Auswahl von Nominierten:Offener Brief gegen Preis der Leipziger Buchmesse

Coronavirus - Leipziger Buchmesse abgesagt

Ist der Zugang zum Preis der Leipziger Buchmesse wirklich offen für alle?

(Foto: Jan Woitas/dpa)

Keine schwarzen Autorinnen oder Autoren: Die Verfasser eines offenen Briefs nennen die Auswahl der Nominierten für den Preis der Leipziger Buchmesse "problematisch".

Von Felix Stephan

Literaturlisten werden zusammengestellt, um kritisiert zu werden. Sie sind das Resultat von Kritik und sie sind die Grundlage für weitere Kritik. Aus dieser Kritik gehen dann wiederum Listen hervor. So geht das immer weiter. Und falls es doch einmal aufhört, weiß man, dass man in einer Diktatur lebt.

Aktuell lässt sich dieser Prozess namens Kultur am besten am Beispiel der Nominiertenliste für den Preis der Leipziger Buchmesse beobachten: Am 13. April wurde die Liste veröffentlicht. Ein offener Brief bezeichnet die Auswahl nun als "problematisch", weil sich darin keine schwarzen Personen befinden.

Die Beobachtung ist nicht von der Hand zu weisen: Sämtliche Nominierten in den Sparten Belletristik, Sachbuch und Übersetzung sind im landläufigen Sinne weißer Hautfarbe. Und die Verfasser des Briefs bestreiten auch gar nicht, dass jeder von ihnen den Preis verdient hätte. Es sei nicht ihre Absicht, die Jury zu attackieren, heißt es, vielmehr wollten sie die Entscheidung zum Anlass nehmen für eine Diskussion "über institutionelle Strukturen innerhalb der deutschen Gesellschaft".

Der deutsche Kulturbetrieb brauche "Jurys, Verlagshäuser und Feuilleton-Redaktionen, die die gelebte Realität der deutschen Gesellschaft repräsentieren". Dazu müssten Schwarze gezielt gefördert, Zugangsbarrieren analysiert, Lektürelisten umgestaltet werden, andernfalls verfestige sich ein "eindimensionales Konzept von Literatur und Kultur".

Die Auswahl der Jury fällt auch deshalb ins Auge, weil die begehrtesten Plätze der deutschen Verlagslandschaft in diesem Jahr so häufig an die Bücher nicht-weißer Autoren vergeben wurden: der Roman "Adas Raum" von der Bachmannpreis-Trägerin Sharon Dodua Otoo ist beispielsweise beim Frankfurter S. Fischer Verlag erschienen, Mithu Sanyals Romandebüt "Identitti" beim Münchner Hanser Verlag, Asal Dardans für den Deutschen Sachbuchpreis nominierte "Betrachtungen einer Barbarin" bei Hoffmann & Campe in Hamburg. Keines dieser Bücher hat es in Leipzig in die engere Auswahl geschafft.

Der thematische Schwerpunkt des Preises liegt traditionell auf Osteuropa

Das könnte am Profil des Preises liegen: Der thematische Schwerpunkt des Preises der Leipziger Buchmesse liegt traditionell auf Osteuropa, am deutlichsten wird das in der Belletristik. Seit dem Fall der Berliner Mauer war der Preis ein Vehikel, osteuropäische Literaturen in der neuen gesamtdeutschen Öffentlichkeit ins Gespräch zu bringen. In den vergangenen zwanzig Jahren wurden zum größten Teil Autoren ausgezeichnet, die über die Regionen östlich der Elbe schreiben, Autoren wie Saša Stanišić, Lutz Seiler, Natascha Wodin, Terézia Mora. Und so sehen die Nominiertenlisten dann eben auch aus.

Der Leipziger Liste haben die Initiatoren des offenen Briefes jetzt gewissermaßen ihre eigene Liste gegenübergestellt, die Liste der Unterzeichner, und die hat wiederum ihre eigenen Unwuchten. Sie besteht gut zur Hälfte aus Germanisten, die an amerikanischen und englischen Universitäten tätig sind. Die italienische, französische, spanische, skandinavische Germanistik: nicht vertreten, ähnlich wie die starken und traditionsreichen Germanistiken in Ungarn oder Russland. Die Kritik an der Leipziger Auswahl kommt vor allem aus den USA und dem Vereinigten Königreich.

In diesem Sinne bewegt sich die Liste der Unterzeichner rein numerisch relativ genau entlang der rhetorischen Linie, mit der Emmanuel Macron seit einigen Monaten die Identitätspolitik in Frankreich zu bändigen versucht: Bei der Identitätspolitik, so der französische Präsident, handele es sich um einen amerikanischen Import, der es sich zum Ziel gesetzt habe, den französischen Universalismus abzuschaffen.

Aber selbst wenn der Leipziger Preis eher den Themenfeldern Diktatur, Kommunismus und Vergangenheitsbewältigung gewidmet ist, gehen die Initiatoren ein geringes Risiko ein. Dass die Demografien der Innenstädte und der Literaturhäuser nicht identisch sind, kann niemand ernsthaft leugnen. Über die Frage, wie sich das ändern ließe, zerbrechen sich in den großen deutschen Verlagshäusern ganze Abteilungen die Köpfe. Der offene Brief schlägt jetzt einige Maßnahmen vor.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusAlice Hasters über Gleichberechtigung
:Die Wut ist berechtigt

Die Diskussion um Identitätspolitik und Cancel Culture wird immer aufgeregter. Versuch einer Klärung.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: