Pritzker-Preis für Architektur:Ewige Optimistinnen

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Der Pritzker-Preis für Architektur an Yvonne Farrell und Shelley McNamara ist ein starkes Signal - weil die beiden daran glauben, dass ein Bau einen Ort verbessern kann.

Von Laura Weißmüller

Vielleicht erklärt das Fenster von Carlo Scarpa schon alles. Als Yvonne Farrell und Shelley McNamara vor zwei Jahren die Architekturbiennale von Venedig kuratiert haben, legten die beiden irischen Architektinnen im Hauptgebäude ein Fenster des italienischen Raumkünstlers Scarpa frei. Über die Jahrzehnte war es hinter Stellwänden in Vergessenheit geraten. Die Wirkung war erstaunlich. Was früher die Rumpelkammer der ganzen Biennale war, erstrahlte plötzlich in hellem Licht. Das Glitzern des Kanals, der direkt hinter dem Gebäude verläuft, geriet wieder in den Blick, genauso wie die Wolken am Himmel, kurz: Man spürte, wo man war, und genoss es.

Gute Architektur schafft für Farrell und McNamara, die 1978 ihr Architekturbüro Grafton Architects gegründet haben und nun gemeinsam für ihr Werk mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet werden, genau das: Orte, die durch einen klugen Umgang mit Licht und Raum, mit Material und Proportionen zum Genuss werden. "Es ist das eine, etwas Funktionales zu machen. Aber das reicht nicht. Architektur hat die Fähigkeit, einen Ort zu verbessern", hat Shelley McNamara im Gespräch mit dieser Zeitung einmal gesagt und dass sie beide "ewige Optimistinnen sind": Wer Architekt sei, werde einfach dazu.

Vielleicht muss man aber auch gnadenloser Optimist sein, wenn man just in Irland den Beruf des Architekten wählt. Denn so herzzerreißend schön diese Insel ist, mit ihren zerklüfteten Felsen, den grünen Wiesen und den sanften Bergriesen, so atemberaubend hässlich ist meist das, was dort gebaut wird: seelenlose Einfamilienhäuser, wo gerne die Garage den Ausblick in das Naturschauspiel verstellt; gesichtslose Bürogebäude aus Glas und Stahl, dazu ausufernde Gewerbegebiete. Der Bauboom der vergangenen Jahrzehnte zeigt in Irland sein hässlichstes Gesicht.

Farrell und McNamara, die beide in Dublin studierten und ihr Büro nach einer Straße dort benannt haben, kämpfen dagegen an. Nicht mit Protestplakaten und Kampagnen, sondern mit Gebäuden, die ihrem Ort gerecht werden. Dafür studieren sie, wie das Licht dort fällt, wie die Menschen sich an dem Ort verhalten und was es braucht, damit eine Beziehung zwischen ihnen und dem Bau entsteht. Es ist eine im besten Sinne dienende Architektur.

Wie gut das funktioniert, sieht man etwa an ihrem Universitätsgebäude in Mailand. Die Eingangsfassade kragt so weit nach vorne aus, dass ein öffentlicher Platz darunter entsteht, der wiederum eine Art magische Sogkraft zum Bau hin erzeugt. Von außen wird der Blick mitten hineingezogen, ins Foyer und in den opak leuchtenden Vortragssaal, entlang von Linien, die einem grafischen Muster gleichen.

Grafton-Gebäude besitzen eine gewisse Schwere, die nichts mit Schwerfälligkeit, dafür viel mit Ortsverbundenheit zu tun hat. Dazu passt, dass die Architektinnen bevorzugt mit Beton und Stein arbeiten. Wie Bildhauerinnen formen sie daraus ihre Volumen. Tatsächlich wirken ihre Entwürfe dadurch oft wie geometrische Skulpturen, nur dass die Bauten keinem Selbstzweck dienen, sondern immer ihren Nutzern. Was umso schöner ist, weil das meistens vielen Menschen zugute kommt: Das Büro baut vor allem Universitäts- und Schulgebäude, hauptsächlich in Irland, aber auch in Frankreich, Großbritannien und sogar eines in Peru.

Für ihr Werk haben Farrell und McNamara, die beide auch unterrichten, schon viele Preise bekommen, darunter erst kürzlich die Royal Gold Medal 2020, die höchste Auszeichnung für Architektur in Großbritannien. Nun also den Pritzker-Preis. Wer die mit 100 000 Dollar dotierte Auszeichnung in der Architekturwelt bekommt, ist ein Star, ohne Wenn und Aber.

Dementsprechend glanzvoll ist die Ahnengalerie des Pritzkers, seitdem er 1979 zum ersten Mal verliehen wurde. Norman Foster ist darunter, Rem Koolhaas, Tadao Ando, Shigeru Ban, Peter Zumthor und Gottfried Böhm. So preiswürdig alle diese Baumeister sind, so deutlich spiegeln sie wider, wie die Architekturwelt funktioniert: Ganz oben steht ein Mann, gerne weiß, gerne etwas älter, gerne großmeisterlich genial. In der über 40-jährigen Geschichte des Preises waren bislang Zaha Hadid und Kazuyo Sejima, die zusammen mit ihrem Büropartner Ryue Nishizawa gewann, die einzigen Architektinnen, die ihn bekamen. Dabei studieren seit Jahren mehr Frauen als Männer Architektur.

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Mit Farrell und McNamara verdoppelt sich die Zahl der Pritzker-Preisträgerinnen nun auf einen Schlag. Das macht mehr als doppelt Sinn: Erstens, weil das Werk von Grafton zeigt, was herausragende Architektur kann. Schönheit hervorbringen, die mit allen Sinnen zu erleben ist und trotzdem ihre Erfüllung im Dienst der Gesellschaft sieht. Zweitens, weil das Talent, eine solche zu erschaffen, nichts mit dem Geschlecht zu tun hat, wie es lange der Pritzker-Preis suggerierte. Oder wie Yvonne Farrell das einmal formulierte: "Fantasie ist nichts, was vom Geschlecht abhängt. Es ist ein menschliches Attribut. In unserem gesamten Architekturleben haben wir unterrichtet und dabei Wahnsinnstalente gesehen - Frauen wie Männer." Und drittens, weil Architektur immer weniger etwas ist, was ein Mensch alleine erschaffen kann. Farrell und McNamara zeigen seit über 40 Jahren, was es bedeutet, im Team zu arbeiten, zu entwerfen, gleichberechtigt Ideen zu entwickeln und sich gegenseitig zu unterstützen. Die Jury des Pritzker-Preises begründet ihr Urteil denn auch mit dem "Glauben an die Zusammenarbeit", den die Preisträgerinnen zeigten, und ihrer "Großzügigkeit gegenüber ihren Kollegen". Dies sei ebenso wichtig wie die "unglaubliche Stärke in ihrer Architektur", ihre "tiefe Beziehung zur lokalen Situation" und die "unterschiedlichen Antworten", die sie auf jeden Auftrag fänden.

Großzügigkeit ist beileibe nicht selbstverständlich in einer Branche, die in Wettbewerben fortwährend zur Konkurrenz aufruft. Für Yvonne Farrell und Shelley McNamara - beide grundsympathisch und extrem höflich - ist es dagegen so etwas wie ein Markenzeichen, das auch auf ihrer Architekturbiennale deutlich wurde: Bevor sie noch ihren eigenen Namen sagten, lobten sie ihr Team. Ihre Begeisterung für die Arbeiten der gezeigten Architekten war ansteckend, weil echt. Und indem sie Carlo Scarpas Fenster freilegten, stellten sie die gesamte Baukunst aufs Podest. Der Pritzker-Preis würdigt dieses Jahr also zwei Frauen, die nicht nur die eigene Kunst promoten, sondern gute Architektur an sich. Und davon kann es wirklich nie genug geben.

© SZ vom 04.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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