Es muss schon einen guten Grund geben, damit die Leute auf der Auguststraße in Berlin-Mitte das Glotzen anfangen. Sonst kämen sie ja aus dem Glotzen gar nicht mehr raus. Prima zum Anstarren sind zum Beispiel viele von den Menschen, die sich die Ausstellungen in den Kunst-Werken anschauen und durch Galerien mit Namen wie Eigen+Art schlurfen, um die immer schon längst verkauften neuen Gemälde der Maler zu sehen, die alle immer in Leipzig studiert haben.
Ein ulkiges Kunstvolk ist das häufig, mit Kunstkleidung wie aus einem westdeutschen Fernsehfilm von 1985, schwarze unförmige Klamotten und bunte Brillen, zusammen sagt das immer das Gleiche: Ich bin ein bisschen irre, Sie verstehen? Man würde sich kaputtsehen an dieser ewigen Konformität der Einzigartigen - hätte man nicht Angst davor, auch selbst nicht ganz einzigartig zu sein.
Zum Glück gibt es auf der Auguststraße aber auch diese netten, jungen Mitte-Frauen der neuen Zeit. Sie sehen bloß auch alle gleich aus. Und es gibt viel zu viele von ihnen, denkt man manchmal. Doch dann tritt eine auf den windschiefen Gehsteig, eine Erscheinung in schweren schwarzen Stiefeln, schwarzen Leggings, obenrum hat sie etwas Grün-Schwarz-Gemustertes mit Fledermausärmeln an, das für ein Top zu lang ist und für ein Kleid eigentlich zu kurz. Der Stil ist nicht Berlin-Mitte, sondern Manhattan Lower Eastside. Das ist schon mal ein guter Grund, das Mädchen anzustarren. Außerdem hat sie eine dicke Schicht Make-up in ihrem Gesicht.
Nein, an so etwas sind die Leute auf der Auguststraße nicht gewöhnt. Aber sie wissen ja nicht, dass das Fernsehschminke ist. Das Mädchen hat den Vormittag mit einem Filmteam von einer Kultursendung verbracht, das sie kreuz und quer durch die Stadt kutschiert hat zu immer neuen Interviewkulissen. Vielleicht sind es aber auch ihre dunklen Augen und die dichten Brauen darüber, was die Leute sie anglotzen lässt. Wäre es so, würden sie sich fragen, ob ein junges Mädchen die Augen eines älteren Mannes haben kann, den sie alle kennen. Die Augen des Mädchens sind die ihres Vaters Paul Auster, des sehr bekannten Schriftstellers und Filmemachers.
Sophie Auster ist 19 Jahre alt. Die vollen Lippen immerhin hat sie von ihrer Mutter, der etwas weniger weltbekannten, deshalb aber nicht schlechteren Schriftstellerin Siri Hustvedt. Ihren Vater aber kann Sophie Auster rein äußerlich weniger verleugnen, sie ist der gleiche dunkle Typ, ihre Mutter ist blond. Wenn nicht alles täuscht, wird es nicht lange dauern, bis Sophie Auster auch weltbekannt ist. Sie strengt sich jedenfalls genug dafür an.
"Wie wäre es mit meiner Tochter?", fragte Vater Auster den Produzenten
Im Unterschied zu vielen anderen Kindern berühmter Eltern versucht Sophie Auster erst gar nicht, so zu tun, als verleugne sie ihre Eltern. Sie rebelliert nicht, sie versucht beruflich nichts komplett Anderes zu machen, also etwas Nichtkünstlerisches zu werden wie Atomphysikerin oder Meeresbiologin oder so, sie hat bislang nicht mal auf ihrem eigenen Weg bestanden. Sie arbeitet stattdessen gleich mit ihrem Vater zusammen.
In seinem Film ,,Lulu On The Bridge'' hatte sie 1998 eine kleine Schauspielrolle, in seinem neuen ,,The Inner Life Of Martin Frost'', der im Frühjahr abgedreht wurde, hat sie jetzt eine größere. Sie spielt, kein Scherz, die Muse eines Schriftstellers. Ihr Vater, der das Drehbuch geschrieben hat, benutzt auch in seiner Prosa gern mal verwirrend assoziative familiäre Anspielungen, bei denen sich der Leser hinterher fragt, wie viel von den echten Austers aus Brooklyn da wohl drinsteckt. Ihre Mutter tut das ebenfalls, zuletzt in ihrem Roman ,,Was ich liebte''. Scheint so was wie eine Familienkrankheit zu sein.
Und nun ist noch Sophie Austers erstes Popalbum erschienen, das als Titel einfach ihren Namen trägt. Auch mit dem Album hat ihr Vater etwas zu tun. Es ist gut zwei Jahre her, da fragten die beiden Musiker Joshua Camp und Michael Hearst von der einigermaßen avancierten, aber nicht besonders weltbekannten Kunstrock-Band One Ring Zero bei Paul Auster an, ob er vielleicht einen Liedtext für sie habe. Das Gleiche hatten sie schon Austers Schriftstellerkollegen Jonathan Lethem und Dave Eggers gefragt, und wie die hatte auch Paul Auster einen Text, aus dem man die Lyrics für einen Song machen konnte. Hearst und Camp aber hatten gerade niemand zur Hand, der ihn singen konnte. Da sagte Paul Auster: Wie wäre es mit meiner Tochter?
,,Natürlich müssen die gedacht haben: Oh je, was kommt denn jetzt?'', sagt Sophie Auster.
Sie sitzt, vom Mittagessen auf der Auguststraße zurückgekommen, mittlerweile in der hintersten Ecke der menschenleeren Lobby eines Designerhotels auf der lauten und abgenudelten Kulturtouristenmeile Oranienburger Straße. Ihr Mädchencharme würde den kühl modernistischen Raum schon mühelos füllen, aber da ist noch etwas anderes: Sie strahlt eine seltsam ungebrochene Selbstgewissheit aus. Die hat nichts mit der eher trotzigen jener Mädchen gemein, die noch nicht genug gesehen haben von der Welt, um sich und ihre Sicht des Lebens in Frage zu stellen. Es ist wohl eher die atemberaubende Selbstverständlichkeit, die einem Mädchen mitgegeben wird, das in einem berühmten Künstlerhaushalt aufwächst: Kind, was immer du künstlerisch auch auszudrücken hast, tu es einfach.
Eine Journalistin vom Daily Telegraph, die Sophie Auster vor ein paar Monaten in ihrem Elternhaus in Brooklyn besucht hat, schrieb danach von der magischen Aura, die sie als jemand verbreite, der bald ein Star sein werde. Und tatsächlich ist es so, als dürfe man einen letzten unverstellten Blick auf jemanden werfen, der demnächst allen gehören wird.
,,Ich hätte ein öder, pubertierender Teenager sein können, der dauernd in der Nase bohrt'', sagt Sophie Auster, ,,oder bloß eine nette, nichtssagende 16-Jährige, die zufälligerweise Schriftsteller als Eltern hat.'' Keine Frage, dass sie sich schon vor etwas mehr als zwei Jahren für nichts davon hielt. Sie hatte ja auch schon acht Jahre Gesangsunterricht hinter sich, als sie Camp und Hearst vorsang. Danach hatten die keine Zweifel mehr, dass ihr Vater keinen Witz gemacht hatte, als er seine Tochter als Sängerin vorschlug. Sie nahmen das Lied mit ihr auf. Es erschien dann trotzdem nicht auf dem Album mit den Schriftstellertexten. Stattdessen komponierten Joshua Camp und Michael Hearst gleich schnell ein ganz neues für Sophie Auster, mit Folkrocksongs und Chansons.
Die Texte zu den meisten Songs lieferte ihr Vater. Sie stammen größtenteils nicht von ihm selbst, es sind seine Übersetzungen französischer Surrealisten und Dadaisten, von Robert Desnos, Paul Éluard, Tristan Tzara, Philippe Soupault. Deren Gedichte hat Auster ins Englische übertragen, als er kaum älter war als seine Tochter heute, ein junger Mann in seinen frühen Zwanzigern, der nach seinem Abschluss an der Columbia University für ein paar Jahre nach Paris gegangen war.
Mit 16 hörte sich ihre Stimme zu alt für ihre Besitzerin an
Mehr als dreißig Jahre später und fast ein Jahrhundert nach ihrer Entstehung hat seine Tochter diese Texte als 16-Jährige mit einer Stimme eingesungen, die man nicht unverwechselbar nennen mag. Aber doch erstaunlich. Sie ist unverkennbar gebildet, an sich schon eine Seltenheit in der Popmusik, und hört sich viel zu alt für ihre Besitzerin an. Doch Sophie Auster hat sich eben mit dieser Künstlerkind-Selbstverständlichkeit die fragilen, manchmal kaum durchschaubaren, manchmal auch einfach nur seltsamen Gedichte genommen, ohne groß zu fragen.
Sie ist klug genug, gar nicht erst zu behaupten, dass sie immer verstanden habe, was sie da so gesungen hat. Einer ihrer Lieblingstexte auf dem Album stammt von Tristan Tzara, ,,Word Heat'' heißt er in der Übersetzung und ist, nun ja, ziemlich heftiger Stoff: ,,I know I carry the song in me and I am not afraid / I carry death and if I die it is death / Who will carry me in his unseen arms / The bells chime for no reason and we too / why seek the end of the chain that links us to the chain / Chime bells for no reason and we too / We will make the broken glasses chime within us / The night's dark breath thickens / And along my veins sailor's flutes are singing''. Da ist der Tod, die Stunde schlägt, ein Kettenende, das an eine Kette kettet, zerbrochenes Glas, das in jemandem klingt, der Atem der Nacht, und entlang von Adern tönt eine Seemannspfeife... Eine handelsübliche 19-Jährige aus Brooklyn, sie würde zu sowas sagen: What the fuck?
Sophie Auster sagt, dass sie sich versucht hat einzufühlen in diese Texte, so wie sie sich als Schauspielerin in den Text einer Rolle einzufühlen versucht. Schauspielerin zu werden, das war der zweite Traum, nach dem Singen, den Sophie Auster als Kind träumte. Sie war zwölf, als sie sich beim Lee Strasberg Theatre and Film Institute anmelden ließ. Bei Strasberg, der Method-Acting-Schule, gibt es Programme für Kinder ab sieben und für Teenager. Die zwölfjährige Sophie Auster wurde gleich in die Klasse der 15- bis 17-Jährigen gesteckt. Am Anfang, sagt sie, war das toll: mit den Älteren lernen. Aber die seien immer so albern gewesen, so wenig ernsthaft bei der Arbeit. ,,Ich war schnell diejenige, die am weitesten war, und man lernt ja nichts, wenn man immer die Beste ist.''
Komischerweise klingt so ein grauenhafter Strebersatz bei Sophie Auster überhaupt nicht schlimm oder eingebildet. Nicht mal naiv. Eher wahnsinnig amerikanisch: Sie meint es ernst, sie mag den Wettbewerb. Deshalb hat sie mit 16 bei Strasberg hingeworfen, ist zu einer privaten Schauspiellehrerin gewechselt in eine Erwachsenengruppe mit Leuten zwischen 25 und 60. Die hätten sie endlich herausgefordert, und überhaupt funktioniere Method Acting ja auch nur begrenzt, sie wollte weitere Schauspieltechniken erlernen. Als sie ihren High-School-Abschluss hatte, ist sie deshalb nach London gegangen, an die British American Dramatic Academy. Da war sie dann auf einmal nicht mehr die Beste, sagt sie: endlich.
Jemand hat ihr an einem der schwierigeren Tage in London dann eine schöne Anekdote von Dustin Hoffman und Laurence Olivier erzählt, die vom Set von ,,Marathon Man'' stammen muss, den die beiden 1976 mit John Schlesinger drehten. Hoffman, der Method-Actor, habe den da schon bald siebzigjährigen Shakespeare-Titanen verzweifelt um Rat gefragt bei einer Szene, bei der er nicht gewusst habe, wie er sie spielen sollte. Olivier habe ihm bloß geantwortet: ,,Just act, my dear, just act.'' Das, sagt Sophie Auster, müsse dann wohl das Geheimnis sein. Und sie klingt dabei schon wieder nicht altklug, schon wieder nicht anmaßend.
Angst vor den Dreharbeiten
Wie weit es trägt, das Geheimnis, wird sie demnächst ausprobieren können. Von September an dreht sie mit Raoul Ruiz, der zuletzt ,,Klimt'' gemacht hat. Es wird ihre erste richtige Hauptrolle, und zum ersten Mal wird ihr Vater nicht dabei sein, genauso wie bei ihrem zweiten Popalbum, das sie gerade schreibt, die Texte werden diesmal von ihr sein. Nebenbei wird sie ihr Literaturstudium weitermachen. Ja, Sophie Auster kann einem schon auch Angst machen.
Wenigstens sagt sie zum Schluss, dass sie nun selbst etwas Angst habe, vor den Dreharbeiten mit Ruiz zu ,,Le Sens de la Nuit''. Die werden auf Französisch sein. Nicht dass Sophie Auster kein Französisch spräche, ziemlich gut sogar. Auf ihrer Platte kann man es hören, wie sie Apollinaires ,,Le Pont Mirabeau'' im Original singt, vertont als zartes Chanson, da klingt nur ihr R manchmal etwas arg amerikanisch. Weshalb sie nun noch unbedingt an ihrer Aussprache arbeiten will, sagt sie, bevor die Dreharbeiten losgehen.
Gott, wenn doch nur alle grauenvollen Streber dieser Welt bei ihrer Arbeit so zauberhaft wären wie Sophie Auster.