Theater:Vom "Jedermann" zum Kino-Star

Theater: Er ist längstgediente Jedermann in der Geschichte der Salzburger Festspiele: Peter Simonischek.

Er ist längstgediente Jedermann in der Geschichte der Salzburger Festspiele: Peter Simonischek.

(Foto: Clemens Bilan/dpa)

Seine Rolle in "Toni Erdmann" hat den Theaterschauspieler Peter Simonischek weltberühmt gemacht. Heute wird der Österreicher 70 Jahre alt. Eine Begegnung.

Von Christine Dössel

Golling ist ein beschaulicher kleiner Ort südlich von Salzburg, gelegen im schönen, von sattgrünen Gebirgszügen umhegten Tennengau. Das Dorf hat eine kantige Burg, auf der die Gollinger jeden Sommer Festspiele ausrichten. Einer, der mit Lesungen regelmäßig zum Programm beiträgt, ist der eigentlich bei den "großen" Festspielen drüben in Salzburg engagierte und von einer viel berühmteren "Burg", nämlich dem Burgtheater in Wien kommende Peter Simonischek. Der österreichische Theaterstar, gefeiert als langjähriger "Jedermann", begeistert derzeit auch im Kino das Publikum: in der Titelrolle von Maren Ades Film "Toni Erdmann".

Viele Interviews muss er seither geben. Um dem Trubel zu entgehen, hat sich Simonischek in diesem Salzburger Festspielsommer im ruhigen Golling einquartiert. An diesem Sonntag wird er dort gemeinsam mit seiner Frau, der österreichischen Schauspielerin Brigitte Karner, aus dem Briefwechsel zwischen Peter Tschaikowsky und dessen Seelenfreundin Nadesha von Meck lesen. "Kennen Sie das? Wunderschön!" Peter Simonischek macht es sich auf einem Retro-Sofa in der behaglichen Enothek seines kleinen Hotels gemütlich. Nicht, ohne sich vorher noch rührend um eine neue Batterie für das schwächelnde Aufnahmegerät seiner Besucherin zu kümmern. Hätte das Hotel keine parat gehabt, wollte Simonischek die Batterie aus seiner elektrischen Zahnbürste zur Verfügung stellen: "Hat genau die gleiche Größe."

"Fesches Mannsbild", "Weiberer" - die österreichischen Medien belegen Simonischek gerne mit Etiketten

Der Mann ist die Freundlichkeit in Person, zugewandt, gesprächig, auf Anhieb sympathisch. Simonischek lässt sein gutes Aussehen, um das er natürlich weiß - Kollegen attestieren ihm eine "Grundeitelkeit" -, mit einer betonten Bescheidenheit korrespondieren. Als wolle er auf keinen Fall mit irgendwelchen Klischees vom "feschen Mannsbild" oder "Weiberer" in Verbindung gebracht werden - Etiketten, mit denen der "Frauenschwarm" in den österreichischen Medien oft und gerne belegt wird. Siebzig wird er an diesem Samstag. Man sieht es ihm nicht an.

So groß und massiv Peter Simonischek ist - einsneunzig, stattlich gebaut, dazu diese aparte Silberhaarmähne -, strahlt er nichts Autoritäres, nichts Kraftmeierndes aus. Obwohl er das auf der Bühne schon auch kann. Man denke etwa an seinen mafiösen Hofreiter in Schnitzlers "Das weite Land" in der Regie von Alvis Hermanis. Oder an seinen vitalitätsstrotzenden Jedermann in Salzburg. Im Film und Theater ist er oft der Grandseigneur, spielt die gepflegte Herrenhaftigkeit seines Äußeren aus. Dabei kann Simonischek etwas sehr Treuherziges an den Tag legen, so wie jetzt auf dem Gollinger Hotelsofa, wo er ganz der Gemütsmensch ist. Mit Hang zur Anekdote und Teddybär-Blick. Sein warmer austriakischer Zungenschlag tut ein Übriges. Simonischek, Vater dreier Söhne, hat seine Wurzeln in der Oststeiermark. Wie es scheint, wurde er dort gut geerdet.

Es ist diese Warmherzigkeit, die auch seine Figur in "Toni Erdmann" auszeichnet, jener Filmkomödie, die in Cannes Begeisterungsstürme ausgelöst hat - ein tollkühn alle Mittelmaßnormen sprengendes Ausnahmewerk. Simonischek spielt den pensionierten Musiklehrer Winfried, der seiner vom Manager-Ehrgeiz zerfressenen Tochter Ines in deren Einsatzgebiet in Bukarest nachreist und sie dort von einer peinlichen Situation in die nächste bringt. Nicht um sie vor-, sondern um sie in die Menschlichkeit zurückzuführen.

Simonischek tut dies mit dem simpelsten Theatertrick: indem er sich verkleidet. Maskiert mit einer unmöglichen Neandertaler-Perücke und einem potthässlichen künstlichen Gebiss, verwandelt er sich in jenen Titelhelden Toni Erdmann, der seiner Tochter nur dadurch nahe kommen kann, dass er ihr als ein anderer, als eine Kunstfigur entgegentritt. Das ist zwischenmenschlich so traurig, wie es in den einzelnen Szenen situationskomisch ist.

Wie ungeniert und ungekünstelt Peter Simonischek und Sandra Hüller das spielen, ist ganz großes Theater. Der Steifheit seiner gepanzerten Tochter setzt Winfried als schluffiger Spaßterrorist die Möglichkeit des Spiels entgegen. Und so sieht man den sonst so attraktiven Herrn Simonischek schwitzend und schnaufend als freakigen alten Zausel mit schiefen Riesenhauern durch den Film tappen und die kuriosesten Übersprungshandlungen auslösen. Er tut das nie klamaukig, nie forciert - Ades Film zielt nicht auf Pointe -, sondern völlig beiläufig, unaufgeregt, als sei es das Normalste von der Welt. Letztlich ist dieser Winfried in seiner grotesken Maskerade unter all den Firmen- und Selbstoptimierern der einzig wahre Mensch. Als er sich gegen Ende in der Tradition der bulgarischen "Kukeri" ganz in ein Zottelmonster verwandelt, läuft die Tochter ihm in den Park nach. Es ist das einzige Mal, dass sie dem Vater in die Arme fällt: "Papa!" Papa ist in dieser Szene reines Ziegenfell.

Parfümkauf mit Monsterzähnen

"Ich find' ihn richtig gut", freut sich Simonischek über den Film. "Man macht ja nicht so viele wirklich tolle Sachen im Leben. Vielleicht eine Handvoll." Nach dem Erfolg in Cannes wurde "Toni Erdmann" in rund 60 Länder verkauft, eine Oscar-Nominierung ist nicht unrealistisch. Wer weiß, vielleicht macht der in Österreich weltberühmte Simonischek auf seine alten Tage noch eine internationale Karriere. Auf jeden Fall dürfte es künftig noch einige Filmangebote mehr geben in seinem eh schon regen Schauspielerleben. "Mal sehen", beschwichtigt Simonischek und zitiert Hamlet: "Bereit sein ist alles." Er sei niemand, der mit Zielstrebigkeit auf etwas hinarbeitet, eher jemand, "der schaut, was kommt und dann seine Chance ergreift".

Bei "Toni Erdmann" hat er sich allerdings doch ins Zeug gelegt und ist, nachdem er das Drehbuch gelesen hatte, zum Casting nach Berlin aufgebrochen: "Ich habe gleich erkannt, dass diese Geschichte auf eine sehr exklusive Weise aus der Reihe tanzt." Außerdem wollte er schon wegen der Zähne die Rolle haben. Es ist nämlich so, dass Peter Simonischek, der Sohn eines Dentisten, dereinst eine Zahntechnikerlehre gemacht und selber solche Kunstgebisse hergestellt hat, wie Toni Erdmann sie trägt. Kein Scherz. Während seiner Schauspielausbildung in Graz, die er heimlich gegen den Willen des Vaters begann, ist er mit selbstfabrizierten Kauleisten aufgetreten, "zum Spaß". Auch hat er seine Scherzgebisse schon mal beim Einkauf in der Bäckerei eingesetzt, "um die Leute zu irritieren und zu sehen, wie sie reagieren".

Er ist der längstgediente Jedermann in der Geschichte der Salzburger Festspiele

Die Perfektionistin Maren Ade ließ ihn zur Vorbereitung auf "Toni Erdmann" ähnliche Übungen machen. Zum Beispiel: Mit den Monsterzähnen im Mund ein Parfüm kaufen gehen und sie während des Beratungsgesprächs ungesehen rausnehmen. Was das bringt? "Viel", sagt Simonischek, "weil es die Verabredung, auf die sich ein Schauspieler normalerweise verlassen kann, komplett wegbläst."

Seine Toni-Erdmann-Beißer trägt Simonischek auch als Pantalone in Goldoniss "Diener zweier Herren" am Burgtheater. Das war seine eigene Idee: Der Mafioso, als den er den "eigentlich nur blöd daherquatschenden Alten" geben sollte, bekam dadurch einen schrägen Biss. "Wir haben uns kaputtgelacht", erzählt der Regisseur Christian Stückl, "eines Tages kam er plötzlich mit den Hauern an."

Mit Stückl hat Simonischek auch seine bisher populärste Theaterrolle erarbeitet: den Jedermann. Er spielte den Titelhelden in Hugo von Hofmannsthals "Spiel vom Sterben des reichen Mannes" von 2002 bis 2009 und ist damit der längstgediente Jedermann in der Geschichte der Salzburger Festspiele. Simonischek war ideal für die Rolle: ungeheuer raumgreifend, stolz und präsent, lustvoll den Domplatz zu seiner Bühne machend, auf welcher der Tod bittschön nichts verloren zu haben hat. Simonischek weiß das sakrale "Todes-Kasperlespiel" auch leidenschaftlich zu verteidigen. Für ihn ist es seit ersten Schulbuch-Eindrücken zu Internatszeiten "so ein Urbild von Theater".

Jetzt spielt er den Prospero in Shakespeares "Sturm" - eine Traumaltersrolle

"Die Rolle war ihm ungeheuer wichtig", erzählt Stückl. "Er hat sich da hundertprozentig reingegraben." Überhaupt sei Simonischek ein Schauspieler, der genau weiß, was er will und sich "die Inszenierung selber im Kopf ausbaut". Da müsse man als Regisseur schon sehr stark sein und gut argumentieren, "sonst übernimmt er".

Der Jedermann war für Simonischek mehr ein Heimkehrer- als ein Heimspiel. Erst dadurch ist sein Bekanntheitsgrad in Österreich gestiegen, war er doch zuvor zwanzig Jahre lang, von 1979 bis 1999, im Ensemble der Berliner Schaubühne, erst unter Leitung von Peter Stein, dann von Andrea Breth. Er schwärmt von der "Genauigkeit, mit der man sich dort mit Stücken beschäftigt hat", von einer "schönen Gemeinsamkeit". Simonischek hat damals in fast allen Stein-Inszenierungen mitgespielt. Stein, sagt er, habe jedes Stück wie ein Gebäude begriffen und es sorgfältig ausgeleuchtet und erforscht "vom Keller bis unter den Dachboden". So etwas prägt.

Seit 1999 ist Simonischek da, wo ein gestandener österreichischer Schauspieler wie er naturgemäß hingehört: am Wiener Burgtheater. Seine Plattform für die Pfundsrollen aber sind noch immer die Salzburger Festspiele. Nächste Woche hat er dort, auf der Perner-Insel, mit Shakespeares Abschiedswerk "Der Sturm" Premiere. Simonischek spielt den Zauberer Prospero, eine Traumaltersrolle. Er sagt: "Eine Riesenherausforderung. Ein Geschenk." Regie führt die Britin Deborah Warner, von deren Gründlichkeit und Suche nach Wahrhaftigkeit Simonischek begeistert ist. Er nennt sie "meine Maren Ade des Theaters". Ja, es läuft gut für den Schauspieler Peter Simonischek. Besser denn je. Der Siebzigste kann kommen.

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