Porträt:So, dass man das Spiel gar nicht sieht

Nina Hoss

Die Lust am Spiel zeichnet Nina Hoss aus.

(Foto: Wolfgang Stahr/LAIF)

Nina Hoss ist eine der gefragtesten deutschen Schauspielerinnen. Die fremden Menschen, die sie spielt, macht sie sich ganz und gar zu eigen. Dabei beeindruckt sie jedoch nicht nur auf der Leinwand.

Von Susan Vahabzadeh

An klaren Tagen kann man von der Terrasse des Hotels Bayerischer Hof aus die Alpen in der Ferne sehen, und wie sich Nina Hoss für einen Augenblick an diesem Bild erfreut - das hat viel damit zu tun, wie sie als Schauspielerin ist. Schauspielerei lebt von Beobachtungsgabe, und Nina Hoss scheint alles, was um sie herum passiert, aufzusaugen. Das spürt man, wenn sie von Dreharbeiten erzählt oder wenn man mit ihr über Politik diskutiert, wenn sie ihr Essen kalt werden lässt, weil sie eben doch noch erzählen muss, wie es beim Women's March in Washington im Januar war - wie die Demonstranten entwaffnend kommunikativ mit gegnerischen Verbalattacken umgingen. Sie scheint alles ganz intensiv wahrzunehmen, auch den Ort um sie herum, die magisch glitzernden Bergkuppen am Horizont.

Der Ort um sie herum, das war in letzter Zeit sehr oft monatelang New York. Dort hat sie mit Volker Schlöndorff "Rückkehr nach Montauk" gedreht, und dann die sechste Staffel der Fernsehserie "Homeland", in der sie, wie auch schon in der fünften, die deutsche Agentin Astrid spielt. New York pulsiert, sagt Nina Hoss. "Ich glaube, ich habe mich jeden Tag, wenn ich aus dem Haus ging, gefragt: Was erwartet mich heute?" 2016 war Nina Hoss in der Jury des Filmfestivals in Venedig und hat dort die New Yorker Performancekünstlerin und Filmemacherin Laurie Anderson kennengelernt, und über sie fanden Nina Hoss und ihr Mann, der Musikproduzent Alex Silva, sich dann sehr schnell ein in der fremden Stadt. "Wir waren plötzlich in einer ganz tollen, inspirierenden Clique. Bei Hal Willner beispielsweise" - auch ein Musikproduzent - "mussten alle eine Platte mitbringen, und dann wurde Musik gehört, wirklich gehört, und dann erst hat man darüber geredet." Das gefällt ihr: "Wirklich zuhören, und sich dann austauschen."

Vielleicht hat sie von Anfang an gelernt, sich permanent mit der Welt auseinanderzusetzen

Kunst und Politik, mit dieser Kombination ist sie aufgewachsen, die Mutter war Schauspielerin, ihr Vater Willi Hoss war Mitbegründer der Grünen, für die er sieben Jahre lang im Bundestag saß. Nina Hoss engagiert sich unter anderem für Terre des Femmes, gegen Genitalverstümmelung. Vielleicht hat sie von Anfang an gelernt, sich permanent mit der Welt auseinanderzusetzen; sie kann sich jedenfalls (was leichter klingt, als es aussieht), die fremden Menschen, die sie spielt, ganz und gar zu eigen machen. So, dass man das Spiel gar nicht sieht.

Porträt: Beim Dreh am Strand von Long Island sieht man sie zwischen "Rückkehr nach Montauk"-Regisseur Volker Schlöndorff und Stellan Skarsgård (r.).

Beim Dreh am Strand von Long Island sieht man sie zwischen "Rückkehr nach Montauk"-Regisseur Volker Schlöndorff und Stellan Skarsgård (r.).

(Foto: Ann/Wild Bunch Germany)

Das Eintauchen in eine neue Welt mit jedem Projekt hat Nina Hoss, 1975 in Stuttgart geboren, zu einer der gefragtesten Schauspielerinnen in Deutschland gemacht und inzwischen auch zu einer der wenigen, die im Ausland wahrgenommen werden. Dabei ist sie ganz offensichtlich eine Schauspielerin, der es nicht in erster Linie ums Berühmtwerden geht - sie sucht sich ganz unterschiedliche Herausforderungen, von Ibsens Hedda Gabler auf der Bühne über die geisterhaften Frauen in den Filmen des Regisseurs Christian Petzold bis zur Fernseh-Geheimagentin.

Ihr Handwerk hat die Vielseitige an der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin gelernt, dort spielt sie Theater. Nach fünfzehn Jahren am Deutschen Theater hat sie 2013 ins Ensemble der Schaubühne gewechselt. Die Frau hat ziemlich viel zu tun, und da ist es gar nicht selbstverständlich, dass sie jetzt in München ist, um sich der Zukunft des Kinos zu widmen - als Jurorin bei "Kino der Kunst", ein Festival für künstlerische Experimente an der Schnittstelle zwischen bildender Kunst und Kino. Dort gibt es einen Wettbewerb mit Filmen, die mit Erzählstrukturen experimentieren, eine neue Bildsprache auskundschaften. "Einer der Gründe, warum ich das machen wollte", sagt sie, "das war, dass man da sehen kann, wo es mit dem Kino hingeht."

Ein größeres Repertoire kann eine Schauspielerin kaum haben

Künstlerische Experimente sind halt auch die Grundlage der Populärkultur - ohne sie hätte es beispielsweise die Serie "24" nicht gegeben, bei der der amerikanische Produzent und Autor Alex Gansa gearbeitet hat, bevor er "Homeland" erfand - und Nina Hoss besetzte.

Die vorerst letzte Folge von "Homeland" ist in den USA gerade ausgestrahlt worden, im Mai läuft in den deutschen Kinos erst einmal "Rückkehr nach Montauk". Sie spielt da Rebecca, eine Figur, die Schlöndorff und sein Co-Autor Colm Tóibín aus jener Lynn weitergesponnen haben, in die der Erzähler in Max Frischs "Montauk" sich verliebt hat; hier kehrt er, von Stellan Skarsgård gespielt, nach New York zurück und begegnet dort dieser Frau wieder, die sich damals nicht nach ihm umgedreht hat, als er sich von ihr trennte. Sie ist eine erfolgreiche Anwältin inzwischen. Es gehört zu Schlöndorffs Stärken, dass er hier von New York und dem Gegensatz zwischen Arm und Reich ganz nebenher sehr viel über Räume erzählt - ein Schriftsteller ist da bestenfalls untere Mittelschicht. Rebecca aber ist zu einer Frau geworden, bei der der weit ältere Mann nur noch ein Anhängsel wäre.

Ein größeres Repertoire als Nina Hoss kann eine Schauspielerin kaum haben, sie ist im europäischen Autorenfilm genauso zu Hause wie in einer amerikanischen Erfolgsserie. "Bei Schlöndorff hat man das Gefühl, man ist mit einer europäischen Produktion auf Reisen. Bei ,Homeland' - da war ich tatsächlich zu Gast. Dass wir die Staffel davor in Berlin gedreht hatten, hat es ein bisschen abgemildert." Inwiefern ist es anders an einem solchen Set? Nina Hoss muss erst mal überlegen: "Die Verabredung ist eine andere - viel klarer, und so sind alle beim Dreh zu hundert Prozent bei der Sache." Noch ein Unterschied: Bei "Homeland" sind Autoren am Set. Das ist in den USA zwar so üblich, und gerade die Autoren einer Serie wie "Homeland", die sich mit Terrorismus und politischen Verwicklungen befasst, zeigten immer viel Gespür für den Wandel, bei dieser sechsten Staffel wurden sie jedoch von Trumps Wahlsieg überrascht. Dass sie da dabei sein konnte, war für Nina Hoss aufregend. Sie erzählt davon wie von einem großen Erlebnis, obwohl der Umbau der Serie während der Dreharbeiten auf Kosten ihrer Rolle ging.

Warum sollte es nicht ein weibliches deutsches Äquivalent zu George Clooney geben?

Ihre internationale Karriere hat sich so ergeben - im Spionagethriller "A Most Wanted Man" von Anton Corbijn spielte sie neben Philip Seymour Hoffman, und da hatte sie der "Homeland"-Macher Alex Gansa gesehen. Serienarbeit, das ist eben anders als Kino, die Ansprüche an die Fähigkeiten einer Schauspielerin sind andere. "Man hat bei einer Serie so eine schöne Verantwortung für seine Figur, die man ja schon kennt, während die Regisseure wechseln und oft weniger wissen. Und wenn man mit dieser Figur etwas ausprobieren will, wird einem das auch zugestanden, soweit das Drehbuch es zulässt."

Man kann sich schon vorstellen, was sie damit meint: Ein Kinoregisseur versucht, in einigen Wochen seine künstlerische Vision durchzusetzen. Mit Christian Petzold hat Nina Hoss sechs Mal zusammengearbeitet, von "Wolfsburg" bis "Phoenix", aber gerade, weil er sie so gern in den Mittelpunkt seiner Geschichten stellt, kann man davon ausgehen, dass er sehr genau weiß, was er von ihr erwartet.

Es ist nur gar nicht so einfach, immer gute Rollen zu finden - schon gar nicht für eine Frau. Ob sie nach Amerika umziehen würde für dieArbeit? Da zögert Nina Hoss: "Das käme auf das Angebot an." Aus dem Vertrag für "Homeland" ist sie aber bislang noch nicht entlassen. Man kann sich seine Jobs nicht immer aussuchen, das gilt auch für Schauspieler. Gern aber würde Nina Hoss selbst Stoffe für sich entwickeln - das geht nur, stöhnt sie, "so wahnsinnig langsam". Will sie selbst Drehbücher schreiben? Nein, entfährt es ihr, als wäre das abwegig. Ist es ja aber gar nicht - warum sollte es nicht ein weibliches deutsches Äquivalent geben zu George Clooney, der sich die Drehbücher mit einem Co-Autoren selbst auf den Leib schneidert? Nina Hoss lacht, und es blitzt ein bisschen in ihren Augen, und dann sagt sie: "Das stimmt. Warum eigentlich nicht?"

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