Propaganda der Zeitgenossenschaft:Juckreiz der Globalisierung

Wenn das Leben zum Sterben langweilig wird, schlägt die Stunde der neoliberalen Einpeitscher. Dann entdeckt solche Politik die urbanen Geschmacksbürger, die nicht mehr so recht wissen, wem sie warum ihre Stimme geben sollen. Also erklärt man, dass die Wende sowieso unvermeidbar ist und sexy sein kann. Von Diedrich Diederichsen

Diedrich Diederichsen

Neu war am vergangenen Wahlkampf die intensive Bearbeitung von gezielt ausgesuchter Klientel; die vielen kleinen und oft auch in größeren und weltumspannenderen Überlegungen zu Demographie und Biopolitik, Generationsdrama und Globalisierungsunausweichlichkeit versteckten und dennoch wohl platzierten Appelle. An wen?

Propaganda der Zeitgenossenschaft: Wer lange ausgehen, viele interaktive Installationen installieren und entfesselt tanzen möchte, muss doch auch den Unternehmern das Recht zugestehen, lange keine Steuern zu bezahlen.

Wer lange ausgehen, viele interaktive Installationen installieren und entfesselt tanzen möchte, muss doch auch den Unternehmern das Recht zugestehen, lange keine Steuern zu bezahlen.

Natürlich an die, die, dem demoskopischen Vernehmen nach, das letzte Mal den Sieg von Schwarz-Gelb verhindert hatten: jenes legendäre urbane, hedonistische Milieu, an dem die permanenten Anrufungen neoliberaler Ideologie offenbar immer noch abperlen wie Regenwasser an einem startenden Flugzeug. Diesen Leuten wurde in das Gewissen ihres privaten Freiheitsdrangs geredet. Wer lange ausgehen, viele interaktive Installationen installieren und entfesselt tanzen möchte, muss doch auch den Unternehmern das Recht zugestehen, lange keine Steuern zu bezahlen, viele Festangestellte zu deinstallieren und entfesselt Profite einzufahren. Die Allianz zwischen Hedonismus und linken Überzeugungen sei nur ein Relikt aus der bösen alten Zeit.

Wenn der Engel der Geschichte auf die letzten vier Jahrzehnte zurückblickt, erkennt er in der Tat ein historisches Knäuel von Bewegungen und Befreiungen, die irgendwann einmal alle zusammengehört haben und seitdem vom Gang der Dinge geduldig auseinander gerupft werden. Die Stärkung der Gewerkschaften und der Arbeiterrechte, die Emanzipation von Schwulen und Lesben, der Kampf der rassistisch Verfolgten und der Aufbruch der Künste aus den alten Disziplinen, die neuen Medien und der über Pop-Musik und neues Kino verbreitete antiautoritäre Impuls, die antirepressiven Studentenbewegungen - sie alle bildeten einst dieses Knäuel. Jedes seiner Motive ist heute noch da, an alle Einzelheiten wird von Einzelnen geglaubt, aber um den Preis der Verknüpfung.

Dennoch hat eine unbewusste Ahnung der Gleichursprünglichkeit dieser Befreiungsideen offenbar noch Anteil an der Steuerung wahlberechtigter Subjekte des kulturellen Milieus. Rot-Grün bezog noch wärmenden Legitimitätsbrennstoff aus dieser Quelle. Die schwarz-gelbe Strategie dagegen war nun nicht mehr die öde Polemik gegen '68, sondern das Beschwören neuer Ernstfälle: Ihr stimmt gegen die eigenen Interessen, so tönte es aus den Redaktionen der Republik. Ging es früher darum, einzelne glamouröse Stränge aus dem verfemten 68er Knäuel für Konservativen-kompatibel zu erklären, war nun das Ziel, den ökonomischen Egoismus aus den Klassenbrüdern hervorzukitzeln.

Hier trat nun der Spezialist für DJ-Culture und Mode Ulf Poschardt mit einer Reihe von Texten in Erscheinung (in Zeit, taz, Weltwoche), deren Ton psychologisch noch etwas anderem als nur der trüben Pflichterfüllung im Klassenkampf von oben geschuldet war. Poschardt wandte sich direkt an den Pop-Sinn der unbewussten Linken - Pop-Sinn verstanden als unbedingter Wunsch, absolutely contemporary zu sein. Dies ist ein mit Opportunismus nur zu einem geringen Maße deckungsgleicher Impuls, der eben auch in das alte Knäuel gehört, von Tom Wolfe und Andy Warhol in den Sechzigern beigefügt. Poschardt ist nicht einmal strategisch, denn ihn selbst plagt ganz authentisch der Juckreiz einer normativen Zeitgenossenschaft. Deshalb macht er sich auch nicht die Mühe politischer Argumentation. Er verbreitet die üblichen neoliberalen Slogans, dass es den Armen besser gehe, wenn sie mehr Eigenverantwortung übernehmen.

Er ist gegen zu viel Staat und gegen Umverteilung. Und er erkennt im Aufgehen des neoliberalen Sterns mit Bloch (!) eine "Ästhetik des Vorscheins", die der Linken verloren gegangen sei. Der Zwang, das NOW! geil zu finden, ist so stark, dass, wenn keine Utopie in Sicht, einfach die Dystopie zur Utopie gemacht wird. Wie alle neoliberalen Ideologen badet er in dem Selbstwiderspruch, einerseits sei die Globalisierung eine unausweichliche Entwicklung, der man sich stellen müsse, auch wenn das hart ist. Zugleich aber berge sie viele Chancen und sei die toffeste Wirtschaftsordnung, die die Welt sich wünschen könne.

Die Agitation richtete sich aber eh nicht rational an politische Linke, sondern an jene jungen Bürgerlichen, denen nur ihr Musikgeschmack und ein Jucken im Unbewussten noch im Wege zu einem schwarz-gelben Kreuz in der Wahlkabine stehen. Denen widmet sich denn auch sein einziges Argument. Er formuliert es nicht selbst, sondern zitiert die Schriftstellerin mit dem peinlichen Pseudonym Thea Dorn, die der umkämpften poplinken Klientel das Vorurteil vorwirft, dass "alle - außer den Linken - dumpfe, katholische, saumagenfressende, homohassende, rassistische, Frauen-hinter-den-Herd-prügelnde Neandertaler sind".

Das ist die ganze Palette der Wahlkampf-Angebote an die CDU-unwilligen Szene-Großstädter: Ihr dürft gerne feministisch, atheistisch, homosexuell euer Sushi fressen, wenn ihr doch nur endlich aufhören würdet, eure Klasse zu verraten und bitte endlich bürgerlich wählen würdet. Dieser Klassenverrat, der hier rückgängig gemacht werden soll, war ja tatsächlich einst die wichtigste existenzielle Komponente linker Lebensentwürfe von Bürgerkindern. Der gnadenlose Blick auf die eigene Klasse und das Geprägtsein von ihr erschloss neue Perspektiven, half Distanz zu gewinnen und - tatsächlich - utopische Aufbrüche zu konzipieren. Heute ist Bürgerlichkeit schon wegen mangelnder Alternativen wieder normal, und dem Konsum abwegiger Kulturwünsche steht sie nicht im Wege. Dennoch ist der Restbestand einer Klassenverrats-Ethik als Ekel-Sperre gegen bürgerliche Parteien noch vorhanden. Und dieser Ekel lässt sich nicht wegdiskutieren, denn dahinter steckt das zuverlässige Wissen, dass ein Leben, das nicht auch gegen materielle Interessen gelebt wird, zum Sterben langweilig ist. Genauso langweilig ist das Leben der meisten urbanen Geschmacksbürger zwar längst geworden. Doch sie spüren: ein Kreuz auf dem Wahlzettel wäre die Ratifizierung dieses Elends. Und daher zögern sie.

Dies spürt auch Ulf Poschardt. Daher hat er sich eine andere Lösung überlegt, die Versöhnung mit der eigenen Klasse gegen das gefühlte Wissen über deren Blödheit symbolisch erträglicher zu gestalten. Er inszeniert sie - ganz Reinhard Mohr der Nuller Jahre - als Verrat an der anderen Peer Group, an den Linken, denen er einst angehört haben will. Die zeichnet er als massives Verschwörer-Kartell vor fetten Subventionen ächzend und das Land fest in der gichtigen Kralle. Denn das ist noch immer die albernste Konstante aller Herzblut-Renegaten, dass sie ihre Konversionen stets als wahnsinnig riskante Rebellion beschreiben müssen, gegen mächtige Gegner. Dabei haben sich sogar in der Zone der Republik, um die Dorn und Poschardt so kämpfen, in der Hauptstadt-Kultur nämlich, längst neokonservative Institutionen gebildet, wurden mit viel Verlags- und Elternknete Zeitschriften und kulturelle Treffpunkte gegründet. Langsam welkende, aber ganz unverarmte Pop-Jünglinge, gerne verschroben stolze Hamburger oder Münchner, bemühen sich im preußischen Exil um Eleganz-Darstellungen und das Eliten-Phantasma. Ihr Guru ist Christoph Stölzl. Vielleicht kriegen sie ihn ja als Kulturstaatsminister. Sein veronkeltes Dandytum sieht heute schon - Ästhetik des Vorscheins! - aus wie die Karikatur ihrer krampfbürgerlichen, reaktionären Zukunft.

Der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen veröffentlichte zuletzt den Band "Musikzimmer" bei Kiepenheuer & Witsch.

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