Produzentin Kathleen Kennedy:Die mächtigste Frau in Hollywood

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Von "E.T." bis "Star Wars": Kathleen Kennedys Filme haben weltweit elf Milliarden Dollar eingespielt. Ihren Aufstieg in einer Männerwelt verdankt die Produzentin außergewöhnlichen Charakterzügen.

Von David Steinitz und Tobias Kniebe

Der große Filmproduzent Walt Disney erklärte seinen beruflichen Erfolg einmal folgendermaßen: "Ich schmeiße hin und wieder alle meine Mitarbeiter raus und stelle sie dann wieder ein, damit sie es sich nicht zu gemütlich machen." Sein Kollege Samuel Goldwyn, einer der Gründerväter Hollywoods, sah das ganz ähnlich: "Ich darf keine Magengeschwüre haben, meine Mitarbeiter müssen Magengeschwüre haben."

Filmproduzenten, das waren lange Zeit jähzornige Sklaventreiber mit Zigarre im Mund, die jeden Satz mit Ich anfingen. Ein paar dieser Dinosaurier poltern auch heute noch durch Los Angeles, wie der "Pulp Fiction"-Produzent Harvey Weinstein ("Ich bin ein gütiger Diktator"). In Wahrheit aber zieht in Hollywood längst eine neue Produzentengeneration die Strippen, die zunächst einmal dadurch auffällt, dass sie vollkommen unauffällig ist.

Es gibt keine Frau, die so viele Blockbuster produziert hat wie sie

Zur absoluten Perfektion hat diese Unauffälligkeit die "Star Wars"-Produzentin Kathleen Kennedy gebracht, die jedes Klischee widerlegt, weil sie keine Zigarren raucht, ihre Sätze nicht mit "Ich", sondern mit "Wir" beginnt und vor allem kein Mann ist. Es gibt wohl keine Frau, die die inneren Mechanismen und Machtzirkel Hollywoods so gut kennt wie sie. Es gibt auch keine Frau, die so viele Blockbuster produziert hat wie sie. "E.T.", "Zurück in die Zukunft", "Indiana Jones", "Schindlers Liste", "Star Wars", die Liste geht ewig so weiter. Die von ihr engagierten Mitarbeiter sind mehr als hundert Mal für den Oscar nominiert worden, ihre Filme haben weltweit gut elf Milliarden Dollar eingespielt. Wobei das in Kennedys Unauffälligkeitsgrammatik natürlich nicht "ihre Mitarbeiter" und "ihre Filme" sind, sondern "unsere Mitarbeiter" und "unsere Filme".

Sie absolvierte Mitte der Siebziger ein Filmstudium in San Diego und kam danach durch einen Assistenten-Job beim legendären "Apocalypse Now"-Schreiber John Milius ins Filmgeschäft. Es folgte ein Posten als Sekretärin von Steven Spielberg, der schnell erkannte, dass diese Frau eine ideale Organisatorin für seine großen Kinoträumereien war, von denen sie dann auch so viele produzieren sollte. Also arbeitete sie sich im Haifischbecken von Hollywood nach ganz oben, meist als einzige Frau im Raum mit den verrückten Jungs. Kennedy hatte nie ein Interesse daran, diesen großen Egos ein noch größeres entgegenzusetzen. Auch später, als sie längst nicht mehr die Hilfskraft, sondern die Chefin von Regielegenden wie Martin Scorsese oder Clint Eastwood war, produzierte sie lieber still und leise zwei, drei Welthits, während die Männer mit ihren öffentlichen Reviermarkierungskämpfen beschäftigt waren. Wir statt Ich, das ist ihr wichtigstes Mantra geworden.

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Wenn man Kathleen Kennedy dieser Tage sprechen möchte, muss man hartnäckig sein. Die 63-Jährige hat praktisch nie Zeit, seit sie 2012 die Nachfolgerin von "Star Wars"-Erfinder George Lucas an der Spitze seines Firmenimperiums Lucasfilm wurde, zuständig für gut 2000 Mitarbeiter. Als Lucas beschloss, in die Sternenkriegsrente zu gehen, fiel ihm nur eine Person ein, der er diesen Monsterjob zutraute: Kathleen Kennedy. Und mit "Das Erwachen der Macht" legte Kennedy im letzten Jahr sofort ihre erste "Star Wars"-Punktlandung hin. Ein Kompliment, das sie im Gespräch aber sofort umformuliert: "Wir haben eine Punktlandung hingelegt."

Hat man Kennedy schließlich in Los Angeles am Telefon und fragt sie, warum ihr derzeit wichtigstes Filmbaby so sensationell erfolgreich ist, dann antwortet sie: "Jeder Mensch kommt in seinem Leben mindestens einmal an den Punkt, an dem er von der dunklen Seite der Macht in Versuchung geführt wird. Das fasziniert die Zuschauer auf der ganzen Welt." Worauf es natürlich nur eine logische Folgefrage geben kann: "Mrs. Kennedy, Sie haben mehr Filmgeschichte produziert, als sich die meisten Ihrer Kollegen zu erträumen wagen. Wann wurden Sie denn von der dunklen Seite der Macht in Versuchung geführt?" Viele Filmemacher würden diese Frage als Steilvorlage nutzen, um ein paar gemeine Geschichten über die verdorbenen Kollegen im Sündenpfuhl von Hollywood zu erzählen. Aber die Antwort am anderen Ende der Leitung ist ein lautes Lachen. "Wir bei Lucasfilm stehen natürlich alle auf der guten Seite der Macht."

Mit Sicherheit könnte Kennedy ein paar derbe Anekdoten über ihre Anfänge im Macho-Club des New Hollywood in den Siebzigern erzählen, über den Koksnebel, in dem Hollywood in den Achtzigern versank oder über den darauffolgenden Kater in den Neunzigern, als die spaßbefreiten Bilanzbuchhalter von der Ostküste fast alle großen Filmstudios in Kalifornien übernahmen. Dass sie aber still, leise und sehr erfolgreich an all diesen Menschen vorbeigezogen ist, liegt unter anderem genau daran, dass sie sich an solchen Schlammschlachten nicht beteiligt.

Es gibt zwei sehr unterhaltsame Gossip-Standardwerke über das Hollywood in den letzten fünfzig Jahren, "Easy Riders, Raging Bulls" von Peter Biskin und "You'll Never Eat Lunch In This Town Again" von Julia Phillips. Darin wird so ziemlich jeder Mensch erwähnt, der einmal mit dem Chauffeur von Steven Spielberg zu Mittag gegessen hat, und alle werfen sie eifersüchtig mit Dreck um sich, wer wen wann und warum gevögelt oder betrogen hat. Kathleen Kennedy wird in beiden Büchern kein einziges Mal erwähnt.

Wenn man sie persönlich trifft, wie zum Beispiel 2010, bei den Dreharbeiten zu "War Horse", den sie wie so viele andere Filme gemeinsam mit ihrem Ehemann Frank Marshall für Steven Spielberg produziert hat, versteht man noch besser, warum. Da steht sie in einem extrem pittoresken, ganz auf Vergangenheit getrimmten Naturstein-Dorf namens Castle Combe im englischen Wiltshire, umgeben von Schauspielern und Statisten in Uniformen des Ersten Weltkriegs. Eine Dorfkapelle spielt, Frauen winken mit Taschentüchern, Männer auf prächtigen Pferden reiten in den Krieg, und am Fuß des Kamerakrans dirigiert Spielberg die ganze Szenerie.

Kathleen Kennedy aber hat ihren Tabletcomputer dabei und zeigt Szenenfotos von den anderen Locations - Kriegsszenerien, ein Fohlen auf idyllischer Weide, Pferde vor weitem englischen Himmel. Auf die Bemerkung, dass "War Horse" offensichtlich einen besonders guten Set-Fotografen habe, reagiert sie beinahe verlegen - und gibt dann zu, dass sie die Bilder selbst gemacht hat, quasi privat. Seit sie Filme produziert, fotografiert sie auch auf allen ihren Sets, in ihrem Archiv müssen unglaubliche Schätze lagern. Gibt es da mal eine Ausstellung? Ist sie im Gespräch mit dem Taschen-Verlag? Kennedy winkt ab und will nicht weiter darüber reden. Sie weiß, warum diese Phase ihrer Karriere so unfassbar erfolgreich verlaufen ist - weil sie jeder Versuchung, sich in Spielbergs Umgebung selbst in den Vordergrund zu spielen, mit größter Konsequenz widerstanden hat.

Beim nächsten Treffen, drei Jahre später, hat dann schon eine völlig neue Phase begonnen, und die erste große Bewährungsprobe findet sehr weit weg von Spielberg oder Hollywood statt, tief im Ruhrpott, in Essen. Dort macht im Juli 2013 die "Star Wars Celebration" Station, eine Fanmesse, die alle zwei Jahre an wechselnden Orten stattfindet. Aus der ganzen Welt reisen Freizeit-Jediritter, R2D2s und Darth Vaders an, die Unsummen in ihre Kostümierungen und ihre Leidenschaft investiert haben.

Auf solche Rhetorik-Künste wäre jeder Sektenführer neidisch

George Lucas aber, der Schöpfer des ganzen Kults, hatte Kennedy kurz davor zu seiner Nachfolgerin ernannt und seine Firma Lucasfilm für vier Milliarden Dollar an die Walt Disney Company verkauft. Aus Sicht der Hardcore-Anhänger hätte er auch gleich nordkoreanische Investoren und islamistische Terroristen mit ins Boot holen können - der Image-Schaden wäre ähnlich gewesen. Doch Lucas, der die Gefahren plötzlicher cineastischer Allmacht und künstlerischer Hybris sehr gut kennt, dachte sich wahrscheinlich Folgendes: So bescheiden, effizient und mit Gespür für Erfolg, wie sie Spielberg immer den Weg geebnet hat, wird Kennedy auch meinem "Star Wars"-Universum dienen, das kostbare Erbe sichern und verteidigen. Und er sollte recht behalten: Im orangenen Kleid tritt die neue Oberchefin vor das Lichtschwerter schwingende Fanpublikum, das natürlich Angst um die "Star Wars"-Legende hat. Und wiederholt dann mit ihrem mädchenhaften Lachen eine halbe Stunde lang so oft die Stichworte "Wir", "Team" und "Respekt", dass sie am Ende ihres Auftritts nicht nur keine Buh-Rufe, sondern Standing Ovations bekommt, ohne irgendetwas Nennenswertes über sich selbst oder "Star Wars" erzählt zu haben. Auf solche Rhetorik-Künste wäre jeder Sektenführer neidisch.

Diese Zurückhaltung bei öffentlichen und halböffentlichen Auftritten bedeutet aber nicht, dass sie hinter den Kulissen keine knallharten Entscheidungen treffen würde. Es gibt zum Beispiel die Anekdote aus den frühen Achtzigerjahren, als sie mit Steven Spielberg an "E.T." arbeitete. Das Drehbuch war fertig, die Besetzung stand, alle waren drehbereit. Aber Kennedy sagte: Stopp. Ihr gefielen die Augen der E.T.-Puppe nicht. Also fuhr sie ins Institut für Augenheilkunde in Los Angeles und verbrachte dort Tage mit Bergen von Augenprothesen. Die Größe der Pupillen, die Farbe, der Anteil des Augenweiß, Kennedy hielt die Mitarbeiter so lange auf Trab, bis E.T. durch seine Augen nicht nur ein Gesicht, sondern auch eine Seele bekam. Der Rest ist Filmgeschichte.

Auch bei der Arbeit an "Star Wars", etwa der aktuellen Folge "Rogue One", die am 15. Dezember in die Kinos kommt, gestaltet sie deutlich mehr mit, als sie öffentlich zugibt. Wer das Drehbuch schreiben darf, wer auf dem Regiestuhl sitzt, entscheidet Kennedy. Eine ihrer ersten Amtshandlungen als neue "Star Wars"-Macherin war es, die Chefetage von Lucasfilm so umzubauen, dass der Frauenanteil jetzt gut fünfzig Prozent beträgt. Weshalb sich natürlich die Frage aufdrängt, ob sie nach Jahrzehnten in Männerbetrieben ihre Chefrolle jetzt vor allem nutzen möchte, um Filmemacherinnen zu fördern?

"Wir suchen Filmemacher nicht nach dem Geschlecht aus, sondern danach, ob sie gut sind. Dass Frauen lange benachteiligt wurden, ist mittlerweile auch bei den Männern angekommen, und es tut sich gerade sehr viel. Am schnellsten geht das im Fernsehen, immer mehr Frauen führen Regie bei tollen Serien, und das ist natürlich ein ideales Sprungbrett, um sich für große Kinofilme zu empfehlen."

Und heißt das konkret, dass bald die erste Frau auf dem "Star Wars"-Regiestuhl sitzen könnte? "Selbstverständlich! Wir haben uns mit interessanten Filmemacherinnen getroffen, und mit einigen werden wir bestimmt zusammenarbeiten."

"Da bräuchten wir jetzt natürlich Namen . . ."

"Natürlich. Aber es tut mir wirklich leid, ich muss Schluss machen. Wir haben heute noch so viel zu tun." Da ist es wieder, das allumfassende Wir. Und ein weiteres Erfolgsgeheimnis Kathleen Kennedys wäre auch noch geklärt: ihre Verschwiegenheit.

© SZ vom 03.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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