Portrait:Schwarz sein

Emeka Ogboh hat längst den Status des jungen Talents hinter sich gelassen und ist in die Riege der Anerkannten aufgestiegen. Der Nigerianer lebt in Berlin und lotet aus, was es in Europa bedeutet, aus Afrika zu kommen.

Von Catrin Lorch

Doch, das war die Nationalhymne, die jemand am Anlegesteg der Vaporetti gesummt hat. Aber sie klang wie verwandelt. "Das Lied der Deutschen" war bei der Biennale von Venedig vor zwei Jahren so etwas wie der heimliche Soundtrack der Großausstellung - weil jeder, der die Klanginstallation von Emeka Ogboh in den Arsenale gehört hatte, es weiter summte. Mitsingen? Dafür brauchten auch die deutschen Besucher das Textheft. Denn die Sänger, die Emeka Ogboh für die Aufnahme verpflichtet hatte, stimmten nicht "Einigkeit und Recht und Freiheit an", sondern sangen auf Douala, Igbo, Ewondo, Bamun, Kikongo, Sango, More, Twi, Yoruba und Lingála. Aus dem deutschen "brüderlich mit Herz und Hand" wurde auf Douala "bonango bo be bwasam".

Der Künstler Emeka Ogboh stammt aus Nigeria, wurde 1977 in Enugu geboren, hat in Lagos studiert und dort auch eine Plattform namens "Video Art Network" gegründet. Als er zur Biennale eingeladen wurde, lebte er gerade als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Berlin. Wer sich damals zum Atelierbesuch bei ihm anmeldete, war überrascht: Alles, was der Konzeptkünstler brauchte, passte auf einen Tisch in der Altbauwohnung, die ihm der DAAD zur Verfügung gestellt hatte. Ein Rechner, viel Speicherplatz, ein extra Laufwerk. Daneben lagen noch ein paar Hundert Aufkleber ausgebreitet auf dem Boden, die Emeka Ogboh von einer Reise nach Lagos mitgebracht hatte, Sticker mit Slogans wie "No Money No Friend" oder "No Condition is Permanent". Im Gespräch erinnerte Emeka Ogboh an den Konzeptkünstler Lawrence Weiner. Zum einen, weil er genau so groß ist wie der Amerikaner, zum anderen weil er mit dem gleichen feinen Gehör Formulierungen nachhorcht.

Emeka Ogboh arbeitet mit der Selbstverständlichkeit seiner Generation konzeptuell, er verwendet jedes Medium, jede Technik. Das, was bei seiner Kunst an Gestaltung anfällt, erledigt er - schon weil er auch Grafikdesign studiert hat - digital, er scannt Motive, formuliert Textzeilen oder Slogans, mischt und kombiniert Soundfiles. Als Klangkünstler hat er jahrelang Aufnahmegeräte durch Lagos getragen, Hörbilder der gewaltigen Metropole geschaffen. In Berlin stellte er dann vor Kirchen Lautsprecher auf, aus denen dieser Sound quoll. In das Geräusch des Berliner Verkehrs mischte sich der Lärm von Danfo-Bussen, das Brummen von Generatoren, Kirchenglocken, lautes Hupen und noch lautere Unterhaltungen. "In Europa ist es zu leise", befand Emeka Ogboh damals.

Portrait: Dunkel, dunkler, am dunkelsten. Das Bier "Sufferhead" ist ein Kunstwerk von Emeka Ogboh. In Münster will er es dem Publikum servieren.

Dunkel, dunkler, am dunkelsten. Das Bier "Sufferhead" ist ein Kunstwerk von Emeka Ogboh. In Münster will er es dem Publikum servieren.

(Foto: Emeka Ogboh, Sufferhead Original: Kassel Edition/ Mathias Völzke, Oliver Blohm)

Dass Emeka Ogboh nun immer noch in Berlin lebt, beschert der Stadt einen Kunst-Star. Zwar ist Nationalität in der Szene nicht mehr wirklich Thema. Aber unter den Künstlern, die hier arbeiten, ist in diesem Sommer kein anderer so präsent wie Emeka Ogboh: Sein Werk steht im Zentrum der beiden Ausgaben der Documenta in Athen und Kassel und auch die Skulptur Projekte in Münster haben ihn eingeladen. Alle diese Arbeiten thematisieren im weitesten Sinn das Thema Migration - von der historischen Parabel bis zu sehr persönlichen Momenten, die davon handeln, was es bedeutet, schwarz zu sein in Europa.

Bei der Vernissage der Documenta in Athen bespielt Emeka Ogboh einen der schönsten Räume. Den unterirdischen Konzertsaal im Konservatorium, der allerdings seit Jahrzehnten als unvollendeter Rohbau da steht. "The way earthly things are going" besteht aus nicht mehr als ein paar Lautsprechern, die Emeka Ogboh im Kreis installiert hat. Zu hören ist ein altes, polyphones Lied, der Gesang einer Mutter, die vor dem Ofen hofft, dass das Brot nicht fertig wird, auf das ihr Sohn wartet, und er sein Schiff verpassen wird. Unterdessen flackern die Börsenkurse als Leuchtschrift über die Wand. Emeka Ogboh hat damit die Verbindung zwischen Deutschland und Griechenland akzentuiert, auch die Opposition der beiden Länder in der Finanzkrise: Griechenland ist Aufbruchsland, Deutschland Ziel vieler Migranten.

"Für die vielen Tausend Griechen, die jetzt fortgehen und sich anderswo einen Job suchen, ist das nicht leicht - hier hat Familie einen hohen Stellenwert", sagt Emeka Ogboh bei einem Treffen. Und man hat das Gefühl, dass dieser Satz auch für Nigeria gelten könnte. Schon weil Emeka Ogboh selbst ja auch immer noch in Deutschland lebt. Was nicht selbstverständlich ist - Afrika erlebt derzeit einen Kunstboom, nicht nur weil die Arbeiten von Künstlern aus Ghana, Nigeria, Südafrika oder Mali bei Ausstellungen hochgeschätzt sind. Auch der Markt hat den Kontinent entdeckt - die Auktion mit afrikanischer Kunst der Gegenwart und Moderne wurde bei Sotheby's gerade als Überraschungserfolg verbucht, mehr als 60 Künstler aus 14 Ländern waren vertreten, insgesamt brachte die Auktion 3,3 Millionen Euro ein.

In der Hauptstadt unterhält Ogboh mittlerweile ein eigenes Studio

In der jungen Generation gilt Emeka Ogboh inzwischen als einer der prominentesten Künstler, seit er einen Kunstwettbewerb für das Gebäude für Frieden und Sicherheit der Afrikanischen Union in Addis Abeba gewonnen hat, der vom deutschen Institut für Auslandsbeziehungen ausgerichtet wurde. Seine Arbeit dort greift das Konzept von "Das Lied der Deutschen" noch einmal auf, überall im Gebäude, das die Bundesrepublik Deutschland dem Staatenbund schenkte, ist nun allerdings die Hymne der Afrikanischen Union zu hören, übersetzt in die vielen Sprachen, die in Afrika gesprochen werden.

Portrait: Emeka Ogboh verwendet jedes Medium und jede Technik. Studiert hat er in Lagos.

Emeka Ogboh verwendet jedes Medium und jede Technik. Studiert hat er in Lagos.

(Foto: Mathias Voelzke)

Emeka Ogboh ist schon lange kein Nachwuchskünstler mehr, der noch ein paar Monate im Ausland verbringt. International gefragt unterhält er inzwischen ein Studio in Berlin, er beschäftigt Mitarbeiter, arbeitet mit Spezialisten zusammen, mit Technikern, Designern, Agenturen. Doch er sagt, weil er schwarz ist, sei er auf der Straße für die meisten Deutschen offensichtlich immer noch einer, um dessen Heimat es nicht allzu gut bestellt sein kann, bestenfalls ein Migrant, womöglich ein Flüchtling. "Manche Leute können sich nicht vorstellen, dass jemand wie ich durchaus die Wahl hat. Man muss ein hartes Leben haben zu Hause, damit es gerechtfertigt ist, umziehen zu wollen", sagt Ogboh. Er macht sich wenig Illusionen, wenn es um den dahinter-liegenden Rassismus geht, zitiert einen Text aus der britischen Zeitung Guardian, der die tief sitzenden Ängste der Europäer vor schwarzer Vorherrschaft beschreibt: Dass Schwarze die Gesellschaft sozusagen einfärben.

Wie soll man solchen Klischees begegnen? Emeka Ogboh setzt lieber noch eins drauf. Und braut Bier. "Ich wollte all diese Gefühle, Unsicherheiten und Ängste in ein Rezept übersetzen", sagt er, deswegen ist sein Bier ein scharfes, tiefschwarzes Getränk geworden. Schon in Berlin hat er mit den Experimenten angefangen, zu einer Ausstellung schenkte er erstmals so ein Craft Beer aus. In Kassel soll es jetzt zur Marke werden. "Sufferhead", benannt nach einem Lied von Fela Kuti, von einer lokalen Brauerei mit einem Alkoholgehalt von 8,2 Prozent hergestellt, wird in elegante Flaschen abgefüllt und trägt ein Label, dessen Schriftzug entfernt an Fraktur erinnert. Das deutsche Reinheitsgebot fürs Bier ist Ogboh genau so eine Metapher. "Viele Deutsche waren vor allem deswegen gegen die Europäische Union, weil sie um die Reinheit ihres Biers fürchteten", sagt Ogboh, der gerade einen Spot entworfen hat, der Deutsche zeigt, die ihr Helles stehen lassen und zur schwarzen Flasche greifen. Auch in Münster wird er Bier ausschenken. Er denkt darüber nach, was wohl passiert, wenn man - ausgerechnet in einer so ruhigen Stadt wie Münster - mal richtig laut wird. "In Lagos ist alles 1000 Dezibel."

Heimweh? Nein. Eher die Furcht davor, anzukommen

Hört man Heimweh aus so einer Feststellung? Das ist für Emeka Ogboh womöglich nicht die Frage. Er fokussiert sich ja genau auf solche Gefühle, kann sie übersetzen in Konzepte, in Bild und Sound. Migration ist aus seiner Perspektive ein viele Tausend Jahre altes, ein ewiges, fast archaisches Phänomen. "Berlin war gut zu mir als Künstler", sagt Ogboh, "die Stadt hat mir einen Zugang erlaubt und es war wichtig, zu bleiben. Weil ich hier alles machen kann, was ich will. Wenn ich Bier machen will, als Künstler, muss ich hier nicht viel erklären. In Lagos gibt es keine Craft-Beer-Kultur. Und wenn es sie gäbe, dann glaube ich nicht, dass der Inhaber einer Brauerei verstanden hätte, dass das für mich Kunst ist." Ogbohs Umzug von Lagos nach Berlin kann man beispielsweise mit dem Aufbruch eines Constantin Brâncuși von Rumänien in Richtung Paris vergleichen, nur noch zeitgemäßer, weil ja gerade viele international gefragte Starkünstler die Arbeitsbedingungen in Berlin als ideal empfinden. Es ist jedenfalls offensichtlich, dass Emeka Ogboh sich weniger vor dem Weggehen fürchtet, denn vor einem Zuviel an Ankommen. Nicht ohne Humor greift er die Gedankenbewegung der Rassisten auf, aber auch all derer, die Integration einfordern. "Ich kann jetzt deutsch sprechen, ich esse deutsches Essen - es gibt da Spuren des Deutschen in mir."

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