Postkolonialismus:Archaische Ansichten

War der Kalte Krieg für Afrika schlimmer als der Kolonialismus? Wissenschaftler haben ernste Zweifel und ein paar Fragen an den Afrikabeauftragten der Bundesregierung, Günter Nooke, der das unlängst behauptet hat.

Von Anna Reuß

Das Erste, was hilft, Afrika verstehen zu lernen, sei Demut, schreibt der Afrikabeauftragte der Bundeskanzlerin, Günter Nooke, auf seiner Homepage. Diese Demut vor der Geschichte und Komplexität des Kontinents mit seinen 54 Staaten vermissen allerdings einige Experten bei Nookes eigenen Äußerungen zum Kolonialismus und was dieser in Afrika angerichtet hat. Nooke zeichne das Bild eines "statisch in vermeintlicher Geschichtslosigkeit verharrenden Kontinents", heißt es in einem Schreiben des Fachverbands Afrikanistik vom November 2018. Darin forderten die Unterzeichner seine Entlassung, unter anderem "wegen seiner kolonialrevisionistischen Äußerungen".

Auch die Bundeskanzlerin soll auf Distanz zu ihrem Afrikabeauftragten gegangen sein, berichtet der Spiegel. Sie habe sich bei einem Treffen mit Experten kritisch über seine Wortwahl geäußert.

Die Kritik der Wissenschaftler entzündete sich im Oktober an einem Interview, das Nooke der Berliner Zeitung B.Z. gegeben hatte. Darin sagte er, dass die Kolonialzeit dazu beigetragen habe, Afrika aus "archaischen Strukturen" zu lösen. Der Kalte Krieg habe dem Kontinent mehr geschadet als die Kolonialzeit. Er sagte: "Bei 35 Grad und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit ist die Arbeitsproduktivität auf dem Bau eine andere als hier". Manches war auch einfach falsch, etwa, dass Europa "fast immer" Ziel afrikanischer Flüchtlinge sei.

Wenige Tage später erklärte er in der Süddeutschen Zeitung , ihm gehe es nicht darum, Verbrechen der Vergangenheit zu relativieren oder rassistische Klischees zu bedienen. Wissenschaftler des Fachverbandes erklärten ihn ob seiner Aussagen als Afrikabeauftragten dennoch für ungeeignet. Zuerst richteten Forscher des Instituts für Afrikanistik und Ägyptologie der Universität Köln einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Entwicklungsminister Gerd Müller; der Fachverband Afrikanistik schloss sich an.

In dem Schreiben wird eine generell "irreführende Konstruktion eines von traditionellen sowie Stammes- und Clanstrukturen durchsetztem Afrika-Bildes" kritisiert, an der lange auch akademische Disziplinen wie die Afrikanistik beteiligt gewesen seien. So werde Afrika oft als Gegenbild zum vermeintlich modernen Europa dargestellt. Nooke, seit 2010 Afrikabeauftragter, hatte der B.Z. gesagt, dass afrikanische Gesellschaften "anders" funktionierten, was mit Clan-Strukturen oder der Rolle von Stammesführern zu tun habe.

Nooke lud seine Kritiker zum Gespräch ein, aber es gab keine Annäherung.

Um Missverständnisse auszuräumen, kam es Mitte Februar auf Einladung Nookes zu einem Gespräch zwischen ihm und seinen Kritikern. Raija Kramer, die Vorsitzende des Fachverbandes, sagt, sie habe das Gesprächsangebot als konstruktiv empfunden, das Gespräch jedoch nicht. "Wir wollten von ihm wissen, wie er zu seinen Aussagen in der B.Z. steht", sagte Kramer. Er habe geantwortet, dass er "im Großen und Ganzen" alles wieder so sagen würde, erinnert sie sich. Nur zur Aussage, der Kalte Krieg habe Afrika mehr geschadet als der Kolonialismus, habe er klargestellt: Er habe den britisch-sudanesischen Geschäftsmann Mo Ibrahim zitieren wollen. "Dass Nooke sich diese Auffassung aneignet, macht sie nicht weniger problematisch", sagt Kramer. Ein anwesender Journalist bezeichnete die Runde hingegen als "Tribunal", dem Nooke sich stellte.

Nach der Diskussion wurde Kramer ein Schreiben übergeben, in dem Stellung zu den Vorwürfen der Wissenschaftler genommen und auf das unsichere Beschäftigungsverhältnis Kramers verwiesen wird: Sie bekleide "eine - bislang jedenfalls - öffentlich bestallte Juniorprofessur". Diese sei "ein Bewährungsaufstieg". Sie selbst und auch Kollegen Kramers werteten dies als Einschüchterungsversuch und indirekte Drohung mit Entlassung.

Der Kolonialhistoriker Jürgen Zimmerer von der Universität Hamburg nahm ebenfalls an der Gesprächsrunde teil. Er kritisiert die Rolle des Moderators des Gesprächs, Matthias Vogt, der ein Bekannter Nookes ist und bei der Europawahl als Kandidat der CDU antritt. Vogt sei kein neutraler Moderator gewesen. Vogt war auch Autor des Schreibens, das nach dem Gespräch an Kramer übergeben wurde, sowie einer Stellungnahme zur "Causa Nooke", in der er Verkürzung und Vereinfachung der Fakten anprangert.

Kramer, die Vorsitzende des Fachverbandes, hält an der Rücktrittsforderung fest: Nooke sei auf seinem Posten nicht mehr tragbar. Kolonialhistoriker Zimmerer sagt, Nooke habe falsche Vorstellungen von Kolonialismus und ein "antiquiertes und negatives Bild von Afrika", das Klischees bediene, verbreitet. Die Aussage, die Kolonialzeit habe den Kontinent aus archaischen Strukturen befreit, sei "fahrlässig". Nooke vernachlässige, dass niemand mit Gewalt gegen seinen Willen von irgendetwas befreit werden könnte. Die von Nooke vorgeschlagenen Wirtschaftssonderzonen, unterstützt von der EU oder der Weltbank, hält er für gefährlich. Europas territoriale Enklaven in Afrika seien historisch betrachtet "das Einstiegsmoment in den Kolonialismus" gewesen. "Ich hatte erwartet, dass er etwas Einsicht zeigt", sagt Zimmerer. Doch über die Kritik habe Nooke nicht reden wollen. Nooke stand für ein Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung nicht zur Verfügung.

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