als nützliche Beschützerinnen der Zivilisation im Zweistromland. Wenn die Katzen nicht wären, führt er aus, trieben die Mäuse und Ratten ungehindert ihr Unwesen.

Katzen wurden mit Ohrringen geschmückt

Sie fräßen die Kornvorräte auf, knabberten die jungen Dattelpalmen an und ließen sie eingehen. Sie würden sich an den Öllampen zu schaffen machen und verheerende Brände auslösen. Sie würden die Fundamente der Bewässerungsdämme an Euphrat und Tigris zerwühlen und Überschwemmungen und Untergang herbeiführen.

Dschahiz berichtet vom Berufsstand der "Katzenhändler". Die Zuneigung der Menschen zu dem Tier gehe sogar so weit, dass sie es mit Ohrringen schmücken würden. Weil die Katze gähne und sich das Gesicht wasche wie ein Mensch, könne dieser sich teilweise in dem Tier wiedererkennen.

Die Mode ist unter den Islamisten brandneu

Aber anders als im Alten Ägypten wurde die Katze im Islam nicht zur Ikone. Die biblische Genesis der Katze, die dem Nasenloch des Löwen in dem Moment entwichen sein soll, als dieser auf der Arche Noah einmal kräftig niesen musste, hat die Meister der schönen Künste nicht zu bildlichen Darstellungen inspiriert. Dass solche trotz islamischen Bilderverbots Raum griffen, davon zeugen Mosaike, Fresken, Keramikreliefs und Miniaturen.

Dort dominieren allerdings Geschöpfe wie Pfau, Ochse und Antilope. Oder Zauberwesen wie al-Buraq, auf dem der Prophet einst nächtens zu Allahs Gegenwart in den Himmel ritt. Symbolisch aufgeladen waren Bildmotive wie "der Vogel und der Fisch", die häufig den Kalifen einrahmen und seinen Herrschaftsbereich eingrenzen: das gesamte irdische Diesseits.

Keine Fotos von Osama bin Laden mit Katze

Wie also kommen die zeitgenössischen Kämpfer des Dschihad zu den Katzen? Und vor allem - was wollen sie damit sagen? Die Mode ist jedenfalls brandneu. Fotos, die Osama bin Laden mit Katze zeigen, sind nicht überliefert. Weil die noch lebenden Foto- und Videokünstler auf Mail- und Facebook-Anfragen nicht antworten, bleibt nur die Spekulation.

Der Schlüssel könnte durchaus beim von Goethe angeführten Abu Huraira liegen. Denn er war nicht nur Katzenbesitzer und Kampfgefährte des Propheten, sondern auch ein viel zitierter Überlieferer des Hadith, also der Sprüche Mohammeds, neben dem Koran die zweite Quelle des Islam.

Posen mit Katze als sektiererisches Statement

In dieser Funktion ist Abu Huraira nicht unumstritten. Während die Sunniten ihn als besonders glaubwürdigen Überlieferer der Prophetensprüche einstufen, distanzieren sich die Schiiten von ihm. Sie bezeichnen ihn sogar als Lügner, weil er dem Propheten Aussagen in den Mund gelegt haben soll, die Ali, den aus Sicht der Schiiten rechtmäßigen Nachfolger Mohammeds, in schlechtem Licht erscheinen ließen.

In der modernen Wirklichkeit eines sich zuspitzenden innerislamischen Religionskrieges zwischen Sunniten und Schiiten, der den gesamten Nahen Osten erfasst, ist da vieles denkbar. Da kann der Zwist um eine wichtige Figur der islamischen Heilsgeschichte seltsame Blüten treiben.

Der Hauptfeind des "Islamischen Staates" ist nämlich nicht, wie einige der amerikanischen und europäischen Sicherheitspolitiker gern glauben machen möchten, der Westen. Die radikale Sunnitentruppe richtet sich in erster Linie gegen die "schiitischen" Regierungen in Damaskus und zunehmend in Bagdad. In der Diktion der Dschihadisten heißt der Machtapparat des irakischen Präsidenten Nuri al-Maliki "die Regierung der Madschus".

"Madschus" ist ein uraltes Schimpfwort für Perser und die Religion des Zarathustra. Die radikalen Sunniten, die den heutigen Persern unterstellen, in Bagdad und Damaskus die Zügel der Macht zu lenken, haben die Bedeutung des Schmähbegriffs semantisch auf die Schiiten ausgeweitet.

Katzen sind mit frühislamischen Herrschern assoziiert

In den Kriegsgebieten des "Fruchtbaren Halbmonds" kann das Posieren mit Katze deswegen ein sektiererisches Statement darstellen. Denn das süße Tier ist mit einem frühislamischen Herrchen assoziiert, das den Machtanspruch der Schiiten mit Verachtung strafte. Eine Verachtung, die auf den Schlachtfeldern von Syrien und Irak grausame Folgen haben kann.

Man kann nur hoffen, dass die Isis-Kämpfer des "Islamischen Staates" niemals Dschahiz lesen werden. Denn der schreibt im Bagdad des neunten Jahrhunderts, dass nach dem Glauben der "Madschus", also der soeben besiegten Anhänger Zarathustras, die Katze das Geschöpf des Teufels (Ahriman) sei. Dieses Wissen würde den Fotokünstlern der dschihadistischen Moderne zusätzliche ikonografische Munition liefern.

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