Dena Westerfield
Wer einmal in der Fotobox von Martin Schoeller saß, beschreibt dieses Erlebnis als erleuchtend - auch im Wortsinne. Angestrahlt und eingehüllt von Licht, lässt der gebürtige Münchner seine Modelle posieren, wobei der Begriff "posieren" irreführend ist: Schoeller geht es bei seinen Porträts, die ihn weltbekannt machten, meist um maximale Authentizität. Wer sich also vor seine Kamera wagt, muss dem Mann mit den Dreadlocks vertrauen. Das gilt wohl in besonderem Maße für die Objekte seiner Serie "Female Bodybuilders", die jetzt in einer Werkschau im Museum für Fotografie in Stockholm ausgestellt ist. Vorurteile gibt es genug gegenüber dieser Sportart, die für manchen schon den Begriff gar nicht verdient - schließlich werden hier Muskeln nicht nur mit Training aufgebaut, sondern allzu oft auch mithilfe von Anabolika.
Carmella Cureton
Auch Schoeller war anfangs skeptisch. "Ich fand, das ist das Blödeste, was man machen kann", erzählte er bei der Austellungseröffnung in der schwedischen Hauptstadt. Er habe nicht verstanden, wie jemand so viel Zeit aufbringen könne, um so auszusehen.
Christine Roth
Doch aus Befremden wurde schnell Faszination: Am Ende fotografierte Schoeller 66 Frauen, alle professionelle US-Bodybuilderinnen. Teilweise reiste er zu Wettbewerben an, bei denen er zwölf von 14 Teilnehmerinnen schon porträtiert hatte. Schoeller selbst sagt: "Das Sammeln und Katalogisieren von Gesichtern - das ist vielleicht das Deutsche in mir."
Iris Kyle
Bei Iris (im Bild) und einigen anderen Damen ließe sich zwar auch aufgrund ihrer Gesichtszüge auf die Sportart schließen - aber Schoeller wollte Eindeutigkeit und wählte einen für ihn eher ungewöhnlichen Bildausschnitt: Kopf und Brust. Mit 22 Lampen leuchtete er die Körper der Athletinnen aus. So werden die Aufnahmen bestimmt von überproportionierten Muskeln, über denen sich die Haut spannt.
Betty Pariso
Scharf zeichnen sich die die Adern ab. Der Kopf wirkt zu klein für den massiven Körper, und auch wenn manches Gesicht schon sehr geschlechtsuntypisch wirkt: Oben ist nicht zuletzt durch das Make-up noch Weiblichkeit zu erahnen, während vom Hals abwärts der Eindruck von Männlichkeit dominiert. Wäre da nicht die Wettkampfklamotte, der Bikini.
Nadia Nardi
Das Körperliche ist so überwältigend, dass der Blick des Betrachters erst beim zweiten oder dritten Blick auf die Gesichter der Frauen fällt. Dann wird klar, worauf auch bei dieser Porträtreihe von Schoeller der Fokus liegt. "Ich versuche, die Verletzlichkeit einzufangen, die ich in den Personen, die ich porträtiere, sehe und spüre", erklärt der 47-Jährige. "Ich versuche, an die komplexen Emotionen hinter der Maske des extremen physischen Ausdrucks heranzukommen." Bei Nadia ist ihm das ohne Zweifel gelungen.
Lenda Murray
Doch auch die Fokussierung auf das Hintergründige ist eine Form der Inszenierung. Schoeller, der seit 25 Jahren in New York lebt und Anfang der 90er drei Jahre lang als Assistent der legendären Annie Leibovitz arbeitete, schafft es immer wieder, vor allem sein eigenes Bild der Modelle einzufangen. Da lässt sich Regisseur Quentin Tarantino in Zwangsjacke ablichten und Rapper P. Diddy ist festgehalten, wie er ein Selbstporträt malt, umringt von nackten Frauen. Schoeller sagt: "Es gibt kein ehrliches Porträt, es gibt nur Porträts, die ehrlicher aussehen als andere." Schoeller ist längst selbst ein Star, von ihm zu fotografiert zu werden, gilt als Ehre. Nicht zuletzt sind seine fotografischen Charakterstudien zwar treffend, aber nie verletzend.
Kim Harris
Ein bisschen Respekt für seine Fotoobjekte schimmert auch durch. Optik als das ultimative Ziel - das kann auch Schoeller nachvollziehen, dessen Porträts oft überirdisch schön wirken. Auch wenn der Meister betont: Photoshop komme bei ihm nicht zum Einsatz - außer bei Nasenhaaren.
Fannie Barrios
Der Künstler selbst habe nur ein einziges Bild bei sich zu Hause hängen, erzählt er: das der Bodybuilderin Fannie Barrios (im Bild). Die gebürtige Venezuelanerin starb 2005 mit 41 Jahren an einem Herzinfarkt. Seine Serie "Female Bodybuilders" sei so etwas wie eine kulturelle Momentaufnahme, sagt Schoeller: "eine Gruppe Menschen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Sache gemacht hat". Und dann äußert er noch einen Wunsch: Er hoffe, dass sich die Kultur des Bodybuilding hin zu einem gesünderen Körperbild entwickle. Die Werkschau "Up Close" von Martin Schoeller ist bis zum 7. Februar 2016 im Stockholmer Museum Fotografiska zu sehen. In der kommenden Woche stellen wir Ihnen an dieser Stelle eine weitere Serie des deutschen Fotografen vor: "Identical" - Porträts von eineiigen Zwillingen und Drillingen.