Pro: Freie Netzkultur:Das Grundrecht auf Meinungsäußerung muss für alle gelten

Pro: Freie Netzkultur: Wollen wir ernsthaft Maschinen zugestehen, darüber zu befinden, was Satire oder was Aufruf zum Terror ist?

Wollen wir ernsthaft Maschinen zugestehen, darüber zu befinden, was Satire oder was Aufruf zum Terror ist?

(Foto: Rawpixel/Unsplash; Bearbeitung SZ)

Die Netzkultur droht automatisierten Zensurmechanismen zum Opfer zu fallen. Es liegt an uns, das Freiheitsversprechen des Internets zu erfüllen.

Kommentar von Dirk von Gehlen

Bestehende digitale Inhalte neu zu kombinieren und zu verändern, wird häufig als Netzkultur bezeichnet. Staatliche Regulierungsbemühungen, wie zuletzt die geplante Reform des EU-Urheberrechts, ziehen regelmäßig die Kritik nach sich, dass sie die Netzkultur und damit das freie Internet gefährden. Aber ist diese Freiheit angesichts von multimedial verstärkter Propaganda, Hate Speech und der kommerziellen Vereinnahmung digitaler Öffentlichkeiten überhaupt noch zu rechtfertigen?

Der folgende Text bejaht diese Frage. Lesen Sie hier auch das Contra von Philipp Bovermann.

Wir haben eine neue Ebene der Internet-Kritik erreicht: Nachdem wir jahrelang gehört haben, das Internet sei minderwertig im Vergleich zu Offline-Angeboten, hören wir jetzt: Das große Versprechen von der tollen, freien Netzkultur erfüllt sich ja gar nicht. Beide Kritikpunkte basieren auf der gleichen passiven Beobachterperspektive, die davon ausgeht, man könnte das Internet von außen betrachten. Das ist schon rein technisch nicht möglich. Das Internet als Infrastruktur ist ein Netzwerk, wer es beobachten will, muss daran teilnehmen. Ihr oder sein Endgerät wird - zumindest technisch - Bestandteil des Netzwerks. Deshalb empfiehlt es sich, Internetkritik stets als Gesellschaftskritik zu lesen: als Selbstbezichtigung. Wer also sagt: "Das große Versprechen vom Internet erfüllt sich nicht", meint damit oft genug auch: "Ich helfe nicht mit, um das Versprechen vom Internet zu erfüllen."

Denn die zentrale Herausforderung, vor die der digitale Wandel die Gesellschaft stellt, lässt sich so auf den Punkt bringen: Das Internet hat aus dem theoretischen Recht, "seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten", eine praktische Möglichkeit gemacht, die plötzlich von sehr vielen Menschen ungefragt genutzt wird. Niemand, der auf dem Boden des Grundgesetzes steht, kann diese Demokratisierung der Publikationsmittel grundsätzlich ablehnen. Es kann aber auch niemand wirklich mit dem Hass und der Menschenverachtung einverstanden sein, die durch das Internet öffentlich werden.

Sollte man deshalb das theoretische Recht in Frage stellen? Auf keinen Fall. Denn wer das theoretische Recht auf freie Meinungsäußerung einschränken will, beschädigt damit mehr, als die praktische Möglichkeit, es auszuüben, jemals anrichten kann. Ein solches Denken ist durch und durch undemokratisch und schädlich - aber keineswegs selten.

Aktuell kann man dieses Denken in der Debatte um das Urheberrecht in Aktion beobachten. Die Aufgabe, das Recht auf Publikationsfreiheit einzuschränken, soll hier auf Maschinen ausgelagert werden. So genannte Uploadfilter sollen kontrollieren, ob die praktischen Ergebnisse des theoretischen Rechts auf Meinungsäußerung auch urheberrechtlich erlaubt sind. Doch diese Filter sind sehr fehleranfällig, trotzdem sollen sie auch in anderen Fragen künftig zum Einsatz kommen. Wollen wir ernsthaft Maschinen zugestehen, darüber zu befinden, was Satire oder was Aufruf zum Terror ist?

Der Fasching der digital aktiven Generation

Wer jemals versucht hat, etwas im Netz hochzuladen, empfindet diese Schranken deshalb als Angriff auf das Grundrecht auf Meinungsäußerung - und als Ende des freien Internets. Wer noch nie etwas hochgeladen hat, tut sich schwer damit, diese Dimension zu verstehen. Aber das ist eben der Unterschied zwischen theoretischem Recht und praktischer Möglichkeit: Das Grundrecht auf Meinungsäußerung sollten auch jene verteidigen, die gar keine Meinung haben, Netzkultur nicht mögen oder der Meinung sind, dass andere Meinungen doch irgendwie nicht so wichtig sind.

Anzunehmen, der Wert des theoretischen Rechts hänge am persönlichen Gefallen der praktischen Inhalte, ist ein verbreiteter Irrglaube. Es ist in Wahrheit egal, ob man die Netzkultur mag oder nicht - sie ist Bestandteil eines verbrieften Grundrechts. Und nebenbei ist sie so etwas wie der Fasching der digital aktiven Generation: Mit der Referenz- und Parodie-Kultur folgen die Menschen, die das Internet nicht nur beobachtend benutzen, dem gleichen Reflex, dem Karnevalisten am Rosenmontag folgen. Man muss beides nicht mögen, wer jedoch Maßnahmen vorschlägt, die diese Kultur unmöglich machen, muss auch die Antwort aushalten.

Wie die ausfallen könnte, konnte man am Wochenende bei einer ersten Demo in Köln beobachten. Für den 23. März haben Menschen, die das Internet aktiv nutzen, zu Straßendemos in ganz Europa aufgerufen - und spätestens bei der Europawahl werden sie per Stimmentscheid zum Ausdruck bringen, wie sie politische Vorschläge von denen finden, die das Internet nur von außen beobachten.

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Contra: Freie Netzkultur
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Wenn der Staat das Internet regulieren möchte, heißt es regelmäßig, das gefährde die Netzkultur. Aber deren Freiheitsversprechen ist nicht mehr zeitgemäß.

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