Prince:Warum Fans vergeblich nach Prince-Songs im Internet suchen

Von Prince ist überliefert, dass er das Internet für "komplett vorbei" hielt. Doch das stimmt nicht. Tatsächlich war der Künstler einer der Ersten, der das Internet wirklich verstanden hat.

Von Hakan Tanriverdi, New York

Wenn berühmte Menschen sterben, sind soziale Netzwerke voll mit Fotos, Gedankenfetzen, Fernseh-Ausschnitten, Zitaten, Zeichnungen, Heul-Emojis und #RIPs. Wenn der tote Mensch ein Musiker ist, gibt es außerdem noch die Kategorie "Meine Lieblingslieder".

Jetzt, da Prince tot ist, wohl einer der talentiertesten Musiker aller Zeiten, wird ausgerechnet das fehlen. Ja, man kann seine Songs bei iTunes oder Amazon kostenpflichtig downloaden. Aber verglichen damit, wie mühelos Musik heutzutage konsumiert werden kann, ist Prince so gut wie nicht vorhanden.

Es gibt (fast) keine verwackelten Youtube-Aufnahmen, bei denen die Musik auch nur zufällig im Hintergrund zu hören wäre. Keine Sechs-Sekunden-Loops von seinen Konzerten in Paisley Park auf Vine. Auf den Streaming-Plattformen Spotify und Apple Music: nichts. Es bleiben nur Erinnerungen und Fotos.

Für Millionen Menschen, die berühmte Künstler kennen, aber nie getroffen haben, sind diese Erinnerungen auch immer ein Blick auf das eigene Leben. "Ich denke darüber nach, warum wir weinen, wenn Menschen sterben, die wir nie getroffen haben", schrieb eine Twitter-Nutzerin im Januar nach dem Tod von David Bowie und kam zu dem Schluss: "Wir weinen nicht, weil wir sie gekannt haben, wir weinen, weil sie uns geholfen haben, uns selbst besser kennenzulernen."

Für junge Menschen, die Prince nicht kennen, sind diese Erinnerungen von Brüdern, Tanten, Vätern, Barack Obama, Mick Jagger, Gene Simmons, Samuel L. Jackson, Funkmaster Flex, Katy Perry, Lindsay Lohan, Justin Timberlake, Spike Lee, Lil' Kim, Mobb Deep, Lupe Fiasco, Missy Elliot und James Franco hingegen allenfalls erste Ideen davon, was Prince gewesen sein könnte. Es sind Reaktionen wie die eines Lehrers, der mitten im Unterricht beginnt, "Purple Rain" zu spielen, die Brille absetzt und aus Verzweiflung seinen Kopf in den Händen vergräbt, die für junge Menschen klarmachen: Das war anscheinend ein talentierter Musiker. Wäre doch gut, sich anzuhören, was dieser Mensch so komponiert hat.

Keine Songs von Prince, keine unmengen GIFs

Aber: Es gibt keine Songs. Es gibt Unmengen GIFs und hin und wieder ein verwackeltes Bild auf Twitter vielleicht. Aber das ist gerade (fast) egal.

Diese Menschen also, die Prince nicht kennen, werden sich fragen, warum das so ist. Wieso gibt es keine Songs von Prince im Internet? Und Google wird eine sehr bestimmte Antwort liefern:

Prince sagt, dass das Internet "komplett vorbei" ist, werden diese Menschen erfahren. Dass Prince seine Fans auf 22 Millionen US-Dollar verklagt haben soll, weil diese Bootleg-Aufnahmen von seinen Konzerten verteilt haben sollen. (Die Klage ließ er schnell wieder fallen). Dass Prince sehr strikte Regeln für seine Konzerte hat: keine Kameras, keine Fotos, kein Alkohol.

Es ist eine Antwort, die nicht falsch ist. Es ist aber eine Antwort, die Prince verzerrt, ihn massiv reduziert auf einen Künstler, der das Internet nicht verstanden hat und sich in einem letzten Akt der Arroganz für das Schmollen entschied. Doch das stimmt nicht. Prince ist ein Musiker, der sich von Beginn an für Technik interessierte, wie Ben Houge, Professor an der Berklee School of Music in Boston, kürzlich dem US-Radiosender NPR erzählte.

1993 musste sein damaliges Label Warner eine Diskette (!!!) verschicken, damit Nachrichtenseiten das Symbol abdrucken konnten, für das sich der "Artist formerly known as Prince" entschieden hatte. Prince hat den modernen Textspeak mit erfunden. Wenn also Menschen heute "LOL" schreiben, wissen sie jetzt, von wem diese Bewegung mit ausgegangen ist.

Sein Album "Crystal's Ball" veröffentlichte Prince im Jahr 1997 exklusiv im Internet. Im Jahr 2001 gründete Prince den NPG Music Club. Ein Versuch, direkt an die Fans heranzukommen, ganz ohne Plattenlabel. Prince wusste 1999 bereits, was die Musik-Industrie daraufhin schmerzlich selbst erfahren musste: Die Preise für CDs sind zu hoch. Vermittler ruinieren die Industrie, sagte Prince. Spotify wurde übrigens 2006 gegründet (und viel später erst global bekannt).

Prince erkennt in Computern ein Mittel, um auf echte Menschen zu treffen

Doch auch in den Texten von Prince ging es um Technik und wie diese den Menschen verändert. In "My Computer" singt Prince zum Beispiel: "Ich durchsuche meinen Computer nach Webseiten, um jemanden zu finden, mit dem ich reden kann. Jemand, der lustig und intelligent ist." In einer Zeit, wie er singt, die im immer gleichen Wahnsinn der Nachrichten untergeht ("Ein weiterer Mordfall in den Nachrichten"), erkennt Prince in Computern ein Mittel, um auf echte Menschen zu treffen, auf Kommunikation.

Prince wusste also sehr wohl um Technik und was durch sie möglich gewesen wäre. Genau deswegen regte er sich umso mehr über Spotify auf und wies in Tweets darauf hin, dass der Streamingdienst zu 20 Prozent den Musiklabels gehört.

Wenn Prince also weder auf Spotify zu finden ist noch auf Apple Music, sondern nur dem vergleichsweise kleinen Dienst namens Tidal (der Jay-Z gehört), dann lohnt es sich, die Entscheidung von Prince in diesem Kontext wahrzunehmen. Die Entscheidung eines Künstlers, der sich Jahre zuvor wiederholt "Sklave" auf die Wange geschrieben hatte. Ein Musiklabel hielt die Rechte an seinen Songs und Prince rebellierte dagegen.

Kein Label, kein Spotify sollte darüber entscheiden dürfen, unter welchen Bedingungen die Musik von Prince veröffentlicht wird. 2015 sagte Prince im Interview mit dem Guardian: "Nenn' mir einen Musiker, der durch digitale Verkäufe reich geworden ist. Apple hingegen geht es blendend, nicht wahr?" Die Weigerung, die Prince durch eine Zeit trug, in der digitale Vertriebswege noch eine Lösung waren, die von der PR-Industrie erfunden werden musste, begleitete ihn auch durch das Zeitalter der Streaming-Dienste.

Die ewige Rebellion von Prince wird sehr anschaulich erklärt in einem Artikel der Journalistin Kelley Carter, den diese kurz nach dem Tod des Musikers auf Facebook veröffentlichte. Carter ist Mitglied eines Vereins für schwarze Journalisten und schreibt, dass sie im August 2015 Prince traf. Kurz zuvor hatte er einen Protestsong veröffentlicht, der einfach nur "Baltimore" hieß (in Anlehnung an die Ausschreitungen wegen des Todes von Freddie Gray, der nach seiner Festnahme in Polizeigewahrsam starb). "Prince hatte den institutionellen Rassismus satt", schreibt die Journalistin. Sowohl gesellschaftlich, als auch auf musikalischer Ebene.

Seine Reaktion: ein alles erklärender Blick

Die Journalistin führt weiter aus, dass Prince das Gefühl gehabt habe, als Künstler ausgenutzt zu werden. "Er brachte seine Enttäuschung darüber zum Ausdruck, dass Streamingdienste bereit gewesen wären, ihm nur einen Bruchteil dessen zu zahlen, was sie für den Beatles-Katalog hingeblättert hätten." Auf die Nachfrage, ob das seiner Meinung nach mit Rassismus zu tun habe, sei seine Reaktion ein alles erklärender Blick gewesen.

Wenn es also schwer ist, die Musik von Prince online zu finden, dann ist die von Carter beschriebene Reaktion eine Begründung. Es ist die Weigerung von Prince, sich unter Wert zu verkaufen. Wohl wissend, dass sowohl seine Musik als auch seine Identität als Künstler epochal sind und sein werden.

Prince will nicht gefunden werden. Nicht in einem Kontext, den er selbst nicht kontrollieren kann. Keine Verträge, die ihn schlecht dastehen lassen. (Dass Prince sich so vehement gegen vermeintliche Urheberrechtsverletzungen aussprach, brachte ihm heftige Kritik ein.)

Junge Menschen werden, wenn sie lange genug suchen, auch ein paar der Songs und Aufnahmen online finden. Denn natürlich gibt es diese, gerade jetzt, wo der Mensch gestorben ist und seine Botschaft im Mittelpunkt steht. Den gesamten Musik-Katalog aber gibt es eben nur bei Tidal. Für Menschen, die Prince nicht kennen und wissen wollen, wer er ist, ist das die beste Einführung. Der Künstler lebt mit der Musik.

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