Printmedien:Blick in den Satzspiegel

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Michael Angele: Der letzte Zeitungsleser. Galiani Verlag, Berlin 2016. 160 Seiten, 16 Euro. E-Book 13,99 Euro. (Foto: N/A)

Der Journalist Michael Angele ruft in seinem Essay "Der letzte Zeitungsleser" Thomas Bernhard als Kronzeugen für Print auf.

Von Sofia Glasl

Wenn in heimischen Hobbykellern in mühevoller Kleinarbeit Landschaften entstehen, durch die später Miniatureisenbahnen gondeln, setzt sich der Literaturwissenschaftler und Kulturjournalist Michael Angele lieber an den Schreibtisch. Er bastelt seine Modelle nicht mit Laubsäge und Klebstoff zusammen, sondern mit Stift und Papier. Miniaturen entstehen auch bei ihm - in seinem Essay "Der letzte Zeitungsleser" widmet er sich nun, der Titel verrät es, der Zeitung.

Das scheint naheliegend zu sein, ist Angele doch stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung Der Freitag, also selbst ein Zeitungsmann. Allerdings wechselt er hier bewusst die Perspektive und betrachtet die Zeitungswelt aus dem Blickwinkel des Gegenübers - als passionierter Zeitungsleser, für den das tägliche Studieren des Blattes, oder gar diverser Blätter, mehr als bloßes Informationsupdate ist, das auch am Computer oder Tablet stattfinden könnte. Es ist vielmehr ein kulturelles Ritual: jeden Tag die gedruckte Zeitung im selben Café, am selben Frühstückstisch oder in derselben Bahn zu lesen, sich an ihrer Haptik, an ihrem Geruch zu freuen, an ihrem Rascheln.

So verwundert es auch nicht, dass Angele das schmale Bändchen zwar als Buch herausgegeben hat, sich darin jedoch optisch wie auch stilistisch an der Zeitung orientiert - als eine Miniaturzeitung: Der Einband ist einer Titelseite nachempfunden, der junge Thomas Bernhard ist darauf abgebildet, eine Zeitung in der Hand. "Die Leiden des Zeitungssüchtigen" lautet die Schlagzeile. Innen ist jede Seite nur einspaltig bedruckt, an luftige Lyrikblöcke erinnert der Satzspiegel. Als roter Faden zieht sich ein anekdotenhaftes Porträt Thomas Bernhards durch den Text. Angele inszeniert Bernhard als prototypischen Zeitungsleser, denn er zog oft aus kleinen Meldungen und Glossen Inspiration für seine eigenen Texte, liebte es naturgemäß aber mindestens genauso, sich über Nachrichten zu echauffieren. Zeitunglesen als gepflegte Erregungskunst, wer könnte da besser Pate stehen als Thomas Bernhard.

Zwischen das Porträt des grantelnden Zeitungsfans tupft Angele weitere journalistische Textsorten: kolumnenartige Leseerlebnisse, Begegnungen mit den Schrullen anderer Zeitungsleser oder gar -sammler; eine Miniatur-Reportage über eine Ausgabe der NZZ, die Thomas Bernhard einmal in einer Odyssee zu erstehen versuchte; ein Interview mit dem Intendanten des Berliner Ensembles und Bernhard-Lebensmenschen Claus Peymann.

Die Begleiterscheinungen des Lebensgefühls Zeitung werden aufgefächert: etwa die glossenhafte Feststellung, dass Zeitungen zwar zum Lesen da sind, aber auch gekauft werden, um allein die Möglichkeit zu haben, sie zu lesen - sich Artikel mit den besten Vorsätzen für eine spätere Lektüre bereitzulegen, die dann doch nie kommt. Hier prallen Möglichkeitswelten auf das schlechte Gewissen des Prokrastinierers, Abenteuer des Geistes auf das selbstgewählte Pensum des Perfektionisten. Ein liebenswertes, aber beizeiten auch marottiges Unikum beschreibt Angele hier.

Dabei bedient er sich eines nicht seltenen, aber doch raffinierten Kniffs: Ganz im Geiste der Bastler hat er sich selbst als kleines Figürchen in sein Modell des eigenen Hobbykellers hineinfingiert - eine mise en abyme, die zugleich Kippbild zwischen Beobachter und Beobachtetem ist. Auch wenn er aus der Perspektive des Lesers schreibt, kann er doch die Haltung des Blattmachers nicht ablegen.

Das schadet dem Text jedoch nicht. Angele spricht zwar über die Krise in den Printmedien, prangert jedoch nicht an, sondern stellt lediglich fest. Er ist sich der Übermacht der digitalen Medien bewusst, sieht deren Vorteile. Er hat selbst jahrelang für die Netzeitung gearbeitet und sperrt sich nicht gegen den technischen Fortschritt. Doch sieht er eben im analogen Zeitungslesen eine Kulturleistung, die neben den digitalen Medien und sozialen Netzen als hauptsächliche Informationsbeschaffungssysteme bestehen kann.

Zugegeben, der Blick ist ein nostalgischer, aber kein verklärter. Michael Angele zeigt die Zeitung als kleines Stück portabler Heimat, als treuen Begleiter, Weltgefühl und Lebenskonzept.

© SZ vom 19.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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