Premierenparty:Sexuelle Depressionen und prüde Ökos

Vom Swinger- in den China-Club: Die A-Riege des deutschen Films feiert die Welturaufführung von "Elementarteilchen" in Berlin.

Christian Mayer

Irgendwann gegen ein Uhr nachts hat Oskar Roehler allen Gästen der Premierenfeier im China-Club die Hand gereicht, er hat sich von vielen Frauen und Freunden umarmen lassen.

Gerade hat sich Katja Riemann schützend an seine Seite gedrängt ("Du bist so toll, mein Schatz"). Nun macht der schmächtige Roehler einen glücklichen Eindruck. Die Medienschlacht um "Elementarteilchen" ist geschlagen. "Ich finde es befreiend, diesen Film abzuschließen", sagt er leise. Und fügt einen Satz hinzu, den man von ihm nie erwartet hätte: "Ich gehe jetzt in Richtung Unterhaltung und denke an die Zuschauer."

Bleibtreu onaniert herzergreifend

Ein paar Stunden vorher haben die Zuschauer im Berlinale-Palast den ersten deutschen Wettbewerbsbeitrag, "Elementarteilchen", der mit gewaltigen Erwartungen belastet ist, leicht benommen aufgenommen. Der Beifall bleibt erst zurückhaltend.

Regisseur Oskar Roehler, ganz in Schwarz gehüllt, wird von den Produzenten Bernd Eichinger und Oliver Berben auf die Bühne geholt. Er hat inzwischen so viele Erklärungen abgeben müssen, dass er lieber gleich die Schauspieler ankündigt.

Das Publikum beklatscht Uwe Ochsenknecht, Franka Potente, Nina Hoss, Christian Ulmen und besonders Moritz Bleibtreu, der nun schon zum zweiten Mal in einem Roehler-Film auf herzergreifende Weise onanieren muss. Am heftigsten regieren die Zuschauer auf Martina Gedeck, sie wird für ihre wunderbare Darstellung der liebesuchenden Christine angemessen gefeiert.

Die Premierenparty ist das passende Nachspiel zum Rummel am roten Teppich. Nach drei Gläsern Champagner sind die Bilder der sexuellen Dauerdepression verdrängt. Die Berlinale-Gesellschaft ist wieder auf ihrem gewohnten Level.

Claudia Roth ist aufgewühlt

Nur die Regisseure Christoph Schlingensief und Fatih Akin wirken etwas deplatziert im angeblich so exklusiven China-Club. Das Privatlokal im Hotel Adlon hat mit seinem rustikalen Bistro-Schick, dem elitären Getue und den postsozialistischen Asien-Kitschbildern durchaus etwas Absurdes.

Fast die gesamte A-Riege der deutschen Schauspieler ist zum Empfang mit Verlagschefs, Medienmächtigen und dem Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit angetreten, der in diesen Kreisen ausgiebig geduzt wird. Das beliebteste Fotomotiv besteht aus Jasmin Tabatabai, Katja Riemann, Hannelore Elsner und Iris Berben, die als nationales Glamour-Quartett posieren und herumalbern.

Sexuelle Depressionen und prüde Ökos

Nina Hoss erzählt strahlend, dass sie täglich vier Stunden in der Maske saß, um als Hippie-Mutter auf dem Sterbebett so grotesk alt auszusehen.

Grünen-Chefin Claudia Roth ist komplett aufgewühlt. Der Film sei merkwürdig unentschieden, kritisiert sie. Aber einmal habe sie im Kino laut gelacht, als der sexhungrige Bruno in ein alternatives Selbsterfahrungscamp fährt mit der Begründung, dass die Ökos ja nicht prüde sind. "Wenn der wüsste!"

Moritz Bleibtreu holt gerade an der Bar noch fünf Wodka Red Bull für seine alten Kumpels ab. Martina Gedeck versteckt sich hinten an der Bar. Sie mag nichts mehr erklären, auch nicht ihren Auftritt im Swingerclub. Franka Potente sitzt mit ihrem Freund erschöpft auf dem Sofa, der Druck ist weg, und dann steigt Herbert Grönemeyer aus dem Aufzug, der hat noch gefehlt.

Michel Houellebecq, der sich nicht im Geringsten für den Film interessieren soll, ist irgendwo in Frankreich. Verschollen. Vielleicht hätte er die ganze Aufregung um die Verfilmung seines Romans belustigt zur Kenntnis genommen. Oder reagiert wie die Mutter von Produzent Bernd Eichinger nach der Vorführung. "Ich hab' mir einige Szenen viel schlimmer vorgestellt - das ist doch alles sehr dezent."

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