Preisgekrönter Film beim DOK.fest:Trotzige Grenzgänger

Sur le rivage du monde

César und Félou in "Sur le rivage du monde" von Sylvain L'Espérance.

(Foto: Les Films du Tricycle)

Wie lebt es sich in der Ungewissheit? Im Film "Standing on the Edge of the World", der nun den Hauptpreis beim Münchner Dokumentarfilmfestival gewonnen hat, gibt der Kanadier Sylvain L'Espérance afrikanischen Migranten eine Stimme. Er zeigt, was sie antreibt, wie sie scheitern und dennoch nicht aufgeben.

Von Irene Helmes

Niemand wird sagen können, sie hätten es nicht versucht. Sie haben alle möglichen Wege eingeschlagen, von Kamerun und der Elfenbeinküste aus, immer nach Norden, durch die Sahara, über scharf bewachte Grenzen. Nur am Ziel angekommen sind sie nicht. Statt längst in Europa oder zumindest im Maghreb zu arbeiten, sind Érik, Félou, César und die junge Mutter Amih am Rand der Welt gestrandet. So heißt jedenfalls ihre Geschichte: "Sur le rivage du monde - Standing at the Edge of the World", die nun beim DOK.fest München als beste Dokumentation im internationalen Wettbewerb mit einem "Viktor" geehrt wurde.

Anstatt die Familie aus der Ferne unterstützen zu können, anstatt etwa für gutes Geld in einem Profi-Klub zu boxen, geht es für die vier in Bamako in Mali ums Überleben. Denn auch hier sind sie Fremde mit ungewissen Rechten. Untergekommen in einem verfallenen Haus, schlagen sie sich mit kleinen Jobs durch, sind Freunde geworden. Gedreht wurde 2011 vor Beginn des bewaffneten Konflikts in Mali, doch auch so ist die Lage schwierig. Der nächste Aufbruchsversuch scheint immer nur eine Frage der Zeit. Heimkehr ist ein wunder Punkt. Zu hoch sind die Erwartungen der Familien, die meist viel in die Abreise investiert haben. Eigentlich sei nur der willkommen, der das ersehnte Geld aus Europa mitbringt oder aber schwer krank ist, wird in einer Szene erzählt.

Rap-Songs, Gedichte und Theaterstücke

Die Protagonisten hadern, sie diskutieren, sie lachen, sie schimpfen - fertig mit der Welt sind sie längst nicht. Die entscheidende Frage für den Film sei gewesen, wie die Migranten selbst ihre Geschichte erzählen, ihre Erfahrungen ausdrücken können, so der kanadische Regisseur Sylvain L'Espérance. Er hatte bereits zuvor mehrere Filme in Mali gedreht. Während der Recherche zur Situation der Migranten dort habe ihn dann immer wieder das klare Bewusstsein der Gesprächspartner der eigenen Lage beeindruckt und "dieser Wunsch, den eigenen Weg zu machen und Grenzen zu überschreiten".

Érik, Félou, César und Amih, die er in den Mittelpunkt seines Films gestellt hat, verwandeln ihre Erfahrungen mit Abschiebungen, Polizei, Irrfahrten und Chaos seit längerem in Rap-Songs, Gedichte und Theaterstücke. Ihre Proben und Aufführungen wirken wie ein Mix aus Trotz und Therapie. In den Texten rechnen sie mit den Regimes ihrer Heimatländer ab, pochen auf ein Anrecht zu reisen und anderswo zu leben. Einiges davon bringt L'Espérance auf die Leinwand. Er hat dafür die Rechte an einem der Theaterstücke gekauft und sieht den Film als eine kollektive Anstrengung.

"Die Würde eines jeden"

Der Regisseur habe "eine sehr respektvolle, intime und aufrichtige Beziehung zu seinen Protagonisten" aufgebaut, lobt nun die DOK.fest-Jury. Dies habe ihm ermöglicht, "einfühlsam die Würde eines jeden" zum Vorschein zu bringen, entstanden sei "ein kraftvoller Film über eines der wichtigsten Probleme unserer Zeit". Der Regisseur macht sich keine Illusionen darüber, mit seinem Plädoyer für eine Öffnung gegenüber Migration aus Afrika ein großes Publikum erreichen zu können. Trotzdem bleibt für ihn der Umgang mit den Grenzen der Wohlstandsländer ein Anliegen: "Wie wir mit dieser Frage umgehen, wird auch zeigen, wie wir als Gesellschaft überhaupt mit 'dem Anderen' umgehen".

Die Themen Migration und Flucht waren insgesamt stark auf dem DOK.fest München vertreten und prägen auch mehrere der Gewinnerfilme. Der Preis in der Reihe "DOK.horizonte" geht an den 33-jährigen Mahdi Fleifel, der für "A World Not Ours" über Jahre hinweg Freunde und Verwandte im palästinensischen Flüchtlingscamp Ain el-Helweh im Libanon besucht und gefilmt hat. Der "Viktor" in der Sparte "DOK.deutsch" geht an "Der Imker" von Mano Khalil. Im Mittelpunkt dieses Films steht der Kurde Ibrahim, der nach Folter und Verfolgung sein Glück in der Schweiz - und bei den Bienen - sucht.

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