Preminger-Retrospektive in Locarno:Bei aller Anmut - es hilft nur Gewalt

Gefährliche Frauen - wie die unvergessene Gene Tierney - ließen sich in seinen Filmen für ihre Obsessionen gehen: Otto Preminger galt als teutonischer Querkopf Hollywoods. Dennoch verlor er nie den Sinn für die Realität, wie eine Retrospektive beim Filmfestival in Locarno zeigt.

Fritz Göttler, Locarno

Man verehrt Otto Preminger als einen der Kings of the Noir. Für seine schönen schwarzen Thriller aus den Vierziger Jahren: "Laura" und "Whirlpool", "Fallen Angel" und "Angel Face", in denen Männer sich von ihrer Liebe absorbieren lassen, in denen Frauen - Gene Tierney, Linda Darnell, Jean Simmons - sich für ihre Obsessionen gehen lassen.

Preminger-Retrospektive in Locarno: Famose Rückkehr aus dem Reich der Toten: Gene Tierney in Otto Premingers "Noir"-Klassiker "Laura".

Famose Rückkehr aus dem Reich der Toten: Gene Tierney in Otto Premingers "Noir"-Klassiker "Laura".

(Foto: Festival)

Es ist ein besonders traumhafter Noir, der diese Filme prägt, einer von Wiener Provenienz. Ein Prater-Noir, das heißt mit vielen Gauklereffekten, trickreich ausgedacht und unsentimental durchgezogen. Lauras famose Rückkehr aus dem Reich der Toten zum Beispiel, der Scharlatan John Carradine, der in "Fallen Angel" mit seiner billigen Gedankenlese-Nummer durch die Provinz tingelt, oder die Hypnosekünste des mysteriösen Doktor Korvo in "Whirlpool", der die verunsicherte Gene Tierney zu seiner Komplizin macht und auch vor Selbsthypnose nicht zurückschreckt.

Pures Gaukelspiel dann später auch im Senat-Thriller "Advise and Consent", 1962 - Henry Fonda wird vom Präsidenten als neuer Außenminister vorgeschlagen und muss sich einem Senatsausschuss stellen, in dem alle Politiker ihre intriganten Nummern durchziehen.

In "In Harm's Way", der von der amerikanischen Navy erzählt, wie sie sich wieder aufrappelt in den Wochen nach Pearl Harbor, gibt es einen Admiral, der den größten Teil seiner Energie darin investiert, dass er möglichst effektiv in der Presse wegkommt. Dana Andrews spielt ihn, den Preminger in seinen Filmen der Vierziger gern als melancholischen Helden hatte.

Otto Ludwig Preminger (1905 - 1986) sympathisiert voll mit diesen merkwürdigen Gesellen. Er war Assistent beim Bühnenmagier Max Reinhardt in Wien und dann sein Theaterleiter, wurde dann, nach einem frühen Wiener Film, nach Hollywood und an den Broadway geholt.

Satyrspiel, lang vor dem 11. September

In seinen ersten Filmen herrscht wildes surreales Chaos, das am Ende seiner Karriere dann wieder durchbricht, in den Siebzigern, als das Studiosystem bröckelte und die Erfolgsrezepte versagten. Im verrufenen "Rosebud" vor allem, in dem es von verrückten Terroristen nur so wimmelt, palästinensischen und anderen in den Geheimdiensten, die sie bekämpfen. Ein böses kleines Satyrspiel lang vor der großen Tragödie des 11. September. Robert Mitchum sollte dabei den starken Mann abgeben, aber der zog sich verschreckt zurück.

Zum Preminger der Fünfziger und Sechziger, nach dem Noir, wahren viele Kritiker lieber Distanz - das ist ihnen suspekt, wie er sich da unabhängig macht und in Eigenproduktion einen Erfolgsstoff nach dem anderen auf die Breitleinwand bringt, episch, möglichst auch ein wenig skandalumwittert: den Vatikan in "The Cardinal", die Gründung des Staates Israel in "Exodus".

Als hätte der Produzent Preminger den Regisseur unterdrückt. Die Lauheit der Verehrer steht in scharfem Kontrast zu Premingers Strenge und Sturheit. Er hatte einen monströsen Ruf in Hollywood, teutonisch, diktatorisch, cholerisch - den Ruf teilt er mit seinem Wiener Kollegen Fritz Lang (dem in einigen Wochen die Viennale in Wien ihre Retrospektive widmen wird).

Ideale und ihr praktischer Wert

Nur die Franzosen hielten Preminger die Treue, an der Spitze die Leute der Cahiers du Cinéma - Truffaut, Rivette, Rohmer haben glühende Elogen geschrieben. In seiner Verfilmung des Sagan-Romans "Bonjour Tristesse" sahen sie Mitte der Fünfziger ihre eigene Nouvelle Vague vorweggenommen, und die blutjunge Jean Seberg, die sich im leeren luxuriösen Paradies der Côte d'Azur verlor, hat Godard für seinen "Außer Atem" übernommen.

Preminger-Retrospektive in Locarno: Sein Vater war k. u. k.-Generalstaatsanwalt, er selber hat mal Jura studiert, doch die Wahrheit war für Otto Preminger kein Wert an sich.

Sein Vater war k. u. k.-Generalstaatsanwalt, er selber hat mal Jura studiert, doch die Wahrheit war für Otto Preminger kein Wert an sich.

(Foto: Festival)

In Locarno wurde "Bonjour Tristesse" auf der Piazza Grande gezeigt, ein Kammerspiel auf der Freiluft-Riesenleinwand. Die konventionellen Beziehungen zwischen Form und Inhalt ließ Preminger nicht gelten. Die amerikanischen Ideale, die er in den Fünfzigern verfilmte, werden auf ihre Brauchbarkeit, ihren praktischen Wert getestet. Und die schwere Scope-Kamera wird dafür zum Swingen gebracht. Schon bei "Laura" , seinem Noir-Klassiker, hätte er am liebsten Gershwins "Summertime" als Titelmelodie gehabt, später hat er dann "Porgy and Bess" selbst verfilmt.

In seinen Filmen nehmen Gerichtsverhandlungen breiten Raum ein, nicht als Prozesse der Wahrheitsfindung, sondern als große amerikanische Show. Die Wahrheit ist bei Preminger - sein Vater war k. u. k.-Generalstaatsanwalt, er selber hat mal Jura studiert - kein Wert an sich. In "Anatomy of a Murder" kriegt James Stewart als kleiner Anwalt mit gewieften Auftritten vor Gericht einen Freispruch durch, aber man ist sich auch am Ende nicht sicher, ob der Angeklagte nicht doch den Mord begangen hat.

In "Advise and Consent" wird Henry Fonda vor dem Ausschuss nach frühen kommunistischen Verirrungen gefragt und leugnet solche glattweg. Die klassische "Washington D. C. lie" - jeder weiß, dass da gelogen wurde, aber niemand wird das sagen. Der Präsident braucht den Mann. Die Fonda-Figur war in der Romanvorlage ein windiger Typ, und mit boshaftem Vergnügen erinnert sich der Drehbuchschreiber Wendell Mayes, wie erbost der Autor, der erzkonservative Allen Drury, war, dass er und Preminger, zwei Erzliberale, einen brauchbaren Politiker daraus gemacht hatten.

Preminger legte sich mit allen an in seiner langen Karriere, mit den Studiobossen anfangs, später dann mit den moralischen Instanzen der USA, dem Hays Office, das den Filmen ihre Unbedenklichkeit attestieren musste, und der katholischen Legion of Decency, die seiner romantischen Komödie "The Moon Is Blue" - er drehte auch eine deutsche Fassung, "Die Jungfrau auf dem Dach", mit Hardy Krüger, Johanna Matz, Johannes Heesters - ihre Unterstützung verweigerten, weil im Dialog Wörter wie "Jungfrau" und "schwanger" vorkamen.

Wie ein Rennfahrer

Probleme gab es auch beim "Man with the Golden Arm" - Frank Sinatra als heroinsüchtiger Spieler. Er sei wie die Rennfahrer der "Vierundzwanzig Stunden von Le Mans", schrieb Truffaut über Preminger, "er bietet uns ein Schauspiel, dessen Geheimnis er bewahrt, ein Schauspiel, das nur ihn betrifft." Was das Gegenteil von Exhibitionismus ist, von dem also, was Hitchcock macht. Wie Hitchcock ist auch Preminger ein Kontrollfreak, aber einer, der seine Mechanismen selbst sabotiert. Widersprüche, Löcher, Kollisionen durchsetzen seine Filme, ihre langsamen, schweifenden Sequenzen.

Sein "Exodus" hat das Paar Paul Newman und Eva Marie Saint im Zentrum, aber er zeigt auch Aktionen des Irgun im Kampf gegen das britische Mandat in Palästina. Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht. Früh zeigte Preminger Verständnis für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung. Ein großes Projekt, das er gern realisiert hätte, war der Fall der Spione Rosenberg, Titel: "Open Question".

Sie lassen oft den Gegenschuss weg, hat Peter Bogdanovich in seinem großen Gespräch mit Preminger festgestellt. Andernfalls, hat der ihm erklärt, könnte das bedeuten, dass man die Zuschauer unterschätzt. Es genügt die eine Seite zu zeigen, die andere ist bei ihm immer mitreflektiert.

Was für einen genauen, schwindelerregenden Film hätte er machen können über die Banken- und Finanzkrisen heute . . . Anfang der Siebziger bekam er von der Paramount den "Paten" vorgeschlagen. Als Sinatra als Corleone - ein kühner Besetzungs- Coup - nicht wollte, verzichtete auch Preminger. Francis Coppola drehte den Film. Die nächste Generation war inthronisiert.

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