Süddeutsche Zeitung

Premiere in Cannes:Das absolute Geröhr

George Millers "Mad Max: Fury Road" ist eine hemmungslose Materialschlacht, der Monstertruck unter den Blockbustern - mit einem lausbübischen Überschuss sinnfreier Verrücktheit.

Von Tobias Kniebe

Alle Roadmovies müssen motorisiert sein. Schließlich wollen sie dem Zuschauer eine Mitfahrgelegenheit bieten, Landschaften durchqueren, interessante Reisegenossen am Wegesrand auflesen und am Ende irgendwo ankommen. Es gibt sie in verschiedensten PS-Klassen und Hubraumgrößen, aber "Mad Max: Fury Road", der am Donnerstag seine Weltpremiere in Cannes feiert und zugleich überall in die Kinos kommt, ist in diesem Sinn ein Monstertruck, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat.

Nicht neu, schon etwas rostig, aber aufgerüstet und hochfrisiert und umgeschmiedet, als ob es kein Morgen gäbe. Auf jeden Riesensattelzug ist da noch mal eine Mercedes- oder VW-Karosserie draufgeschweißt, dazu Schießstände und Flammenwerfer und Abwehrstacheln, Panzerschilde und Räumschaufeln und Ketten mit Enterhaken, tonnenschwere Extratanks und Nitrobeschleuniger - und, weil der Spaß nicht zu kurz kommen darf, auch noch Lautsprechertürme, die sämtliche Eingeweide in einem Open-Air-Stadion neu arrangieren könnten.

Dieser Höllenkonvoi, einmal in Bewegung gesetzt, würde auch die alten "Mad Max"-Filme, einst das Maximum an filmischer Motorleistung, einfach unter den Rädern zermalmen. Als staunender Beifahrer wird man mit Motorengebrüll in den Kinosessel gedrückt, während die Bilder unaufhörlich aufs Gas gehen.

Nun muss man sagen, dass "Mad Max" schon seit jeher ein rechter Trash-Mythos ist. Im ersten Teil Ende der Siebzigerjahre ging es noch ganz bescheiden los. Der junge Mel Gibson hatte Babyspeck im Gesicht, und als Mad Max war er gar nicht wirklich mad, er arbeitete als relativ zurechnungsfähiger Straßenpolizist und liebte Frau und Kind - bis sein bester Kumpel einer Motorradgang zum Opfer fiel. Danach quittierte er den Dienst. Erst als auch seine Liebsten von den Rockern überfahren wurden, mutierte er zum gesetzlosen Rächer, und ein aufgemotzter V8 Ford Falcon wurde das Geschoss seiner Wahl.

Das eigentliche "Mad-Max"-Gefühl stammt erst aus dem zweiten Teil: Die Erde ist wüst und leer, die technische Zivilisation liegt in Ruinen, die Überlebenden haben sich in Gangs organisiert und kämpfen mit Messern, Killer-Bumerangs, Armbrüsten und ihren wenigen verbleibenden Kugeln um das wenige verbleibende Benzin. Mad Max ist nun der ewig haltlose Einzelgänger, der sich selbst mit den rechtschaffenen Betreibern einer Do-it-yourself-Ölraffinerie nur kurz verbünden kann - er muss weiter, getrieben von den Dämonen der Vergangenheit, Gott weiß wohin.

Das Finale dieses zweiten Teils aber etablierte den Thrill-Ride, der Hollywood nun all die Jahre keine Ruhe mehr gelassen hat. Da fährt Mad Max einen schwer bewaffneten Tanklastzug durch die Wüste, um einen Belagerungsring zu durchbrechen und das wertvolle Benzin an einen fernen Ort zu bringen, wo endlich Frieden warten soll - während ganze Horden von Banditen ihn in offenen Jagd-Vehikeln verfolgen und malerische Staubfahnen in die Wüste zeichnen. Es entspinnt sich ein Kampf in voller Fahrt, bei dem ein Gefährt nach dem anderen explodiert oder unter die Räder kommt, während die Menschen von Wagen zu Wagen springen und auf Motorhauben und Zugmaschinendächern in den Nahkampf gehen. Das war noch nie zu sehen gewesen, damals im Jahr 1981, und es setzte neue Maßstäbe des motorisierten Adrenalinrauschs im Kino.

Der dritte Teil fiel dann vor allem durch die Frisur von Tina Turner auf, die jeden Mähnenpavian vor Neid erblassen ließ, und den Song "We Don't Need Another Hero", den sie zugleich der Welt schenkte. Danach war es vorbei mit "Mad Max", während andere das Gaspedal übernahmen und weiter durchtraten - zuletzt die Mädels und Jungs der "Fast&Furious"-Clique, die gerade alle Rekorde brechen mit ihrem siebten Teil und in der ewigen Liste der Kassenrekordhalter weltweit bereits auf Platz vier stehen.

George Miller aber, jenem australischen Arzt, der dann Filmemacher und Schöpfer des "Mad-Max"-Universums wurde, ließ all die Jahre ein bestimmtes Gefühl keine Ruhe - dass diese finale Tanklasterfahrt, die er da in die Welt gesetzt hatte, doch irgendwie noch nicht das letzte Wort in Sachen kinematografischer Oktanzahl war. Er versuchte sich abzulenken, indem er Filme mit sprechenden Tieren ("Schweinchen Babe") und steptanzenden Pinguinen ("Happy Feet") drehte, die dann auch sehr schön wurden. Immer aber versuchte er, doch noch den finalen Monstertruck des Kinos zu bauen - und kurz vor seinem siebzigsten Geburtstag waren die nötigen Mittel und Millionen dann auch endlich zusammen.

Und so kann man jetzt staunend zusehen, wie die finale Tanklasterfahrt zu einem besseren Ort, wo endlich Frieden warten soll, wirklich schon nach fünfzehn Minuten losgeht und dann - mit kurzen Unterbrechungen zum Luftholen - einfach eisenhart bis zum Ende durchgezogen wird. Es lauern nun ganze Banditen-Stämme in der wilden Wüstenlandschaft, die in Namibia gefilmt wurde; es werden nun ganze Fuhrparks von offenen und geschlossenen Jagd-Vehikeln zerbröselt, und ganze Turniere von Nahkämpfen auf Motorhauben und Zugmaschinendächern ausgetragen.

Und Mad Max, der ewige Einzelgänger, durchaus nicht unwürdig vom englischen Shootingstar Tom Hardy gespielt, verbündet sich nun mit einer Gruppe sehr schöner, in durchsichtige Lumpen gekleideter Frauen. Die fliehen vor einem bösen, körperlich schon halbverfaulten, am Steuer aber immer noch hochkonzentrierten Warlord, der sie entweder schon geschwängert hat oder noch schwängern will. Geführt und beschützt werden sie von einer einarmigen Kriegerin, die Gas gibt wie kein Mann und sich mit Wagenschmiere schminkt (Charlize Theron).

Zugegeben, das klingt verrückt. Aber gerade in dieser überbordenden Verrücktheit steckt auch ein herrlicher, sinnfreier Überschuss - etwa in dem Einfall, dass im Konvoi der Bösen immer vier Trommler und ein E-Gitarrist mitrasen, die an den rollenden Boxenturm angeschlossen sind und die wilde Jagd mit live gespieltem Schweinerock begleiten. Darin liegt am Ende eine Art Rettung. "Mad Max: Fury Road" ist hemmungslose Materialschlacht, gnadenloses Überbietungs- und Überwältigungskino - aber doch nicht so kühl, nicht so lustlos durchkalkuliert wie seine aktuellen Konkurrenten. Im Gedröhn seiner Motoren erklingt auch das Lachen eines siebzigjährigen Lausbuben, der zum Ende seiner Karriere noch mal ein Auto geklaut hat. Es war nur einfach der größte Truck der Welt.

Mad Max: Fury Road, AUS/US 2015 -Regie: George Miller. Buch: Miller, Brendan McCarthy, Nick Lathouris. Kamera: John Seale. Mit Tom Hardy, Charlize Theron, Nicholas Hoult. Warner, 121 Minuten.

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SZ vom 13.05.2015
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