Pro und Contra: Google Street View:Als der Schleier fiel

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Nun ist sie da, die Zwietracht: Darf oder soll man seine Wohnstätte im bebilderten Kartendienst des Internetkonzerns Google unkenntlich machen? Ein Pro und Contra.

Andreas Zielcke und Andrian Kreye

Pro: Wer sein Haus verpixeln lässt, macht von seiner Freiheit im öffentlichen Raum Gebrauch, sagt Andreas Zielcke.

Verpixeln oder nicht? Deutschland diskutiert über Google Street View. (Foto: dpa)

Natürlich begibt sich jeder, der sein Haus in Google Street-View verpixeln lässt, auf ein Feld voller Widersprüche. Selbstverständlich ist die Straße ein öffentlicher Raum, die Häuserfassaden sind jedem Blick zugänglich, ja sie ziehen, zumindest in den architektonisch gelungeneren Fällen, den Blick in bester Absicht auf sich. Und wenn einer auf dem Balkon zur Straße Würstchen grillt, rechnet er damit, dass man sein kulinarisches Treiben beobachtet; den Geschmack verdirbt es ihm nicht. Vor allem aber können, das hat die Debatte nicht nur in Deutschland nach ersten Aufgeregtheiten inzwischen geklärt, Datenschutz und Persönlichkeitsrechte das Gesamtunternehmen "Street-View" nicht verhindern. Das ist auch in Ordnung.

Warum spricht dennoch viel für das Motiv, aus der Reihe zu tanzen und sein Haus in dem Google-Projekt unkenntlich zu machen? Bezeichnend ist, mit welcher Lässigkeit die meisten Befürworter der Kritik begegnen, das Projekt würde in ihre privaten Angelegenheiten eingreifen. Google Street-View, sagen sie, stelle doch nur jene Öffentlichkeit auf digitalem Wege her, die ohnehin auf Straßen und Plätzen herrsche. Das ist eine folgenreiche Vereinfachung. Ein schlichtes Gedankenexperiment sollte zu denken geben: Wie wäre es, wenn Sicherheitsorgane des Staates sämtliche bebauten Straßen und Häuser digital erfassen würden?

Öffentlichkeit ist keine Sache, die unempfindlich gegen ihren Verwendungszusammenhang ist wie Edelstahlkocher gegen Wasser und Rost. Man muss den Google-Managern keine finsteren Absichten unterstellen, den Orwellschen Staat totaler Transparenz wollen sie nicht, sie führen nichts Böses im Schilde. Dass sie in Kauf nehmen, Kriminellen in die Hände zu spielen, die im Netz Gebäude für Raubzüge auskundschaften, scheint an den Haaren herbeigezogen. Solche Ängste lenken nur ab vom wirklichen Problem. Denn was Google zweifelsohne betreibt, ist die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums und privater Daten zugleich. Und das hat seine Konsequenzen.

Man muss Googles nüchterner Auffassung - der öffentliche Raum als Material, das man bewirtschaften und zu Geld machen kann - gar nicht damit kommen, dass man ihr eine nostalgische Idee entgegenhält, die Idee "einer kultivierten und altertümlichen, sozusagen frühbürgerlichen Öffentlichkeit als Bühne freier Spieler", wie es in einem wehmütigen Kommentar heißt. Derlei retrospektive politische Beschaulichkeit dürfte zu den Gründen zählen, warum die Facebook- und Twittergeneration so verächtlich lästert über die "Generation 40 +, die ständig vor den Gefahren des Netzes warnt und offenbar gar nicht verstanden hat, was sich derzeit im Netz abspielt und wie junge Leute damit umgehen."

Nicht gegen meinen Willen!

Aber auch wenn man womöglich zu denen zählt, die wenig "verstanden" haben vom Netz, so bleibt einem doch nicht verschlossen, dass selbst die noch so exzessive Praxis der Preisgabe privater Tatsachen in Facebook, Chatrooms und digitalen Partnerschaftsdiensten das eine Prinzip einhält: Nicht gegen meinen Willen!

Und diese Generaleinschränkung betrifft eben auch Dinge, die eigentlich öffentlich sind, aber faktisch der Öffentlichkeit im umfassenderen Sinn verborgen bleiben. Eine Frau, die sich im Freibad im Bikini vor aller Augen sonnt, möchte ihr Bild nicht in der gleichnamigen Zeitung oder im Netz zirkulieren sehen. Auch diejenigen, die ihr privates Handygespräch in der Bahn ungeniert vor unbeteiligten Mitpassagieren führen, wären schockiert, wenn es aufgezeichnet und im Internet wiedergegeben wäre. Warum? Weil sie diese Dimension von Öffentlichkeit ganz und gar nicht wollten.

Sie sind verstört, wenn der vorbeiziehende Fluss der öffentlich sichtbaren Dinge plötzlich angehalten und in einen geronnen Zustand überführt wird. Das flüchtige Ereignis wird materialisiert und für jedermann auf Dauer verfügbar. So gewinnt ihr Bild oder Gespräch mit einem Mal ein öffentliches - und auch nicht-öffentliches - Dasein, das sich ihrer Kontrolle vollständig entzieht. Selbst das aus Stein erbaute Haus wird erst dadurch öffentlich verfügbar, indem sein flüchtiger Anblick im Netz "versteinert" wird. Das Netz, das Synonym für flüssige Prozesse, ist zugleich das Medium unkontrollierbarer Fixierung.

Das eigene Haus verpixeln zu lassen, hat darum zwei gewichtige Gründe: Erstens, Öffentlichkeit, wenn sie denn als das Medium ziviler Freiheit verstanden wird, darf nicht zu einer Zwangsveranstaltung werden, an der man teilzunehmen hat, ohne gefragt zu werden. Zweitens, die Wege der Daten über die eigenen Lebensumstände sollte man beherrschen dürfen, soweit es irgend geht.

Das ist trivial, nur deshalb nicht weniger wirkungsvoll

Dass man sich angesichts privater und staatlicher Datenströme keiner Illusion hingeben darf, versteht sich. Doch das ist kein Grund, den Damm mit eigenen Händen zu brechen. Das Internet ist keine Veranstaltung der Resignation, oder?

Google stellt nicht zweckfreie städtische Panoramen her wie Canaletto. Es verfolgt mit Street-View handfeste betriebswirtschaftliche Absichten. Das ist nicht des Teufels, bedeutet aber, dass die Bilder in Kontexte gestellt werden, die weder der Hausbesitzer noch der "User" des Dienstes überschauen, schon gar nicht die künftigen Kontexte.

Gemeinsam ist allen Google-Bilderdiensten, dass sie für das Unternehmen gewinnbringend sein müssen, welche Belästigung sich der Hausbesitzer durch gezielte Anzeigen oder durch den Weiterverkauf der Bilder an dritte Internetunternehmen auch immer gefallen lassen muss. Das ist trivial, nur deshalb nicht weniger wirkungsvoll. Vor allem aber kann Google die Bilder mit den vielen anderen Daten verknüpfen, die es über die Hausbesitzer sammelt und daraus seine kommerziellen Strategien bedienen. Dass das Unternehmen mit Street-View seiner medialen Omnipräsenz überdies einen Schritt näher kommt, lässt nicht nur Pessimisten bei der fröhlichen Zuarbeit für den Konzern zögern. Gar nicht davon zu reden, dass beliebige andere Internetunternehmer ihr uneinsehbares Spiel mit den Bildern spielen können.

Mag jeder für sich entscheiden, ob das auch sein Spiel ist - solange nicht jeder gezwungen ist, mitzuspielen. My house, my castle, das war die spießige Version für jedermann. Heute heißt es für jene, die sich der neuen Zwangsbeglückung entziehen: my house, my pixel.

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Bildern.

Contra: Wer sein Haus verpixeln lässt, erklärt öffentlichen Raum eigenmächtig zur Privatsphäre, meint Andrian Kreye.

Da ist sie nun, die Zwietracht. Beim ersten Betrachten der Münchner Straßen und Viertel in der Street-View-Anwendung von Google drängt sich angesichts all der unkenntlich gepixelten Gebäude ein neues Ressentiment auf. Wer sind denn diese paranoiden Kleingeister, die sich die Mühe gemacht haben, die Firma Google zu bitten, ihre Wohnstatt aus dem Plan zu nehmen? Und als Bewohner eines Mietshauses stellt sich daraufhin auch gleich die Frage - wer hat denn unser Haus verpixelt? Der in natura sehr hübsche Altbau steht bei Google zwischen den Nachbargebäuden als unansehnlicher Datenbrei im Stadtbild und signalisiert, nun ja, dass auch hier Datenschutz-Fundamentalisten wohnen. Zu denen man qua Sippenverpixelung nun selbst gehört.

Es reicht ja der Antrag eines einzigen Mieters, schon ist das Gebäude nur noch in einer Optik zu sehen, die ein wenig an die anonymisierten Kinderschänder erinnert, die Ministergattin zu Guttenberg bei RTL2 vorführt. Man traut es den Nachbarn eigentlich nicht zu, wenn man das Glück hat, in einer außergewöhnlich netten Hausgemeinschaft zu wohnen, mit der man gemeinsam aus Holzdielen eine Sonnenterrasse gebaut hat, auf der man sich im Fußballsommer dann zum gemeinschaftlichen Semi-Public-Viewing traf. Oder war es vielleicht doch der Vermieter, der seine Hausgemeinschaften vor der Grundsatzfrage bewahren wollte - Pixel oder freie Sicht?

Und an wen wendet man sich, wenn man sein Gebäude wieder entpixeln lassen will? Immerhin gibt es ja so manch praktische Anwendung jenes Programms, das Stadtpläne in übersichtliche Rundumbilder auf Straßenebene übersetzt, in denen man ganz einfach navigieren und somit Nachbarschaften und Wegstrecken erkunden kann. Man kann Freunden per E-Mail zeigen, wo man wohnt. Man selbst kann seine Nachbarschaft besser kennenlernen, weil die Stadtrundfahrt auf dem Monitor mit so genannten Airtags versehen ist. Das sind Markierungen der anliegenden Firmen und Lokale, die man mit einem Mausklick aktivieren kann, um mehr zu erfahren, was sich so alles in der Nachbarschaft befindet.

Verschleierte Fassaden

Wie zu erfahren ist, kann man sich gar nicht gegen die Verpixelung wehren. Die ist ab dem ersten Antrag eines Mitbewohners endgültig. Allerdings kann man solch einen digitalen Rundgang durchs Viertel auch ohne Google Street-View unternehmen. Die deutsche Webseite sightwalk.de bietet schon seit April 2008 den genau gleichen Dienst an. Nicht ganz so umfangreich. Lediglich sieben deutsche Städte sind dort im Angebot. Und es sind jeweils auch nicht alle Straßen der Städte erfasst. Doch wenigstens stören keine Pixelwände, die der Schriftsteller und digitale Kulturkritiker Peter Glaser zum Street-View-Start am Donnerstag in einer Twitter-Nachricht mit dem Satz kommentierte: "Die Datenburka, heute: Verschleierte Fassaden."

Nach dem ersten Ärger, dass Google es nun wirklich geschafft hat, die deutsche Bevölkerung zu polarisieren, obwohl das Firmenmotto doch "Don't be evil" lautet, drängen sich ein paar Fragen auf. Darf man sich einer Erfassung des öffentlichen Raumes entziehen? Warum tobt die Street-View-Debatte ausschließlich in Deutschland so heftig? Und haben die Zugeständnisse des Konzerns an den Datenschutz nicht einen Präzedenzfall geschaffen, der Folgen haben kann?

Die Frage, ob man sich der Erfassung des öffentlichen Raums entziehen kann, ist weniger eine rechtliche, als eine gesellschaftliche Frage. Der öffentliche Raum ist ein kostbares Gut der Allgemeinheit, das sowieso schon zunehmend gefährdet ist. Die Privatisierung des öffentlichen Lebens durch die Kultur der kommerziellen Passagen und Malls war lange ein amerikanisches Phänomen, das längst in allen Lebensbereichen Deutschlands angekommen ist. Egal ob die teuren Fünf Höfe in Münchens Innenstadt oder das billige Olympia-Einkaufszentrum an der Peripherie, an solchen Orten schlägt Hausrecht jedes Bürgerrecht. Der öffentliche Raum aber muss von allen genutzt werden dürfen. Auch von einem Konzern wie Google. Der betreibt letztlich nichts anderes, als eine moderne Form der Kartographie. Man kann ja seine Wohnstatt auch nicht einfach aus dem Falkplan löschen lassen. Wie das Beispiel sightwalk.de zeigt, ist Google auch keineswegs die einzige Firma, die solche neuen Formen der Kartographie benutzt.

Die Debatte setzt am falschen Ende an

Fast jeder digitale Konzern entwickelt derzeit solche neuen Technologien. Microsoft hat eine Kartentechnik entwickelt, die noch viel weiter geht, die Kartographie, Webvideos, Chat-Funktionen und Mobiltelefone miteinander verknüpft und so ungeahnte neue Möglichkeiten der Orientierung und Kommunikation schafft. Wer ein Smartphone besitzt, der weiß längst, was der GPS-Anschluss für Funktionen erlaubt. Auch wenn diese Positionsbestimmung den gegenwärtigen Aufenthaltsort transparent macht.

Die Gründe dafür, dass die Street-View-Debatte gerade in Deutschland so hochgekocht ist, sind in der Geschichte zu suchen. Nach einem 20. Jahrhundert, in dem zwei Diktaturen ihre Schreckensherrschaften auf deutschem Boden mit ausgedehnten Spitzelnetzwerken zementierten, ist die Skepsis gegenüber jeder Form der Datenerfassung fest im historischen Gedächtnis verankert.

Doch es gibt da noch einen Aspekt, der einen gerade als Journalisten beunruhigt. Wenn nun jeder Bürger, jede Firma den Google-Konzern zwingen kann, einen Ort oder ein Gebäude unkenntlich zu machen, legt das dann nicht das Fundament für eine Rechtsauslegung, die in Zukunft auch Pressefotografen dazu zwingt, Orte und Gebäude zu verpixeln? Die einschlägigen Hamburger Medienanwälte dürfte das freuen, immerhin vertreten sie Mandanten, denen ihre Privatsphäre viel Geld und juristischer Aufwand wert ist. Minderbemittelten Opfern der Boulevardpresse stehen sie ja eher selten bei.

Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass Google daran gelegen ist, sämtliche Daten seiner Nutzer zu erfassen und zu vermarkten. Die Debatte um Street-View allerdings setzt am falschen Ende des digitalen Angebots an. Wer berechtigte Angst vor der Datenkrake Google hat, wäre besser beraten, deren Suchmaschine nicht mehr zu benutzen. Denn die erstellt beunruhigend präzise Nutzerprofile.

© SZ vom 20.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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