Preisgekrönter Essay:Eigentum verpflichtet. Aber wozu verpflichtet es?

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Erstmalig ist im Münchner Literaturhaus der Herbert Riehl-Heyse-Preis der "Süddeutschen Zeitung" vergeben worden. Er soll das Andenken an den SZ-Reporter Herbert Riehl-Heyse hochhalten, der am 23. April 2003 gestorben ist.

Ausgeschrieben war der mit 10 000 Euro dotierte Preis für einen herausragenden politischen Essay, erschienen 2004 in einer Zeitung oder Zeitschrift im deutschsprachigen Raum. Erster Preisträger ist Stefan Geiger, politischer Korrespondent der Stuttgarter Zeitung. Er erhielt die Auszeichnung für einen Beitrag über die Vorgänge bei der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone, den wir nachfolgend abdrucken.

Es kommt vor, dass ein Lehrling glaubt, sich eine Prämie verdient zu haben, weil er den Hof seines Arbeitgebers besonders gründlich gekehrt hat. Vielleicht hat er ja tatsächlich überdurchschnittlich gearbeitet. Wenn dieser Lehrling sich deshalb aus der Ladenkasse mit einem Zwanzig-Euro-Schein selbst bedienen würde, käme dennoch niemand auf die Idee, ihm zu bescheinigen, dass er "keine gravierende Pflichtverletzung" begangen habe.

Und niemand könnte nachvollziehen, dass der junge Mann sich nur deshalb in einem "unvermeidlichen Verbotsirrtum" befunden habe, weil die anderen Lehrbuben feixend drumherum gestanden und gerufen hatten: ¸¸Tu"s doch, das ist dein gutes Recht".

Telefonkonferenz

Professor Joachim Funk, der damalige Aufsichtsratschef des Mannesmann-Konzerns, hat sich selbst am 4. Februar 2000 auf einer Präsidiumssitzung eine Prämie von etwa viereinhalb Millionen Euro zugebilligt. Mit im Raum war der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Josef Ackermann, in seiner Eigenschaft als Mannesmann-Aufsichtsrat. Der stimmte zu. Am Telefon zugeschaltet war Gewerkschaftsboss und Aufsichtsratsmitglied Klaus Zwickel, der sich der Stimme zu enthalten versuchte.

Der vierte im Bunde, Aufsichtsratsmitglied und Betriebsratschef Jürgen Ladberg, hatte sich krankgemeldet. Die Millionen billigte Funk sich zu, obwohl es schon eine Weile her war, dass er den Hof gekehrt hatte. Er sollte die Prämie für seine Tätigkeit als Mannesmann-Vorstandschef bekommen; das war er schon acht Monate lang nicht mehr.

Beim Treffen von Ackermann und Funk, das formal eine Präsidiumssitzung war, ging es drunter und drüber. In 30 Minuten wurden Prämien in der Größenordnung von 32 Millionen Euro verteilt, davon 15,9 Millionen an den damaligen Mannesmann-Chef Klaus Esser. "Wir haben schnell und sicher entschieden", sagte Ackermann als Angeklagter dem Düsseldorfer Landgericht.

Leistungsgerecht entlohnt

Außer den Gebern und den Beschenkten freilich erkannten alle auf den ersten Blick: "So geht das nun gar nicht." So formulierte es ein im Hause Mannesmann tätiger Wirtschaftsprüfer, als er von dem Vorgang zufällig Kenntnis erhielt. So sah es die normalerweise zuständige Sachbearbeiterin, die sofort erkannte, dass das Protokoll über den Millionen-Deal auf Briefpapier geschrieben war, das normalerweise für Kondolenzbriefe verwendet wird.

So sahen es die Arbeiter von Mannesmann, die während der Vodafone-Übernahmeschlacht um ihre Arbeitsplätze bangten. So sah es eine staunende Öffentlichkeit, als sie von den Zuständen bei Mannesmann erfuhr. Nur Josef Ackermann sagte vor Gericht: "Wir haben leistungsgerecht entlohnt", als ein "guter Arbeitgeber".

Insgesamt 30 Millionen Euro hat Klaus Esser damals nach nur acht Monaten Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender zusätzlich zum regulären Gehalt bekommen: neben der nirgends vereinbarten 15,9-Millionen-Prämie noch eine annähernd gleich hohe Abfindung für sein Ausscheiden.

Symbol der Maßlosigkeit

Diese 30 Millionen Euro sind zu einem Symbol geworden, zu einem Symbol der Maßlosigkeit und der Selbstüberschätzung. Weil sie in keinem Verhältnis stehen zu dem, was in Deutschland sonst für reelle Arbeit gezahlt wird. Weil man angesichts der Größenordnung nicht mehr darüber streiten muss, welche Entlohnung für einen Spitzenmanager noch angemessen sein kann. Weil jeder weiß, dass kein Manager eine Leistung vollbringen kann, die eine solche Zahlung rechtfertigen würde.

Man muss schon ein Klaus Esser sein, um danach noch formulieren zu können: "Wer eine funktionierende Marktwirtschaft will, muss den Handelnden in der Marktwirtschaft eine Entlohnung ihrer Arbeit entsprechend Leistung, Erfolg und Markt gestatten."

Deshalb lag es ja auch so nahe, zunächst den Skandal hinter dem Skandal zu vermuten. Der Verdacht, die Millionen seien gezahlt worden, um Esser zu bestechen, um seine Zustimmung zur Übernahme von Mannesmann durch Vodafone zu erkaufen, hätte wenigstens noch eine nachvollziehbare Erklärung für eine ansonsten nicht mehr zu begreifende Maßlosigkeit geliefert. Ein Fall der ganz gewöhnlichen Kriminalität hätte der Allgemeinheit die Diskussion über eine angemessene Entlohnung ihrer Manager erspart.

Kein Skandal hinter dem Skandal

Im Düsseldorfer Strafprozess ist dieser Verdacht nicht erhärtet worden. Die Unschuldsvermutung, die auch hier zu gelten hat, zwingt zu der Erkenntnis: Es gibt keinen Skandal hinter dem Skandal. Und das staunende Publikum begreift plötzlich: Das macht die Sache nur noch schlimmer.

Alle reden von Klaus Esser. Keiner redet von Hutchinson Whampoa. Klaus Esser hat an der Übernahme 30 Millionen Euro zusätzlich verdient. Der Mannesmann-Großaktionär Hutchinson Whampoa, ein Hongkonger Mischkonzern, hat an der Übernahme acht Milliarden Euro verdient. Das war der Kursgewinn, den der Zehn-Prozent-Anteilseigner dank der Spekulationsblase mit dem Verkauf seiner Mannesmann-Aktien nach nur drei Monaten realisieren konnte.

Man kann diesen Gewinn vergleichsweise einfach mit dem Verhalten von Aktionären erklären, die von ihrer Gier getrieben werden. Kritische Fragen werfen die acht Milliarden aber ebenso auf wie Essers Millionen. Denn hier wurden nicht etwa der Mut und die Risikobereitschaft von Aktionären belohnt, die als Erste eine wirtschaftliche Entwicklungschance erkannt haben.

Casino-Mentalität

Es ging nicht um die Hoffnung auf eine nachhaltige Kurssteigerung. Die ebenso kurzfristige wie extreme Steigerung des Mannesmann-Kurses gründete nicht auf einer realen Wertsteigerung des Unternehmens. Mannesmann hat in diesen drei Monaten keine neue Fabrik gebaut, konnte keine neue Technologie und keine Innovation vorweisen, es gab keinen Durchbruch auf neuen Märkten.

Im Gegenteil. In dieser Zeit wurde Krieg geführt, wie es die Mannesmann-Verantwortlichen später vor Gericht beschreiben, eine Übernahmeschlacht geliefert, die alle Energien band: "Es war wie der Zweite Weltkrieg, als die britische Armee Deutschland eroberte", erklärt mit asiatischer Unbefangenheit der Hutchinson-Geschäftsführer Canning Fok den Richtern. "Die Situation gleicht einem Schlachtfeld", formuliert der frühere Mannesmann-Aufsichtsratschef Joachim Funk.

Spekulanten wagen eine Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung eines Unternehmens. Sie riskieren etwas. Die acht Milliarden Euro waren nur noch das Ergebnis einer Casino-Mentalität. Sonst nichts. Insoweit kann man Foks Argumente nachvollziehen, er sei Esser "sehr dankbar"; deshalb sei ihm "spontan der Gedanke an eine Anerkennungsprämie gekommen". Beim großen Spiel waren Essers Millionen nicht mehr als das Trinkgeld für den Croupier.

Nach Essers Berechnungen machten sie 0,2 Promille des Gewinns aus, den die Aktionäre gemacht haben. Alles ist eine Frage des Blickwinkels. Die so große Empörung über Essers Millionen verengt den Blickwinkel und lenkt von einem anderen, wichtigeren Aspekt des Mannesmann-Skandals ab.

Die Angeklagten von Düsseldorf versuchen, die Aktienkurse von Mannesmann als eine unglaubliche Erfolgsgeschichte zu verkaufen, bei der es nur Gewinner gegeben habe. Diese Darstellung würde noch nicht einmal stimmen, wenn ein Unternehmen allein aus seinen Aktionären und einer Hand voll Topmanager bestehen würde. Von denen gingen tatsächlich die meisten als finanzielle Gewinner aus der Übernahmeschlacht hervor.

Mit Millionen überschüttet

Und wie! Aber nicht alle Aktionäre gehörten zu den Gewinnern. Die großen und die gewieften schon. Jene, die damals nicht verkauft, sondern die eingetauschten Vodafone-Aktien behalten haben, nicht. Die Vodafone-Aktie ist wieder um 70 Prozent gefallen.

Das ist aber gar nicht der Kern der Lebenslüge von Ackermann, Esser und den anderen: In Wahrheit wurde damals ein Traditionsunternehmen gegen die Wand gefahren und zerschlagen. In Wahrheit hat Klaus Esser eine von ihm mutwillig provozierte Übernahmeschlacht verloren, im Abwehrkampf Millionensummen verschleudert und am Ende eine vernichtende Niederlage erlitten. Gemessen an seinen eigenen Maßstäben ist er ein Verlierer - ein Verlierer, der dafür mit Millionen überschüttet wird.

Ein anderer Verlierer der Übernahmeschlacht ist der so oft zitierte Standort Deutschland. Mit der Fusion wurde von Vodafone ein Käufermarkt erobert. Die zentralen Entscheidungen aber fallen heute nicht mehr in Deutschland: "Sie haben ein großes deutsches Unternehmen ruiniert", schleuderte Mannesmann-Aufsichtsratschef Funk dem Vodafone-Chef Chris Gent beim ersten Treffen entgegen.

Der große Zampano

Kurz danach sorgte Gent dafür, dass Funk statt der viereinhalb Millionen Euro, die er sich selbst zugebilligt hatte, bei der überfälligen Wiederholung der Abstimmung nur noch drei Millionen zugesprochen bekam.

Dem großen Zampano sagt selbst der alte Aufsichtsratschef nicht ungestraft die Wahrheit. Drei Millionen? Viereinhalb Millionen? Das macht einen Unterschied von anderthalb Millionen Euro. Anderthalb Millionen verdienen viele in einem ganzen Berufsleben nicht. Was ist bei einem "guten Arbeitgeber" schon angemessen? Nachgefragt hat von den anderen Aufsichtsräten keiner. Auch Ackermann nicht, der doch zuvor noch die viereinhalb Millionen für gut befunden hatte. Der Herr gibt's, der Herr nimmt's.

Als Verlierer sahen sich auch viele Mannesmann-Arbeitnehmer, die um ihre Arbeitsplätze fürchteten, einerseits die in der Düsseldorfer Zentrale, andererseits jene, die in den traditionellen Teilen des einstigen Stahlkonzerns beschäftigt waren. Um die Rettung dieser Arbeitsplätze ging es den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat, auch jenen beiden, die zähneknirschend die Millionenprämien erst ermöglicht haben.

Die draußen markige Reden schwangen und drinnen die Selbstbedienung reichlich naiv hinnahmen; manchmal wutentbrannt hinnahmen, so wie der Betriebsratschef Ladberg. Manches spricht dafür, dass sie auf einen Kuhhandel gehofft hatten. Heute sitzen sie als schweigsame Hornochsen mit auf der Anklagebank.

"Total zerrupft und zerschlagen"

Rund 150 qualifizierte Mitarbeiter wurden damals in der Zentrale nicht mehr gebraucht; sie mussten gehen. Die Traditionsbereiche von Mannesmann wurden kurz nach der Fusion, wie es Ladberg formulierte, "total zerrupft und zerschlagen". Heute aber sind die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze und damit für die Arbeitnehmer differenziert zu betrachten.

Manche Abteilung, die bei Mannesmann als ungeliebter Traditionsverein nur noch vegetierte, ist unter einem neuen Eigentümer wieder aufgeblüht. Auch in der Düsseldorfer Zentrale wurden neue Leute eingestellt. Im Ergebnis hat es den befürchteten Stellenabbau nicht gegeben.

Das ist aber nicht mehr das Verdienst des Arbeitgebers Mannesmann. Der hat die Traditionsbereiche nur verkauft, einschließlich all der dort Beschäftigten. Und die haben dafür keine Prämien in Millionenhöhe bekommen. Vor diesem Hintergrund muss man Ackermanns Äußerung bewerten, man sei damals "ein guter Arbeitgeber" gewesen, einer der eben nicht nur gesagt habe, "der Mohr hat seine Schuldigkeit getan".

Der Chef der Deutschen Bank kennt bei jedem Unternehmen nur einen Mohren. Dass ein Unternehmen aus mehr als einem Vorstandsvorsitzenden und einem Dutzend Topmanager besteht, dass Erfolg wie Misserfolg eines Unternehmens nicht nur vom Geschick eines Managers, sondern von der Leistung aller Beschäftigten abhängen, liegt außerhalb des Wahrnehmungsbereichs nicht nur von Josef Ackermann.

Man muss aber schon ein Klaus Esser sein, um es nicht nur für selbstverständlich, sondern sogar für eine soziale Großtat zu halten, die insgesamt 32 Millionen geteilt zu haben: getreu dem Motto, für mich allein die Hälfte und für die engsten Paladine die andere Hälfte. Das ist das soziale Gewissen einer entfesselten Marktwirtschaft.

"Volle Partnerschaft"

Bei Mannesmann geht es ums Geld, um viel Geld. Aber nicht nur um Geld. Die Schlacht wäre vermeidbar gewesen. Gent sagt vor Gericht, dass Vodafone lange an einer "vollen Partnerschaft" mit Mannesmann interessiert gewesen sei. Die Kreise sollten nicht gestört werden. Aber dann fühlte er sich von Esser wegen des Telekommunikationsunternehmens Orange ausgetrickst. Persönlich enttäuscht eben.

Er zog in eine Schlacht, über deren Ausgang er sich selbst nicht sicher war, von der die eigenen Leute zunächst sagten, sie sei nicht zu gewinnen. Am Ende der Schlacht "habe ich begonnen, ihn zu mögen und zu respektieren", so Gents Aussage über Esser. Er war vom Gericht nach seinen Gefühlen überhaupt nicht gefragt worden. Das Zitat lässt einen Rückschluss zu, wie es um die zuvor bestellt war.

Joachim Funk, der dabei war, berichtet dem Gericht, während der Übernahme habe ein "paranoider Hass geherrscht". Klaus Esser redet über seine eigenen Gefühle nicht, jedenfalls nicht mit Worten, dafür umso eindrucksvoller durch seine Körpersprache.

Man muss ihn erlebt haben, den Rücken weit zurückgebeugt, beide Hände im Hosensack, die Mundwinkel nach unten entglitten, das menschliche Gewürm um sich herum betrachtend. Man muss ihn gehört, seine oberlehrerhaften Reden nicht nur gelesen haben, um zu erahnen, wie sehr seine Gedanken und Gefühle stets um die eigene Person und die eigene Befindlichkeit kreisen.

Was da zu Beginn des Jahres 2000 abläuft, sind auch Spiele, Machtspiele. Die Herren spielen Krieg. Sie spielen Krieg aus verletzter Eitelkeit. Kriege sind teuer. Die missglückte "Abwehrschlacht" gegen Vodafone kostet Mannesmann überschlägig 220 Millionen Euro - 80 Millionen für die Investmentbanker, 39 Millionen für Rechtsanwälte, 72 Millionen für Berater, 29 Millionen für Zeitungsanzeigen.

Kühle Gelassenheit

Das Düsseldorfer Gericht versucht, den Mannesmann-Skandal unter dem Stichwort der Untreue aufzuarbeiten. Das ist absurd. Dieser Paragraf soll allein das Vermögen des Eigentümers vor Missbrauch schützen. Die alten und die neuen Eigentümer von Mannesmann fühlen sich aber gar nicht geschädigt. Wie sollten sie auch? Die meisten von ihnen haben ja bekommen, was sie wollten: Die meisten Aktionäre machten einen Reibach, von dem sie zuvor nicht einmal geträumt hatten. Vodafone gewann einen Krieg und bekam als Beute einen ganzen Konzern.

Die, die in erster Linie geschädigt worden sind, verfügen nicht über die Position eines Eigentümers: Das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Wirtschaft sind vor einem Strafgericht nicht einklagbar. Der Standort Deutschland kann kein Gericht anrufen. Auch jener Arbeitnehmer hat kein Recht zu klagen, der in Düsseldorf von seinen Emotionen berichtete, als die Firma, die er irrtümlich für seine Familie gehalten hatte, am Ende war - und von der kühlen Gelassenheit des Klaus Esser. Es gibt im Strafgesetzbuch keinen Paragrafen, der solche Interessen schützen würde.

Bei Mannesmann haben sich einzelne Großaktionäre um Milliarden bereichert. Ohne eigene Leistung, ohne Risiko, ohne eine reale Wertschöpfung oder Wertsteigerung, scheinbar aus dem Nichts heraus. Man muss ein Klaus Esser sein und an das Schlaraffenland glauben, um daraus den Schluss ziehen zu können, es habe nur Gewinner gegeben. Wenn es noch richtig ist, dass in jeder Gesellschaft nur so viel verteilt werden kann, wie vorher erarbeitet wurde - diese schlichte Wahrheit ist richtig -, da müssen in der Gesamtrechnung die Milliarden, die sich die einen genommen haben, anderen fehlen.

Der Düsseldorfer Prozess müsste dennoch nicht ausgehen wie das Hornberger Schießen. Die Justiz hat den Mangel des Gesetzes schon lange erkannt und den weit gefassten Untreue-Paragrafen als Krücke genutzt. Um zu ahnden, was geahndet werden musste, aber anders nicht zu ahnden war. Erst bei den Postsekretären und Handlungsreisenden, später auch bei den Chefs. In Deutschland ist schon ein Unternehmer wegen Untreue zu Lasten einer Firma verurteilt worden, die ihm selbst zu 95 Prozent gehörte.

"Eigentum verpflichtet"

Die restlichen fünf Prozent hatte er kurz zuvor seinem Sohn geschenkt. Er hat also gewissermaßen sein eigenes Vermögen veruntreut. Die Justiz hat das für möglich gehalten, aber eben noch nie bei den Essers und bei den Ackermanns. Das Düsseldorfer Landgericht hat inzwischen Angst vor seiner eigenen Courage bekommen.

Ein eindeutiges Signal der Justiz wäre hilfreich gewesen, um die Habgier ganz oben zu bremsen. Doch der Kern des Mannesmann-Skandals läge auch im besten Fall außerhalb des Machtbereichs der Justiz. Diese Gesellschaft hat in besseren Zeiten einmal die Kraft gehabt, in ihrer Verfassung die Forderung festzuschreiben "Eigentum verpflichtet".

Sie hat aber nie mehr die Kraft gefunden, die Frage zu diskutieren, wozu Eigentum verpflichtet. Sie hat diese Frage verdrängt. Seit Mannesmann wissen wir jedenfalls: "So geht das nun gar nicht." Der Mannesmann-Skandal schreit nach einer Antwort auf eine ganz einfache Frage.

© SZ vom 28.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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