Premiere:Ein Stuhl blieb frei

Ein Abschied in Abwesenheit: Claus Peymann führte zum letzten Mal Regie am Wiener Burgtheater. Seine Inszenierung von Ionescus "Die Stühle" wurde bejubelt.

Von Wolfgang Kralicek

Die Stühle | Eugène Ionesco | Akademietheater

Eugène Ionescos „Die Stühle“ – eine tragische Farce für Erzkomödianten wie Maria Happel und Michael Maertens.

(Foto: Georg Soulek)

Je länger Claus Peymann aus Wien weg ist, desto beliebter ist er hier. Dreizehn Jahre lang, von 1986 bis 1999, war er Direktor des Burgtheaters, und er war wahrscheinlich der lauteste Intendant in der langen Geschichte dieser Institution. Damals ging der angriffslustige "Piefke" vielen auf die Nerven. Heute wird seine Ära als eine Zeit verklärt, in der das Theater noch ein politischer Ort war. Wahr ist jedenfalls, dass sich damals nicht nur Fans der Bühnenkunst damit auseinandersetzen mussten, das Burgtheater war ein Politikum. Umgekehrt stellte es aber auch für Peymann die ideale Bühne dar. Weder davor, in Stuttgart und Bochum, noch danach in Berlin - dort schon gar nicht - fielen seine Bonmots und Polemiken auf so fruchtbaren Boden wie in Wien.

Wenn Peymann in den vergangenen Jahren in Wien gastierte, meist mit Thomas-Bernhard-Lesungen, waren das umjubelte Heimspiele. Auch inszeniert hat er ab und zu wieder an seiner alten Wirkungsstätte. Damit aber ist jetzt Schluss: Martin Kušej, der in der nächsten Spielzeit die Leitung des Burgtheaters übernimmt, hat wissen lassen, dass er am Regisseur Peymann nicht interessiert ist - so wie übrigens an fast allen Regisseurinnen und Regisseuren, die hier in den letzten Jahren gearbeitet haben. Die noch amtierende Direktorin Karin Bergmann, die einst als Peymanns Pressesprecherin an die Burg gekommen war, hat ihren alten Chef deshalb jetzt noch ein letztes Mal engagiert. Im Akademietheater sollte der 81-jährige Regisseur einen Klassiker des Absurden Theaters inszenieren, Eugène Ionescos "Die Stühle" aus dem Jahr 1952.

In der "tragischen Farce" empfängt ein steinaltes Ehepaar am Ende aller Zeiten imaginäre Gäste, für die Dutzende Stühle auf die Bühne getragen werden, und wartet auf die Ankunft eines Redners. Dieser soll einen epochalen Text vortragen, an dem der Mann offenbar sein ganzes Leben lang geschrieben hat. Die Figur erinnert an die kauzigen Privatgelehrten von Peymanns Lieblingsautor Thomas Bernhard (etwa den "Weltverbesserer"), vor allem aber sind die abgründig schrulligen Szenen einer Ehe eng mit Becketts "Endspiel" verwandt. Für Peymanns Abschiedsinszenierung waren "Die Stühle" also eine aparte Stückwahl.

Seit vor zwei Jahren seine Langzeitregentschaft am Berliner Ensemble endete, ist der letzte deutsche Großintendant heimatlos. "Ich habe mein Königreich verloren", klagte er vor ein paar Wochen in einem Interview mit der Wiener Presse. Nur in Wien kann Peymann sich noch hofieren lassen, hier gieren die Journalisten noch nach Wortspenden. Seine letzte Arbeit für das Burgtheater stand jedoch unter einem schlechten Stern. Erst brach sich die Schauspielerin Maria Happel den Fuß und die Premiere musste verschoben werden. Und vor drei Wochen erkrankte dann Peymann so schwer ("verschleppte Virusinfektion", teilte das Theater mit), dass Leander Haußmann die Regie übernehmen musste.

Als der König der Burg ausfiel, vollendete Leander Haußmann die Regie - mischte sich aber nicht ein

Wie viel Peymann nun tatsächlich in diesen "Stühlen" steckt, lässt sich also kaum beurteilen. Die Bühne von Gilles Taschet jedenfalls erinnert stark an die poetisch-realistischen Räume, die der im Vorjahr gestorbene Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann für viele Peymann-Inszenierungen gestaltet hat: schwarze Wände, die sich perspektivisch nach hinten verjüngen, darüber mittig ein mickriger Lüster, von dem trostlos zwei einsame Faschingsgirlanden baumeln. Die Party ist vorbei, soll das wohl heißen, und zwar schon seit langer, langer Zeit. Maria Happel und Michael Maertens lassen sich davon allerdings nichts anmerken. Die beiden Erzkomödianten geben von Anfang an Vollgas, ohne Rücksicht auf Verluste.

Wieder einmal spielt Maertens den Mann am Rande des Nervenzusammenbruchs, Happel die ständig von dröhnenden Lachanfällen geschüttelte Ulknudel. Eine Zeitlang ist es ganz lustig, den beiden zuzusehen. Man darf aber nicht den Fehler machen, sich zu fragen, was sie eigentlich erzählen wollen über dieses entzückende, monströse Paar. Die schwierige Entstehungsgeschichte der Inszenierung zeigt sich vor allem daran, dass die beiden Stars einfach das machen, was sie am besten zu können glauben. Anscheinend hat ihnen keiner dabei geholfen, sich etwas Interessanteres einfallen zu lassen. Peymann konnte ja nicht, und Haußmann wollte sich offenbar nicht allzu sehr einmischen. Am Ende - nach einem merkwürdig verpeilten Auftritt von Mavie Hörbiger in der Rolle des gehörlosen Redners - begehen die Eheleute gemeinsam Selbstmord. Von wem die kitschige Idee war, nach dem Abgang der Protagonisten einen roten Luftballon durch wabernden Bühnennebel steigen zu lassen, ist nicht bekannt.

Als Leander Haußmann zum Schlussapplaus auf die Bühne kam, trug er unterm Sakko ein T-Shirt, auf dem "Peymann" stand. Die bange Frage, wie schlecht es dem alten König des Burgtheaters gehen muss, wenn er auf seiner eigenen Abschiedsparty fehlt, warf einen Schatten auf diesen Theaterabend. Vielleicht wirkte die ganze Heiterkeit auch deshalb so aufgesetzt.

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