"Eine bemerkenswerte Wende für einen Außenseiter": Ben Afflecks Film "Argo" hatte die New York Times offenbar gar nicht auf ihrer Favoritenliste. Doch sei es für die Auszeichnung als bester Film wohl hilfreich gewesen, dass Ben Affleck als bester Regisseur nicht einmal nominiert war - das habe "Unterstützer mobilisiert".
Andreas Borcholte macht bei Spiegel Online eher die sperrige Natur der Mitbewerber für "Argo"s Erfolg verantwortlich. "Lincoln" sei zu "fahnenschwenkend", "Django Unchained" und "Zero Dark Thirty" zu "schmerzhaft kritisch" gewesen. Ben Afflecks Film "war in dieser Gemengelage wohl der willkommene Konsensgewinner für die wichtigste der Auszeichnungen."
Für andere war "Argo" jedoch nicht viel mehr als ein zumindest handwerklich gut gemachter Film. So schreibt Peter Bredshaw, Filmkritiker des Guardian, er hätte den Preis für den "Besten Film" an Quentin Tarantinos "Django Unchained" gegeben - nicht nur, da Christoph Waltz in dem Film eine herausragende Performance abgeliefert habe. Es sei auch einer von Tarantinos größten Verdiensten, den Österreicher entdeckt und ihn mit brillanten Rollen versorgt zu haben.
Auch "Lincoln" hätte nach Ansicht Bredshaws mehr Beachtung der Oscar-Jury bekommen sollen. "Ich habe mich schon ein bisschen gewundert, dass die Jury die Preise für den 'Besten Film' und die 'Beste Regie' an andere Filme vergeben hat." Glenn Whipp von der Los Angeles Times glaubt, den entscheidenden Unterschied zwischen "Argo" und "Lincoln" ausgemacht zu haben: Ben Afflecks Film habe bei den Academy-Mitgliedern ein "gutes Gefühl" hinterlassen, weil er eine Geiselbefreiung zeigt, die sich der Mittel Hollywoods bedient. Steven Spielbergs Film ansehen zu müssen sei vielen Stimmberechtigten dagegen wie eine unliebsame "Hausaufgabe" vorgekommen.
Auch für Uwe Schmitt von Welt Online ist Spielberg einer der "Verlierer des Abends" - "Und das ist gut so." Dafür schwärmt Schmitt von der erst 22-jährigen Jennifer Lawrence: "Seit der jungen Meryl Streep vor einer gefühlten Ewigkeit hat keine amerikanische Filmschauspielerin so umwerfende Präsenz, Temperament, erotischen Appeal und schlicht Talent gezeigt." Guardian-Kritiker Bredshaw hingegen zeigt Unverständnis für Lawrences Auszeichnung. Bis dato habe die ebenfalls nominierte Emmanuelle Riva für ihre Darstellung in "Liebe" so ziemlich alles gewonnen, was es für sie zu gewinnen gab - dass die 86-Jährige nun ausgerechnet den Oscar nicht gewann, sei laut Bredshaw vielleicht ein Zeichen: "bis hierhin und nicht weiter".
Nichtsdestotrotz habe der österreichische "Liebe"-Regisseur Michael Haneke die Academy mit seinem "Wunderfilm" dazu gezwungen, "über die Sprachgrenzen zu blicken", schreibt FAZ.net-Autor Andreas Platthaus. Auch Christoph Waltz habe in seiner Dankesrede seinen österreichischen Akzent als Markenzeichen kultiviert - und nebenbei die preisgekrönte Figur des Doktor King Schulz als Selbstporträt Tarantinos entlarvt.
Monica Hesse von der Washington Post ist zufrieden, dass es dieses Jahr nicht einen großen Abräumer gab. "Sie haben alle gewonnen, ein bisschen." Harte Kritik musste hingegen der diesjährige Gastgeber der Oscar-Verleihung, der Komiker Seth MacFarlane, einstecken. "Einer der schlechtesten Gastgeber in der Oscar-Geschichte" nannte ihn beispielsweise The Daily Beast-Autor Marlow Stern - und spart in seiner Show-Rezension nicht an Häme für das "unlustige und uninspirierte" Debut.
"Schrecklich unlustig"
Der "Family Guy"-Schöpfer habe eine unglaublich seltsame Kombination aus Rat Pack und der US-amerikanischen Comedyshow "Crank Yankers ("Falsch verbunden!") dargeboten, inklusive geschmackloser, sexistischer und rassistischer Witze. Aber: "Wir hätten es alle kommen sehen müssen", schreibt Stern weiter. Schon die Vorab-Shows zur großen Preisverleihung seien "schrecklich unlustig" gewesen. Und falls bei der eigentlichen Show noch Zweifel bestünden hätten, habe MacFarlane diese mit dem Eröffnungssong "We Saw Your Boobs" ("Wir haben Eure Brüste gesehen"), endgültig ausgeräumt.
Auch Hank Stuever von der Washington Post ist von MacFarlane enttäuscht und bemängelte vor allem die fehlende Souveränität im eigentlich vielversprechenden Programm. So aber wirkte MacFarlane wie jemand, "der bis zur Oscarnacht gewartet hat, um herauszufinden, dass er Stand-Up-Comedy nur ganz ok beherrscht." Es gibt aber auch Kritiker, die dem Moderator beispringen. Stattdessen störte sich die New York Times an den zahlreichen Musical-Darbietungen. "MacFarlane hat die Show nicht ruiniert. Aber die Show hat beinahe die Oscars ruiniert."